#KeinSchlussstrich – Ein kurzer Blick auf das Urteil im Münchner NSU-Prozess

Es war lange erwartet worden, das Urteil im NSU-Prozess. In München ist es nun am Mittwoch nach über 430 Verhandlungstagen gefallen. Das Gericht hat Beate Zschäpe zu lebenslänglicher Haft verurteilt und damit deutlich gemacht, dass sie nicht unbeteiligte Dritte war, sondern einen erheblichen Beitrag zu den Taten des NSU geleistet hat und damit Mittäterin ist. Auch die Mitangeklagten wurden zu Haftstrafen verurteilt. An sich ist das Urteil begrüßenswert, auch wenn sich die geringe Haftstrafe von André E. wohl erst durch das Studium der Urteilsbegründung erschließen wird. Allerdings greift das Urteil viel zur kurz, weil in München nur ein kleiner Teil des Netzwerkes, was das vermeintliche Trio umgab, vor Gericht stand.

Der NSU war nicht nur ein Trio. Die Entscheidung der Bundesanwaltschaft, bisher nur Zschäpe und einige wenige direkte Unterstützer, wie den Waffenlieferanten Wohlleben anzuklagen, ist nicht nachvollziehbar. Die Dimension des Netzwerkes und deren gesellschaftliche Verstrickung wurden damit im Prozess weitgehend außen vor gelassen, auch wenn sich das Gericht um eine sehr weitgehende Aufklärung bemühte. Dies ist insbesondere mit Blick auf Sachsen mehr als ernüchternd. Sachsen war der Rückzugsraum des NSU, weil man hier zum einen, insbesondere in der Region rund um Zwickau und Chemnitz, auf ein breites Unterstützernetzwerk zählen konnte und zum anderen sich offenbar in Ruhe vor den Sicherheitsbehörden wähnte. Es darf jetzt keinen Schlussstrich unter der juristischen Aufarbeitung des NSU-Komplexes geben. Dazu ist es notwendig, dass der Generalbundesanwalt auch die weiteren Unterstützer ins Visier nimmt und diese auch anklagt.

Ein Strafprozess dient der Klärung der Schuld der Angeklagten. Er kann daher nur begrenzt dazu beitragen, die schweren Versäumnisse der Sicherheitsbehörden und die vielen offenen Fragen zu klären. Dennoch ist die Enttäuschung der Opfer, der Hinterbliebenen und der Zivilgesellschaft darüber, dass durch den Prozess vieles – anders als nach der Selbstenttarnung des NSU versprochen – nicht restlos aufgeklärt werden konnte, sehr verständlich. Das gegebene politische Versprechen steht in keinem Verhältnis zu den vielen offenen Fragen.

Diese Aufgabe wird weiterhin den noch bestehenden Untersuchungsausschüssen zukommen. Dabei geht es vor allem um die Rolle der Polizei und des Verfassungsschutzes. Der NSU war von V-Leuten umstellt. Die Möglichkeit, die Untergetauchten in Zusammenarbeit mit den Behörden anderer Bundesländer und des Bundes zu lokalisieren, war gegeben, wenn man nicht – gewollt oder aus Unfähigkeit – die Möglichkeiten hierzu hätte verstreichen lassen. Der NSU ist und bleibt ein Verfassungsschutzskandal, nicht zuletzt, weil dieser nach der Selbstenttarnung alles daran gesetzt hat die eigene Verantwortung klein zu reden, bzw. wie beim Bundesamt durch die Vernichtung von Akten klein erscheinen zu lassen. Generell waren die Ermittlungen nach der Selbstenttarnung des NSU vollkommen dilettantisch. Die Zeugenvernehmungen im sächsischen Untersuchungsausschuss haben hier in Bezug auf die Explosion des Unterschlupfes des NSU teilweise Haarsträubendes, von der Tatortsicherung bis zur Aufbewahrung der polizeilichen Akten, zu Tage gefördert.

In den letzten Sitzungen wird sich der sächsische Untersuchungsausschuss auch mit den gesellschaftlichen Umständen, die die Entstehung des Netzwerkes rund um den NSU in Sachsen begünstigt haben, beschäftigen. Es gilt vor allem hieraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Denn eins ist klar: Neben dem Versprechen der vollständigen Aufklärung wurde bereits in Sachsen das noch wichtigere Versprechen gebrochen: Das Versprechen, dass sich etwas wie der NSU in Deutschland nie wiederholen dürfe. In Sachsen hat sich die Terrorgruppe Freital in einem Klima des Hasses und einer Akzeptanz von Rassismus in Teilen der Gesellschaft gebildet und konnte unter den Augen der Sicherheitsbehörden schwere Straftaten begehen, ohne dass diese rechtzeitig einschritten. Es grenzte zuletzt an ein Wunder, dass es anders als beim NSU keine Todesopfer zu beklagen gab. Das Urteil im NSU-Prozess sollte alle Verantwortlichen an das fragile Versprechens des „Nie Wieder“ erinnern!

Es ist aber nicht nur Aufgabe der Gerichte, der Untersuchungsausschüsse und der Sicherheitsbehörden die richtigen Schlussfolgerungen aus dem NSU zu ziehen. Es ist vor allem die Aufgabe von uns allen. Wir dürfen, gerade in der aktuellen Situation, in der Hass und Hetze drohen, die Überhand zu nehmen, nicht zulassen, dass sich irgendwo gesellschaftliche oder lokale Rückzugsräume für Rechtsextreme bilden. Wir dürfen nicht zulassen, dass Gewalttaten bagatellisiert werden. Und wir dürfen nicht zulassen, dass Xenophobie zur Leitlinie der Politik wird. Andernfalls haben wir aus dem NSU nichts gelernt.

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