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Zentrum der Telekommunikationsüberwachung = Bürgerrechtsharakiri

Rede des Abgeordneten Valentin Lippmann zur 2. Lesung des Gesetzentwurfs „Staatsvertrag über die Errichtung eines Gemeinsamen Kompetenz- und Dienstleistungszentrums der Polizeien der Länder Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen…“ (Drs 6/10271)
64. Sitzung des Sächsischen Landtags, 13. Dezember, TOP 7

– Es gilt das gesprochene Wort –

Frau Präsidentin,
meine Damen und Herren,

wenn ein Innenminister vor laufenden Kameras einen Staatsvertrag unterzeichnet, der noch nicht fertig ausgehandelt ist und den Akt wenige Monate später noch einmal klammheimlich nachholen muss, kann man das bestenfalls als hochnotpeinlich abtun. Wenn es dabei jedoch um mittelbare Eingriffe in die Bürgerrechte geht und es ein Innenminister offenbar kaum erwarten konnte, der erste zu sein, der den Startschuss in eine neue Ägide der Überwachung gibt, ist dies nicht weniger als der Beweis, dass Unions-Innenminister selbst für banale Medientermine bereit sind, unsere Grundrechte zur Disposition zu stellen.

Aber dies ist nicht verwunderlich: Von Anfang an hat das Innenministerium alles dafür getan, um auch selbst den gutgläubigsten Oppositionspolitiker davon abzubringen der Zusammenlegung der TKÜ-Strukturen von fünf Bundesländern auch nur etwas Positives abzugewinnen.

Die gesamte Planung und Umsetzung dieses Vorhabens war an Intransparenz nicht zu überbieten. Obwohl sie diesem hohen Hause bereits im Frühjahr 2015 und dann nochmals Ende des letzten Jahres die Kosten – für Sachsen immerhin 4,2 Mio. Euro – für die Planung und Errichtung dieses Überwachungszentrums in Rechnung gestellt haben, haben Sie, Herr geschäftsführender Innenminister, selbst dann noch gemauert und geschwiegen, als in anderen Landtagen der Staatsvertragsentwurf bereits coram publico verhandelt wurde.

Seit Februar 2015 – seit das Projekt im Haushaltsplan als „Rechen- und Dienstleistungszentrum“ auftauchte – haben wir GRÜNEN für die Transparenz des gesamten Verfahrens gestritten. Wir haben mit vielen kleinen Anfragen, mit Änderungsanträgen im Haushalt und mit einem eigenen Antrag für eine frühzeitige Beteiligung des Landtags gekämpft. Zweieinhalb Jahre lang haben Sie, Herr Innenminister, uns nur die Informationen gegeben, die bereits an die Öffentlichkeit gelangt waren. Schon alleine diese bodenlose Frechheit im Umgang mit dem hohen Haus macht den Staatsvertrag für uns nicht zustimmungsfähig.

Bei dem jetzt auf dem Tisch liegenden Ergebnis wird jedem klar, warum Sie den Staatsvertrag möglichst lange verheimlichen wollten.
Das gemeinsame Telekommunikationsüberwachungszentrum ist wohl das größte Projekt der Sicherheitskooperation der vier Ostländer und Berlin, es ist aber auch die größte Wundertüte, die dieser Landtag je verabschiedet hat.
In einem der sensibelsten Bereiche von Grundrechtseingriffen werden wesentliche Entscheidungen in eine Satzung, eine Geschäftsordnung, ein Verwaltungsabkommen, eine Benutzungsordnung und weitere Feinplanungen delegiert, die wir allesamt nicht vorliegen haben.

Der Staatsvertrag widerspricht damit in eklatanter Weise dem Bestimmtheitsgrundsatz, wonach der parlamentarische Gesetzgeber Eingriffsregelungen und wesentliche Entscheidungen entweder selbst treffen oder doch inhaltlich vorformen muss. So etwas ist schlicht verfassungswidrig.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
eine Koalition, die bei der Umsetzung von Telekommunikationsüberwachung als einer der schwersten Grundrechteingriffe die Katze im Sack kaufen will und sich im blinder Vasallentreue zur Staatsregierung ergibt, stellt nichts weiter als eine massive Gefahr für unsere Bürgerrechte dar!

Dazu passt dann auch, dass wir es innerhalb des Staatsvertrages mit gleich mehreren Regelungen zu tun haben, bei denen nicht klar ist, ob es sich um schlichten Murks oder üble Dreistigkeit handelt:
In § 4 Abs. 1 wird pauschal auf die §§ 100a ff. StPO verwiesen, wenn es heißt, dass die Länder die Anstalt im Wege der Auftragsverarbeitung zur Telekommunikationsüberwachung nach der StPO nutzen → eine Formulierung, die viel zu weit geht und auch die Onlinedurchsuchung umfasst. Klar kann man das verfassungskonform auslegen – das muss man aber wollen.

Gleiches gilt für die in § 4 Abs. 2 gewählte Formulierung, wonach das Überwachungszentrum die Polizeien und Länder unterstützt und berät. Wobei? Die Entwicklung des Staatstrojaners fällt genauso darunter wie die Kryptoforschung, der Ankauf von sog. Sicherheits-Hintertürchen oder der Export sog. best practice Beispiele in Sachen Ermittlungsexzesse aus Sachsen, etwa gegen die linke Szene.

Der Staatsvertrag bietet nach Auffassung der GRÜNEN zudem keine ausreichende Gewähr zur Unverletzlichkeit des Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 GG, des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.

Ob die versprochene Trennung der Daten der jeweiligen Länder technisch umgesetzt wird, wissen wir mangels vorhandener Feinplanung eben nicht. Wie der Kernbereich privater Lebensgestaltung gewährleistet wird, etwa durch Unterbrechung der Überwachung? Wissen wir nicht. Wie den Protokollierungspflichten der JL-Richtlinie nachgekommen wird? Wissen wir nicht. Wer die Fachaufsicht über die zu errichtende Anstalt hat? Ist unklar geregelt.

Mit Verlaub: Das ist hier nicht die Befragung des Orakels von Deplhi sondern sensibelste Gesetzgebung. Wir sind es den Bürgerinnen und Bürgern in Sachsen als Grundrechtsträger schuldig derartige Unterfangen zu unterlassen, wenn sich mit jeder vermeintlichen Antwort drei neue Fragen auftun.

Am Ende müsste dann aber auch den härtesten Ignoranten von Grundrechten zumindest die Kostenfrage beschäftigen:
Die Errichtung dieses Überwachungszentrums soll laut einer Wirtschaftlichkeitsprüfung aus dem Jahr 2013, die teilweise auf Kostenansätze aus dem Jahr 2012 beruht, 15,8 Mio. Euro betragen. Ich prognostiziere schon heute, dass diese Summe nicht ausreicht. Die Einsparung von Personal- und weiteren Investitionskosten werden auf absehbare Zeit die Investitionen in das gemeinsame Zentrum nicht amortisieren. Ich nehme überdies gerne Wetten an, ob am Ende der Berliner Flughafen oder dieses Rechenzentrum eher eröffnet wird.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
was ich hier vorhin als Wundertüte bezeichnet habe, ist ein Staatsvertrag mit dem sie die Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern bündeln. Hier geht es um nichts anderes als um die technische Umsetzung schwerer Eingriffe in Grundrechte. Mit der Zustimmung zu diesem Staatsvertrag delegieren sie jegliche Verantwortung in eine Anstalt, die Sie parlamentarisch nicht mehr kontrollieren können.

Für derartiges Bürgerrechtsharakiri stehen wir nicht zur Verfügung!

GRÜNER Entschließungsantrag

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