Polizeigesetz – Lippmann: Wer die ursprüngliche Idee des Rechtstaates ernst nimmt, kann einem solchen Polizeigesetz nicht zustimmen

Rede des Abgeordneten Valentin Lippmann zum Gesetzentwurf „Gesetz zur Neustrukturierung des Polizeirechtes des Freistaates Sachsen“ (Drs 6/14791)

90. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 10. April, TOP 7

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Damen und Herren,

Deutschland redet über den Rechtsstaat<<, so die Werbung der CDU in den letzten Wochen in den Sozialen Netzwerken. Diese Einladung zur Debatte nehme ich heute gerne an. Denn sowohl dieser Gesetzentwurf als auch die Diskussion dazu haben in erschütternder Art und Weise offenbart, dass die Koalition ein Rechtsstaatsverständnis an den Tag legt, was schlicht gruselig ist. Das fängt schon beim Ministerpräsidenten an, der gestern die Dreistigkeit besaß, zu erklären, dass nun eine demokratische Mehrheit für den Gesetzentwurf gäbe und dies auch die Kritiker endlich zu akzeptieren hätten.

Da weiß man doch gar nicht wo man anfangen soll. Zunächst wäre der Ministerpräsident gut beraten in einem demokratischen Rechtsstaat die Grundsätze der Gewaltenteilung zu verinnerlichen. Wenn die demokratische Mehrheit steht, wenn überhaupt, dann höchstens heute nach Beschluss dieses Gesetzentwurfs im Landtag und nicht, weil der Ministerpräsident ein Videostatement abgibt. Zum anderen offenbart diese Haltung ein Demokratieverständnis, das eine Zumutung ist. Es sagt in einem Rechtstaat überhaupt nichts, aber auch gar nichts, über die Verfassungskonformität von Gesetzen aus, dass diese mit Mehrheit zustande gekommen sind. Demokratische Mehrheiten haben in der Vergangenheit unzählige Male, offenkundig verfassungswidrige Gesetzentwürfe, wie dieses Polizeigesetz, beschlossen.

Kein Kritiker muss deshalb verstummen muss oder dies gar akzeptieren. Wer in einem solch sensiblen Bereich, wie dem Polizeirecht, mit einem derartig hanebüchene Populismus zutage tritt und dabei berechtigte Kritik diffamiert, zeigt, dass die Angst vor einer krachenden Niederlage vor dem Verfassungsgericht sehr groß sein muss – und zwar zurecht. Werte Kollegen und Kollegen, im letzten Plenum rechtfertigte der Ministerpräsident das neue Polizeigesetz mit mehr Härte. Nur allein: Der Sinn des liberalen Rechtsstaates ist aber nicht Härte gegenüber der Bevölkerung zu zeigen, sondern mit aller Macht die Grundrechte gegenüber Eingriffen des Staates zu schützen. Und davon nehmen Sie mit diesem vorliegenden Gesetzentwurf weiter Abstand, als es die Freiheit verträgt. In einer Situation, in der die Sicherheitslage in Deutschland und in Sachsen so gut ist, wie kaum zuvor, schüren Sie mit neuen Überwachungsinstrumenten ein Generalsverdacht in die Bürgerinnen und Bürger und öffnen im Präventivstaat Tür und Tor. Dabei sind Sie nicht einmal in der Lage auch nur im Ansatz die Notwendigkeit neuer schwerster Eingriffsbefugnisse zu begründen, denn ihrem Traum vom Rechtsstaat als Eingriffsstaat scheint Ihnen die Erkenntnis verloren gegangen zu sein, dass Grundrechteingriffe im Rechtsstaat zunächst geeignet und erforderlich sein müssen.

Ich mache Ihnen dies an zwei Beispielen deutlich. Sie weiten die Befugnisse für die KFZ-Kennzeichenerfassung aus. Eben jener Kennzeichenerfassung, die sich als weitgehend sinnlos im Kampf gegen den KFZ-Diebstahl erwiesen hat, weil in guten Jahren gerade Mal eine höhere einstellige Zahl an gestohlenen KFZ gefunden wird. Dieses unnütze System wird bei rückläufiger Zahl von Kfz-Diebstählen -ausgeweitet. Das zeigt doch: Bei diesem Gesetz geht es nicht um Kriminalitätsbekämpfung, sondern nur um die Etablierung von mehr Überwachung. Ähnlich deutlich wird dies bei der präventiven TKÜ. Ihre Notwendigkeit begründen Sie mit der Abwehr terroristischer Gefahren. Sie verschweigen aber, dass für terroristische Gefahren das BKA zuständig ist und aufgrund Änderung des Strafgesetzbuches es darüber hinaus kaum noch möglich ist terroristische Handlung zu erdenken, ohne bereits eine Straftat begangen zu haben. In diesem Fall greift die StPO und eben nicht das Polizeigesetz. Sie brauchen die TKÜ also gar nicht für den Terrorismus. Vielmehr geht es Ihnen darum, wie immer Befugnisse mit dem Kampf gegen den Terror zu begründen, die dann für weit weniger schwere Gefahren genutzt werden. Es ist dasselbe Spiel, mit dem seit Jahren die Sicherheitsgesetze in Deutschland in einer Spirale von Bürgerrechteingriffen verschärft werden, das Sie heute hier weiter treiben.

