– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor drei Tagen haben wir den Jahrestag unseres Grundgesetzes begangen. Eine Verfassung, die die Freiheitsrechte des einzelnen schützt und einen liberalen Verfassungsstaat konstituiert. Unsere bundesdeutsche Verfassung und auch unsere Sächsische Verfassung haben dem Gesetzgeber einen Auftrag gegeben, stets die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger als eine der zentralen Maximen unseres Handelns zu antizipieren, gerade wenn es um die Eingriffe des Staates in Bürgerrechte und den höchst persönlichen Lebensbereich geht.
In der Sicherheitsgesetzgebung liegt damit einer der sensibelsten Bereiche für den Gesetzgeber. Das Bundesverfassungsgericht und auch die Landesverfassungsgerichte haben kaum noch zählbar die Versuche der Gesetzgeber abgewehrt, unverhältnismäßig die Bürgerrechte auf dem Altar der Illusion von mehr Sicherheit zu opfern. Es kann aber nicht das Ziel des Gesetzgebers und der Regierung sein, sich stets, wie jüngst beim BKA-Gesetz, von Verfassungsgerichten erzählen zu lassen, dass man mal wieder über das Ziel hinaus geschossen sei und verfassungswidrig gehandelt hätte. Das ist nicht nur peinlich, sondern zeigt jedes Mal dem Gesetzgeber seine Unzulänglichkeit offenkund auf.
Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgericht zum BKA-Gesetz hat auch Auswirkungen auf Sachsen, zumindest in der Frage der Kontakt- und Begleitpersonen bei polizeilichen Maßnahmen. Das Urteil hat zur Zulässigkeit der Überwachung des Umfelds einer Zielperson unmissverständlich klargestellt, dass es für die Anordnung von Maßnahmen gegen Dritte – z.B. Kontakt- und Begleitpersonen – eine definierte Tatnähe bedarf. Nur in dieser Ausgestaltung sind Überwachungsmaßnahmen auch gegenüber selbst nicht verantwortlichen Personen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Warum erzähle ich Ihnen das?
§ 35 Abs. 3 SächsPolG definiert Kontakt- und Begleitpersonen demgegenüber noch sehr viel weiter.
Hier wird lediglich die persönliche oder geschäftliche Nähe, längere oder konspirative Verbindung vorausgesetzt. Demnach können gegen dieses Umfeld von Zielpersonen auch längerfristige Observationen, Bild- und Tonaufnahmen sowie -aufzeichnungen durchgeführt oder verdeckte Ermittler eingesetzt werden. Dieser Paragraph des Polizeigesetzes muss daher dringend überprüft werden.
Aber nicht nur das. Bürgerrechtspolitik in Sachsen ist in den letzten Jahren vor allem ein Kampf gegen die Einschränkung der Bürgerrechte statt ein Kampf für mehr Freiheiten. Und da ist es egal, ob die CDU mit der FDP oder der SPD regierte. Wurde ein Sicherheitsgesetz angefasst, kam es stets nur zu Verschärfungen und selten zu Erleichterungen für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Freistaat. Nach dem 11. September 2001 begann auch in Sachsen das, was der Staatsrechtler Günther Frankenberg als den Weg von der Gefahrenabwehr zur reinen Risikovorsorge beschrieben hat.
Es ist an der Zeit für eine Evaluation der Sicherheitsgesetze in Sachsen. Es müssen endlich die Auswirkungen der Verschärfungen überprüft und gegebenenfalls im Sinne einer liberalen, freiheitlichen Bürgerrechtspolitik angepasst werden.
Wir brauchen eine Evaluation des Wildwuchses der Eingriffsbefugnisse. Mindestens die Verschärfungen, die 2012 unter der CDU und einer vermeintlichen Bürgerrechts-Partei wie der FDP verabschiedet wurden, müssen geprüft werden. Damals wurde die Kennzeichenerkennung eigenführt, die ganz offensichtlich ein durchschlagender Erfolg ist.
