NSU-Untersuchungsausschuss – abweichendes Votum – Rechtsextremismus wurde in Sachsen über Jahre unterschätzt oder ignoriert

Dresden. In der letzten Sitzung des Untersuchungsausschusses „Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen“ am vergangenen Montag hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemeinsam mit der Fraktion DIE LINKE ihr abweichendes Votum zum Abschlussbericht vorgelegt.
Dazu erklärt Valentin Lippmann, Obmann der GRÜNEN Fraktion im NSU-Untersuchungsausschuss:
„Die entscheidende Frage, wie es möglich sein konnte, dass drei gesuchte Neonazis vor den Augen der sächsischen Behörden untertauchen und Sachsen über zehn Jahre als Rückzugs- und Ruheraum nutzen konnten, möchte ich nach sieben Jahren Aufklärung und zwei Untersuchungsausschüssen in Sachsen wie folgt beantworten:
Es war die organisierte Verantwortungslosigkeit, die fehlende Kompetenz, die Unbeständigkeit und das Desinteresse beim Landesamt für Verfassungsschutz, das trotz konkreter Hinweise zur Gefährlichkeit des NSU-Trios und begangener Straftaten in seiner geheimdienstlichen Kleinstaaterei verharrte und auf seinem Wissen zum fragwürdigen Schutz fragwürdiger Quellen sitzen blieb.“
„Es waren sächsische Polizeibedienstete die viel zu sehr Dienst nach Vorschrift machten und die nicht in der Lage waren, über den jeweiligen Tellerrand ihrer Ermittlungen zu blicken und in größeren Zusammenhängen zu denken. Und es war für alle in Sachsen agierenden Behörden, Amtsträgerinnen und Amtsträger oder kommunalen Vertreterinnen und Vertreter offenbar undenkbar, dass rechtsterroristische Mörderinnen und Mörder Sachsen als Rückzugs- und Ruheraum mit einem dichten Unterstützernetzwerk nutzten. Denn Rechtsextremismus wurde in Sachsen über Jahre unterschätzt oder ignoriert. Ich möchte den Opfern des NSU und ihren Angehörigen mein tiefstes Bedauern darüber aussprechen, dass es sächsische Behörden aus diesen Gründen nicht vermocht haben, den Taten des NSU Einhalt zu gebieten.“
„Zusätzlich hat sich der Untersuchungsausschuss auch mit der Frage des Umgangs mit dem NSU-Komplex nach dem Bekanntwerden der Verbrechen beschäftiget. Im Fokus stand hier die Frage, inwieweit sächsische Behörden dazu beigetragen haben, dass sich die Aufklärung der Verbrechen des NSU und des behördlichen Agierens verzögert hat oder dies dadurch maßgeblich erschwert wurde. Prominentestes Beispiel waren die Aktenvernichtungen im Landesamt für Verfassungsschutz und der Umgang mit dem 2012 ergangenen Löschmoratorium. Wir konnten hierbei keine gezielte Behinderungen der Aufklärung oder Ermittlungen feststellen, allerdings führten auch hier Nachlässigkeit, mangelndes Problembewusstsein, Desinteresse, Dienst nach Vorschrift und Führungsversagen zu erheblichen Behinderungen der Aufklärung. Ob mit der fortgesetzten Aktenlöschung beim Landesamt für Verfassungsschutz bis Juli 2012 auch Akten mit NSU-Bezug vernichtet wurden, ließ sich nicht mehr feststellen.“
„Wir haben unsere Arbeit im Untersuchungsausschuss stets als tiefe Verpflichtung gegenüber den Opfern des NSU und rechtsextremer Gewalt sowie deren Angehörigen verstanden. Damit wollten und wollen wir einen Beitrag dazu leisten, auch in Sachsen das Versprechen zu erfüllen, die Hintergründe des NSU und des behördlichen Versagens bei seiner Enttarnung möglichst vollständig aufzuklären und eine Wiederholung derartiger Taten zu verhindern. Wir danken allen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss, die mit eben dieser Motivation an der Aufklärung des Versagens sächsischer Behörden gearbeitet haben.“
Weitere Informationen:
Das Positionspapier des Obmanns der GRÜNEN Fraktion zum Abschluss des Untersuchungsausschusses finden Sie hier.

 

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