Ich kann es Ihnen an dieser Stelle nicht ersparen, darauf hinzuweisen, dass SPD und CDU in diesem Hause in den letzten Jahren alle Versuche einer unabhängigen Evaluation der Sicherheitsgesetzgebung abgeblockt haben, aber jetzt so tun, als wäre dieser Gesetzentwurf alternativlos. Das ist schlicht absurd. Werte Kolleginnen und Kollegen, eine Vielzahl der neuen Befugnisse sind gegen Bürgerinnen und Bürger gerichtet, die vielleicht irgendwann mal verdächtigt werden könnten. In einem liberalen Rechtsstaat haben die Menschen aber den Anspruch, von den Sicherheitsbehörden unbehelligt zu bleiben, wenn sie sich nichts haben zu Schulden kommen lassen. Diesen Grundsatz kehren Sie mit dem neuen Polizeigesetz einfach mal um. Darüber hinaus gehen Sie mit der Einführung der intelligenten Videoüberwachung einen großen Schritt in den Überwachungsstaat. Dies ist nicht nur moralisch verwerflich, den öffentlichen Raum derart kontrollieren zu wollen, es ist auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig. Spätestens nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur automatisierten Kennzeichenerfassung, ist die intelligente Videoüberwachung tot, da sie auch die konkrete Identifikation von Personen zulässt.

Werte Kolleginnen und Kollegen der Koalition,

niemand verbietet Ihnen verfassungskonforme Gesetze zu verabschieden. Im Gegenteil, auch dieser Landtag ist im Rechtsstaat an die Verfassung gebunden. Insoweit hätte dieses Überwachungsmonstrum nach der jüngsten Entscheidung aus Karlsruhe in den Papierkorb gehört. Nicht zuletzt zeigt ein bedeutendes Missverhältnis, wie wichtig ihnen tatsächlich die immer wieder propagierte angebliche >>Ausgewogenheit von Freiheit und Sicherheit<< ist. Sie schaffen eine umfassende Befugnis für die Errichtung gigantischer Datenbanken in der Polizei, in der zukünftig noch mehr über die Bevölkerung gespeichert werden kann, ohne dass diese auch nur im Ansatz weiß, was in einer solchen gespeichert wird. Gleichzeitig schaffen sie es nicht, im heute auch zu verabschieden Datenschutzumsetzungsgesetz, auch nur im Ansatz dem Datenschutzbeauftragten die notwendigen Befugnisse zu geben, diese wirksam zu kontrollieren. Mehr Befugnisse und kaum Kontrolle – das ist nicht nur unvernünftig, das ist schlicht Grundrechtsharakiri. Nicht zuletzt ist es für uns GRÜNE auch nicht hinnehmbar, dass die einzigen notwendigen Änderungen, die es derzeit im Polizeirecht überhaupt bräuchte, fehlen; nämlich seine wirklich unabhängigen Beschwerdestelle und endlich die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibedienstete.

Damit kann ich nur konstatieren: Wer die ursprüngliche Idee des Rechtstaates ernst nimmt, kann einem solchen Polizeigesetz nicht zustimmen. Wenn Sie die also nun den Rechtsstaat als Begründung für diesen Frontalangriff auf die Bürgerrechte heranziehen, dann versündigen Sie sich an einer der größten Ideen der Menschheit. Ich sage Ihnen daher ganz klar: Wer vom Rechtsstaat spricht, aber Bürgerrechte ignoriert und schamlos die Grundrechte aushöhlt, sollte lieber schweigen – zumindest aber die Finger von Gesetzgebung lassen. Wir werden diesen Gesetzentwurf aus tiefster Überzeugung, der Freiheit zuliebe, ablehnen und als entschiedene Kritiker nichts unversucht lassen, Ihn zu stoppen.

Vielen Dank.

>> Informationen zur Verschärfung des Sächsischen Polizeigesetzes hier

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