Foto: Juliane Mostertz

Fachregierungserklärung Al-Bakr

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Abgeordnete,

Anfang Oktober muss man im Innenministerium wohl erleichtert gewesen sein. Es stand endlich mal ein anderes Haus im Fokus der Öffentlichkeit, wenn es um unzulängliches Behördenhandeln geht. Zu sehr hatte der Suizid Al-Bakrs in der JVA Leipzig den misslungenen Zugriff in Chemnitz überlagert.

Das nun veröffentlichte Ergebnis der unabhängigen Untersuchungskommission spricht in vielen Punkten Bände und vor allem eine andere Sprache. Der Bericht ist umfassend und schonungslos und damit genau das, was wir uns von einer unabhängigen Untersuchungskommission, die wir unmittelbar nach den Ereignissen im Oktober gefordert hatten, erwartet haben. Ich danke an dieser Stelle namens meiner Fraktion ausdrücklich den Mitgliedern der Untersuchungskommission für ihre exzellente Arbeit. Sie haben im erheblichen Maße dazu beigetragen, dass wir nun aus den Fehlern die notwendigen Konsequenzen ziehen können.

Denn Fehler gab es ausweislich der öffentlichen Verlautbarungen der Kommission reichlich beim Zugriff gegen den Terrorverdächtigen Al-Bakr: Es gab ein Führungsversagen, weil das LKA nicht in der Lage war, den Einsatz in angemessener Art und Weise und mit einem Führungsstab zu führen. Es gab ein Kommunikationsversagen, da offenbar Einheiten nicht miteinander in Kontakt standen und somit in entscheidenden Momenten des Einsatzes nicht kommunizieren konnten. Und es gab ein Kooperationsversagen, was die gegenseitige Unterstützung der Behörden untereinander angeht. Ja, auch die Bundesbehörden müssen sich hier einen Schuh anziehen. Die Deutlichkeit der Bewertung von Prof. Landau in Bezug auf das Handeln des BKA und des Generalbundesanwalts war kaum zu überbieten.

Doch auch die Fehler der Bundesbehörden entbinden Sie, Herr Innenminister, nicht von der politischen Verantwortung für den desaströsen Polizeieinsatz. Der hätte weit schlimmere Folgen haben können – immerhin entfloh ein mutmaßlicher Terrorist, der unmittelbar vor der Durchführung eines Anschlags stand.

Natürlich war dies eine herausragende Einsatzsituation.

Es geht nicht um individuelle Schuld für gemachte Fehler, sondern um die politische Verantwortung hierfür. Und diese politische Verantwortung tragen Sie, Herr Innenminister.

Sie tragen die politische Verantwortung für dieses polizeiliche Versagen, weil sie seit Jahren, auch in diesem hohen Hause, von einer wachsenden Gefahr von Anschlägen durch Terroristen sprechen. Weil Sie damit schwere Bürgerrechtseingriffe legitimieren, die Sicherheitsbehörden hochrüsten und sogar von gemeinsamen Übungen mit der Bundeswehr träumen.

Doch trotz dieser fulminanten Ankündigungsrhetorik haben sich offenbar die sächsischen Polizeibehörden nicht ernsthaft mit der Frage beschäftigt, ob man praktisch in der Lage ist, an einem Wochenende einen mutmaßlichen Terroristen festzunehmen. Es gibt offenkundig eine falsche Prioritätensetzung, wenn der Leiter der LKA in der Vergangenheit vor allem durch öffentliche Äußerungen zum Thema Bauschaum aufgefallen ist, anstatt seine Behörde fit für Terrorlagen zu machen.

Zwischen Ihrem öffentlichen Reden und der Realität, Herr Innenminister, klafft eine Lücke, die nur Folge eines massiven Führungsversagens der Hausspitze sein kann.