Sage und Schreibe fünf aufgeklärte KfZ-Diebstähle und unzählige Verstöße gegen das Pflichtversicherungsgesetz standen 2014 einem massiven Eingriff in die Bürgerrechte und bis zu 3 Millionen erfassten Kennzeichen gegenüber. Das ist unverhältnismäßig und gehört überprüft.
Die mutmaßlich rechtswidrige Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse gegen Kontakt- und Begleitpersonen wurde 2012 vorgenommen und der Gefahrenbegriff bei der Rasterfahndung aufgeweicht. Niemand weiß bis heute, ob das notwendig war, ob es einen einzige Vorteil für die Behörden gebracht hat und ob es mit Blick auf die Grundrechtseingriffe verhältnismäßig ist. Dies gilt es zu klären, gerade auch aufgrund der jüngeren Rechtsprechung.
Oder nehmen wir §41 SächsPolG, die Regelung zur präventiven Wohnraumüberwachung. Professor Hartmut Aden fragte in der Anhörung zur Änderung des sächsischen Polizeigesetzes, welche Anwendungsbereiche es dazu überhaupt gebe. Wir können ihm fünf Jahre nach Inkrafttreten dieser Regelung antworten: Keine. Nicht einmal wurde Gebrauch von dieser Befugnis gemacht. Da muss man doch ernsthaft prüfen, ob die Vorschrift nicht besser auf den Müllhaufen der Sicherheitsgesetzgebung gehört.
Wir brauchen eine Evaluation der Datenerhebungen und der Weitergabebefugnisse. Hier hat das Bundesverfassungsgericht klare Maßstäbe angelegt, was zulässig ist und was nicht. Deshalb müssen wir unsere Vorschriften in Sachsen unbedingt unter die Lupe nehmen.
Wir brauchen aber auch eine Evaluation hinsichtlich der Anwenderfreundlichkeit der rechtlichen Grundlagen. Die rechtlichen und sprachlichen Unklarheiten unserer Sicherheitsgesetze sind beispielsweise für Polizisten zum Problem geworden. Hier gilt es ganz praktisch Nachbesserungsbedarf zu erkennen und dann umzusetzen.
Der Bund ist bei der Evaluation mit gutem Beispiel vorangegangen und hat 2013 eine höchst umfangreiche Evaluation seiner Sicherheitsgesetze vorgenommen. Diese wurde in Politik und Wissenschaft sehr positiv wahrgenommen.
An dieses gute Beispiel sollten wir uns in Sachsen anlehnen und eine eigene externe Evaluation mit Fachleuten durchführen, um Transparenz und Klarheit gegenüber dem Gesetzgeber und den Menschen in Sachsen zu schaffen.
Eine Evaluation ist auch nichts Ungewöhnliches. Bei der Bestandsdatenauskunft wurde 2013 sogar explizit eine Einzelevaluation im Gesetz (§42) verankert. Überdies ist der ganze Koalitionsvertrag eine einzige Evaluationsanordnung. Von daher gehe ich davon aus, dass unser Antrag auf breite Zustimmung stoßen dürfte.
Werte Kolleginnen und Kollegen, eine der Säulen des liberalen Rechtsstaates ist das gesunde Misstrauen in staatliches Handeln, gerade in einem sensiblen Bereich wie der Sicherheitsgesetzgebung. Schon alleine deshalb braucht hier eine stetige Evaluation und stetige Überprüfung des gesetzgeberischen Handelns. Dies wollen wir mit unserem Antrag unterstützen.
Lassen Sie uns gemeinsam mit einem solchen Evaluationsprozess deutlich machen, dass unsere Antwort auf die derzeitige Bedrohung der Freiheit die Überprüfung der Einschränkung der Freiheit ist und dass wir ein Freistaat sind, der diesen Namen verdient hat.
Vielen Dank.