– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
die Bundesrepublik Deutschland war in den vergangenen Wochen und Monaten mehrfach ein grausiger Schauplatz für islamistischen Terror.
Beim Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz starben 12 Menschen verschiedener Nationalitäten, 55 weitere wurden z.T. schwer verletzt. Der Täter, ein radikalisierter Islamist, den mehrere Bundes- und Landesbehörden bereits als solchen auf dem Radar hatten.
Auch der Syrer Jaber Al-Bakr, der sich in Sachsen aufhielt und der einen Selbstmordanschlag auf einen Ort mit hohem Besucheraufkommen geplant hat, hat sich wohl erst während seines Aufenthalts in Deutschland und während zweier Reisen in die Türkei in dieser Zeit islamistisch radikalisiert.
Es soll uns heute, anders als gestern, aber nicht darum gehen, ob sächsische Sicherheitsbehörden oder solche des Bundes, alles Erforderliche getan haben, diese Anschläge zu verhindern. Es geht uns GRÜNEN mit unserem Antrag um den Prozess der Radikalisierung und darum wie sich dieser aufhalten lässt bzw. im besten Falle, wie es erst gar nicht dazu kommt.
Denn: Wenn Polizei und Staatsanwaltschaft bei islamistischer Radikalisierung eingreifen müssen, ist es in der Regel schon viel zu spät. Deshalb braucht es eine wirksame und zielgerichtete Prävention.
Auch wenn es auf den ersten Blick und nach den eingangs geschilderten Fällen so aussieht: Islamistische Radikalisierung ist keineswegs ein Phänomen, welches nur muslimische Geflüchtete bzw. Menschen mit Migrationserfahrung betrifft.
Seit 2013 fanden mehr als 840 Ausreisen aus Deutschland nach Syrien oder in den Irak statt, mit dem Ziel, dort für den Islamischen Staat an Kampfhandlungen teilzunehmen. Viele derjenigen, die sich dort ausbilden lassen oder dort kämpfen, sind Deutsche, es sind Männer und auch Frauen. Zumeist sind es junge Menschen, viele davon ohne Migrationsgeschichte.
Einige dieser Menschen sind bei den Kriegshandlungen gefallen, andere sind in Syrien oder im Irak verblieben. Ein gewisser Teil jedoch kommt auch zurück, ausgebildet an Schusswaffen und anderem Gerät.
Hinzu kommen all jene, die sich radikalisieren, ohne die Bundesrepublik zu verlassen. Ich erinnere beispielsweise an die sogenannte Sauerlandgruppe oder an die Tat eines 16-jährigen Mädchens, dass im vergangen Jahr auf einen Polizisten einstach. Ihre Radikalisierung und Indoktrination begann bereits im Grundschulalter, an einer Reise nach Syrien hinderte sie ihre Mutter. Insgesamt zählen die Behörden in der Bundesrepublik 570 islamistische Gefährder und ein erhebliches Radikalisierungspotenzial
Dass das Problem auch in Sachsen virulent ist, zeigt jedoch nicht nur die Causa Al-Bakr, sondern auch Fälle wie der der mutmaßlichen Dschihadisten aus Dippoldiswalde. Von dort aus waren zwei 21 und 19 Jahre alte Deutsche im Herbst 2014 nach Syrien aufgebrochen, um in den Heiligen Krieg zu ziehen. Während der Ältere sich nach kurzer Zeit den Behörden in der Türkei gestellt hat, fehlt von dem anderen seither jede Spur. Ebenso von einer nunmehr 16-jährigen Pulsnitzerin, die zum Islam konvertiert war und im letzten Jahr in die Türkei ausreiste.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
Wie können wir eine solche Radikalisierung von Menschen in Deutschland verhindern, ohne das ganz große sicherheitsrechtliche Besteck – wie Fußfesseln, Abschiebehaft oder sonstige polizeiliche Maßnahmen – auszupacken? Das ist die Frage, die wir uns – auch hier in Sachsen – stellen müssen. Denn all die erwähnten Fälle zeigen, islamistische Radikalisierung ist ein vielschichtiges und umfassendes Problem.
Andere Bundesländern haben verschiedene Programme aufgelegt und zielgruppenspezifische Angebote geschaffen. In Hessen bspw. beinhaltet das „Präventionsnetzwerk gegen Salafismus“ eine Beratungsstelle, ein Landesprogramm „Extremismusprävention Flüchtlinge“ sowie Modellprojekte zur Radikalisierungsprävention. In Nordrhein-Westfalen wird u. a. die islamische Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten ausgebaut, um dort einer Radikalisierung vorzubeugen.