Ich muss auch nach dieser Rede zur Kenntnis nehmen, dass man in Sachsen offenbar erfolgreich umgedeutet hat, was es bedeutet, wenn ein Minister politische Verantwortung für Fehler übernimmt. Nur allein dieser kommunikative Schachzug ändert an der Realität nichts. Niemand will tatsächlich für das Versagen von Sicherheitsbehörden in Sachsen die Verantwortung übernehmen. Weder im LKA noch im Innenministerium. Und die Einstufung des Berichtes als Verschlusssache soll die tatsächliche Dimension des Behördenversagens verschleiern.

Man setzt darauf, dass mit wolkigen Bekenntnissen in der Öffentlichkeit und Alibireaktionen, wie wir sie gerade in der Rede des Innenministers gehört haben, auch der Fall Al-Bakr ausgesessen werden kann – es wird weiter gewurschtelt, obwohl auch ein struktureller Neuanfang notwendig wäre.

Zur Übernahme von politischer Verantwortung gehört aktive Aufklärung. Davon ist das Innenministerium – trotz ihrer Bekundungen – weit entfernt. Denn während Ihr Kollege Justizminister sich kurz nach der Vorstellung des Untersuchungsberichtes mit konkreten Maßnahmen und Ideen vor die Presse stellte, sind Sie bisher dem Landtag und der Öffentlichkeit bis heute schuldig geblieben, welche konkreten Konsequenzen Sie aus dem Polizeiversagen ziehen. Wenn im Innenministerium tatsächlich jemand Verantwortung übernommen hätte, wäre es zu einer aktiveren Aufarbeitung des Einsatzes gekommen, die mehr als einen lapidaren Dreiseiter an den Innenausschuss zur Konsequenzen gehabt hätte.

Das Fehlen von Verantwortungsübernahme zeigt auch die Hiobsbotschaft vom Montag: Der Einsatzführer, um dessen Agieren es maßgeblich in der Bewertung der Kommission ging, ist, noch bevor der Bericht der Untersuchungskommission vorgestellt wurde, als Leiter der Dresdner Kripo ernannt und befördert worden. Unabhängig von der Eignung des Beamten für diesen Job, die ich nicht einschätzen kann, gilt: Das Innenministerium hat mit dieser Entscheidung die Sensibilität einer Kreissäge bewiesen und Ihrer Glaubwürdigkeit, Herr Minister, einen Bärendienst erwiesen.

Denn entweder wussten Sie davon, dass der Beamte den schief gelaufenen Einsatz geleitet hat, dann haben sie bewusst diesen Afront gegen die Aufklärung des Falls Al-Bakr unterstützt und auch noch das Kabinett hinters Licht geführt. Oder man hat es Ihnen verheimlicht. Dann haben Sie Ihr Haus nicht mehr im Griff.

Sie, Herr Minister, müssen sich fragen, ob die vielfachen strukturellen Änderungen, die in der Polizei notwendig sind, mit dem aktuellen Personal und auch mit Ihnen an der Spitze des Innenministeriums umsetzbar sind. Meine Fraktion hat daran erhebliche Zweifel. Diese Zweifel rühren auch daher, weil Sie so schamlos sind und uns als Konsequenz zum Fall Al-Bakr die Ausweitung der Eingriffsbefugnisse im Polizeigesetz ankündigen, was mit dem Fall nichts zu tun hat.

Werte Kolleginnen und Kollegen,

wir brauchen tatsächlich eine Kultur der Verantwortlichkeit in diesem Freistaat. Dazu gehört die Erkenntnis, dass Aussitzen keine Politik ist. Und dass man es mit dem Übertünchen von Problemlage für die Zukunft immer nur noch schlimmer macht. Eine Kultur der Unverantwortlichkeit, wie sie der Innenminister an den Tag legt, muss umgehend beendet werden.

 Rede des Abgeordneten Valentin Lippmann (GRÜNE) in der Debatte zur Fachregierungserklärung zum Thema: ‚Ergebnisse der Expertenkommission zum Fall Al-Bakr und Maßnahmen der Staatsregierung‘
48. Sitzung des Sächsischen Landtags, 01. Februar 2017, TOP 1

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