Rede des Abgeordneten Valentin Lippmann zum Antrag der Fraktionen GRÜNE „Zeugnisverweigerungsrecht für Fansozialarbeit und für weitere staatlich anerkannte Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen schaffen“ (Drs 6/16865), 91. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 11. April, TOP 13
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit unserem Antrag fordern wir, dass sich die Staatsregierung über den Bundesrat für eine Änderung der Strafprozessordnung einsetzt. Wir fordern ein Zeugnisverweigerungsrecht für Fansozialarbeit und für weitere staatlich anerkannte Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen.
Das Recht, bei einer Vernehmung als Zeugin oder als Zeuge, seine Aussage zu verweigern, gilt z. B. für Rechtsanwält*innen, Geistliche, Journalist*innen oder auch für jeden von uns hier in diesem hohen Hause. Grundsätzlich besteht vor deutschen Gerichten die Pflicht, wahrheitsgemäß auszusagen. Bei den genannten Berufsgruppen ist demgegenüber anerkannt, dass sie in einem besonderen Vertrauensverhältnis mit denjenigen stehen, die ihre Hilfe und Sachkunde in Anspruch nehmen. Sie können vor Gericht die Aussage verweigern, wenn dieses besondere Vertrauensverhältnis betroffen ist. § 53 StPO regelt die „privilegierten“ Berufsgruppen abschließend.
Gegen die Aufnahme von staatlich anerkannten Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen wird nunmehr – so der Justizminister in der Stellungnahme zu unserem Antrag – angeführt, dass sie dem Interesse der vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren entgegenstünden.
Mit dieser Argumentation, verehrter Herr Kollege Gemkow, kommen sie nicht weiter. Damit müssten sie jedes Zeugnisverweigerungsrecht abschaffen.
Es kann also – und so ist es in Wissenschaft und Rechtsprechung anerkannt – nur auf das konkrete Verhältnis zwischen einer Berufsgruppe und ihren Bezugspersonen ankommen, das auf einer Vertrauensbeziehung aufbaut.
Das Bundesverfassungsgericht hat – wohlgemerkt schon vor langer Zeit – anerkannt, dass das Vertrauensverhältnis in beratender Sozialarbeit durchaus bedeutsam sei, es aber nicht typischerweise auf die Erwartung der Klient*innen gründet, dass die oder der Sozialarbeiter*in über das Privatleben schweigen werde.
Seit 1972 (so alt ist die Entscheidung) hat sich aber viel geändert: Die Beschreibung von sozialer Arbeit, wie sie noch der Entscheidung zugrunde lag, entspricht heute nicht mehr der Praxis. Deutlich wird dies besonders in der Entwicklung des strafrechtlich abgesicherten Geheimnis- und Sozialdatenschutzes, der insbesondere in der Kinder- und Jugendhilfe mit umfassenden Schweigepflichten einhergeht.
Und – darauf geht der Justizminister leider nicht ein – diese Schweigepflichten sind strafbewehrt. Nach § 203 StGB machen sich auch staatlich anerkannte Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen strafbar, wenn sie unbefugt fremde Geheimnisse offenbaren. Die Sozialarbeiter*innen sind übrigens erst mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch 1973, also nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ins StGB aufgenommen worden.
Mit der Strafbewehrung der Geheimnisoffenbarung nach dem Strafgesetzbuch einerseits und dem fehlenden Zeugnisverweigerungsrecht andererseits, werden Sozialarbeiter*innen regelmäßig in die schwierige Situation gebracht, sich entscheiden zu müssen: sich möglicherweise strafbar zu machen, weil sie sich offenbaren oder eine Aussage zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zu verweigern.
Sozialarbeiter*innen ist das besondere Vertrauensverhältnis zu ihren Klient*innen besonders wichtig. Sie nehmen zu dessen Schutz sogar nicht unerheblich persönliche Nachteile auf sich. So sind Fälle von Fansozialarbeiter*innen bekannt, die vor Gericht ihre Aussage zu ihren Fanbeziehungen verweigerten und deshalb ein Ordnungsgeld auferlegt bekamen. Solche Zeugniserzwingungsverfahren können bis zur Beugehaft gehen.
Gerade ein so großer persönlicher Einsatz macht deutlich, wie wichtig der Erfolg von Sozialarbeit auf einem nachhaltigen Vertrauensverhältnis beruht und wie präsent den Sozialarbeiter*innen ist, was ihre Aussage vor Gericht zerstören kann. Denn eines ist klar, wird ein Sozialarbeiter gezwungen, sein Vertrauensverhältnis zu seinem Klienten zu verletzen, so zerstört er nicht nur das, sondern er kann auch zu seinen künftigen Klient*innen keines mehr aufbauen, weil seine Aussagepflicht wie ein Damoklesschwert über seiner Arbeit schwebt.
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
warum haben wir GRÜNEN das Thema mit der Fansozialarbeit verknüpft?
Das Vertrauensverhältnis zwischen den Fansozialarbeiter*innen der Fanprojekte und den Fans wurde in Sachsen nachhaltig beschädigt. Nicht nur der Überwachungsskandal in der Fußballszene in Leipzig betraf gezielt die Fansozialarbeit, sondern auch die Durchsuchung des Dresdner Fanprojekts im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen Fußballfans wegen des martialischen Auftritts in Karlsruhe 2017 hatte zum Ziel, Informationen aus dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Fansozialarbeit und den Fans zu ziehen.
Alle in diesem Hause, wissen um die wichtige Arbeit der Fanprojekte und dort tätigen Fansozialarbeiter*innen. Im Nationalen Konzept Sport und Sicherheit wird anerkannt, dass Fanprojekte eine besondere Form der Jugend- und Sozialarbeit leisten. „Sie zeichnen sich“ – ich zitiere – „durch einen szenenahen und sozialpädagogischen Zugang zu den aktiven Fanszenen aus“. „Basis für eine erfolgreiche Fanarbeit ist ein durch intensive Beziehungsarbeit aufgebautes Vertrauensverhältnis zur Zielgruppe.“
Wir GRÜNEN sind der Auffassung, wenn Sie auf die Fanprojekte und ihre wichtige Arbeit, auch in Sachen Gewaltprävention, setzen, dann sollten sie das dafür wichtige Vertrauensverhältnis endlich auch gesetzlich anerkennen und sich für ein Zeugnisverweigerungsrecht von staatlich anerkannten Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen einsetzen.
Zum Schluss noch eine kurze Anmerkung in Sachen Anerkennung von Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen: In dem von der Staatsregierung vorgelegten Entwurf über ein Justizvollzugsdatenschutzgesetz (das, nebenbei gesagt, ebenfalls eine verfassungswidrige Zumutung ist) ist § 46 mit der Überschrift „Berufsgeheimnisträger“ überschrieben. In Nummer 3 des Absatzes 1 sind dann neben Rechtsanwält*innen etc. auch staatlich anerkannte Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen aufgezählt. Manchmal sind auch Sie in der Staatsregierung schon viel weiter als sie denken.
Wir bitten daher um Zustimmung.
Vielen Dank!