In Sachsen gibt es solche Angebote bislang nicht. (Auch wenn der Justizminister in der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Kollegin Petra Zais angibt, dass der Violance Prevention Network e.V. in der Jugendstrafanstalt Regis-Breitingen beauftragt ist, mit gewaltbereiten Jugendstrafgefangenen ein Trainingsprogramm zur Deradikalisierung umzusetzen, so hat er doch verschwiegen, dass der Verein derzeit ausschließlich mit rechtsextremen Jugendlichen arbeitet und für mehr wohl auch kein Geld bekommt.)
Wir haben deshalb bereits im Rahmen der Haushaltsverhandlungen mit einem entsprechenden Antrag gefordert, ein zielgruppenorientiertes Präventionsprogramm aufzulegen. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, er sei zu unklar, die Konzeption dafür fehle.
Parallel dazu konnten wir der Presse entnehmen, dass der Landespräventionsrat ein Konzept zur Radikalisierungsprävention erarbeiten werde. Da fragt man sich, warum man dafür nicht zusätzliche Mittel einstellen sollte. Doch wenn man sich die Vorstellungen des Landespräventionsrats zu diesem Konzept anschaut, dann weiß man auch warum. An Aufgaben hat die geplante Beratungs- und Koordinierungsstelle nämlich nur den Kontakt zu muslimischen Organisationen, die Funktion des Ansprechpartners für Mitarbeiter von Verwaltung und Flüchtlingsheimen, die Beratung von Angehörigen sowie die Beratung aussteigewilliger Islamisten.
All diese Angebote sind wichtig, Sie finden sie auch in unserem Antrag. Was jedoch gänzlich fehlt – und wofür wir die erforderlichen Mittel beantragt haben – ist aufsuchende Sozialarbeit. Es reicht unseres Erachtens bei erfolgreicher Präventionsarbeit nicht, dass sich Islamisten an eine Aussteigerhotline wenden können, diese Programme funktionieren auch bei Rechtsextremen nicht.
Wichtig ist es, dass sich Verwaltungsmitarbeiter, etwa von Jugendämtern oder aus dem Justizvollzug, Flüchtlingshelfer und Eltern an Beratungsstellen wenden können. Wichtig ist es, Lehrer so fortzubilden, dass sie das Phänomen islamistischer Radikalisierung einordnen können. Am wichtigsten ist aber, dass der Kontakt mit den Menschen, die auf dem Weg der Radikalisierung sind, aktiv gesucht wird – in der Jugend- und Schulsozialarbeit, in der Gefängnisseelsorge, in den Flüchtlingsunterkünften.
All das vermisse ich in den Ankündigungen des Landespräventionsrats – die Konzeption selbst habe ich – zumindest auf der Homepage – nicht gefunden. Mir ist es schwer begreiflich, dass Sie, Herr Innenminister oder Sie, Frau Integrationsministerin, nach dem Fall des Samuel W., dessen Anklage durch die Presse ging, nach dem Fall Albakr oder dem Anschlag von Berlin ein solches Präventionsprogramm noch nicht zur Chefsache gemacht haben. Es muss doch auch in ihrem ureigensten Interesse liegen, die Terrorgefahr, die von radikalen Islamisten ausgehen kann, so früh wie möglich zu bannen.
Am Geld kann und sollte es nicht liegen. Der Bayrische Haushaltsgesetzgeber hat 2016 für sein Präventionsprogramm 2,2 Mio. Euro bereitgestellt und dafür sogar einen Nachtragshaushalt beschlossen. Auch in Hessen wurden für Präventionsmaßnahmen allein in 2016 1,2 Mio. Euro in den Haushalt zum Großteil neu eingestellt. In Sachsen hingegen werden für Modellprojekte zur Verfügung stehende Bundesmittel über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ mangels Ideen und Ansätzen nicht abgerufen. Das darf nicht sein! Eine solche Situation ist schlicht unverantwortlich und fahrlässig.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
Sachsen braucht dringend ein integriertes und konsolidiertes Handlungskonzept und zielgruppenspezifische Angebote, für Geflüchtete, Deutsche und Gefangene zur Vermeidung von Radikalisierung. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu unserem Antrag.
Rede des Abgeordneten Valentin Lippmann (GRÜNE) zum Antrag der Fraktion GRÜNE: ‚Zielorientiertes Präventionsprogramm zur Verhinderung islamistischer Radikalisierung in Sachsen auflegen‘ (Drs 6/7214)
49. Sitzung des Sächsischen Landtags, 02. Februar, TOP 8