Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zur Fachregierungserklärung zum Thema: „Mit Bürgersinn – für ein starkes, sicheres und lebenswertes Sachsen“
51. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 01.06.2022, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
der Innenpolitik, gerade in Sachsen, ist inhärent, dass sie ein permanentes Leben in der Lage ist; dass wir zu viel – und zurecht – über einzelne Ereignisse und schwerwiegende Probleme reden müssen, anstatt über Grundsätze. Dabei ist es gerade die Innenpolitik, die wie kaum ein anderes Politikfeld, in fast allen ihrer Ausprägungen, ein permanentes Austarieren zwischen den Rechten der Bürgerinnen und Bürger und der Befugnisse des Staates ist. Innenpolitik ist eigentlich im klassischen Sinne höchste Staatskunst.
Die Regierungserklärung des neuen Innenministers zur Halbzeit dieser Koalition bietet daher die Chance, über ein paar Grundsätze zu reden, die die Basis unseres politischen Handelns sein sollte, wenn wir über Staat, Gesellschaft und Sicherheit reden. Denn nur so kann es uns gelingen, ein gemeinsames Verständnis dessen zu schaffen, wie wir tatsächlich ein lebenswertes Sachsen für als Menschen im Freistaat schaffen können.
Vorweg gilt es dabei in notwendiger Klarheit Folgendes zu konstatieren: Dieses lebenswerte Sachsen wird so stark bedroht wie kaum bisher – sowohl durch ein gesellschaftliches Klima, das sich zunehmend gegen die grandiose Idee des freiheitlichen Rechtsstaates stellt, als auch durch die Änderung des natürlichen Klimas, das unser Lebensgrundlagen auch im Freistaat in Frage stellt. Diese Bedrohung durch rechtextreme Verfassungsfeinde und klimawandelbedingte Waldbrände, durch Hass, Hetze und Gewalt und extreme Hochwasser sind die innenpolitische Realität in Sachsen.
Wer in diesem Land den Anspruch erhebt, Innenpolitik gestalten zu wollen, der muss den Anspruch haben, sowohl den Auswirkungen des gesellschaftlichen und des natürlichen Klimawandels mit größtmöglicher Entschiedenheit und unverbrüchlicher Klarheit entgegenzutreten.
Sehr geehrte Damen und Herren,
der erste Grundsatz eine solchen Innenpolitik muss sein, die Bürgerinnen und Bürger zu ermächtigen, stärker für die Demokratie einzustehen.
Ohne engagierte Demokratinnen und Demokraten ist unsere Verfassungsordnung schlicht eine leere Hülle. Unser Grundgesetz ist kein Abstraktum, unsere Verfassung kein Buch, das man ins Regal stellt, unser Grundgesetz und auch die Sächsische Verfassung sind eine Werteordnung, die darauf baut, dass Menschen sie tagtäglich mit Leben füllen.
Viel zu Lange hat ein paternalistischer Politikstil die Bürgerinnen und Bürger in den privaten und wirtschaftlichen Raum zurückgedrängt. Unser Ziel als BÜNDNISGRÜNE ist ein Kulturwandel, der Einmischung möglich macht und fördert – und nicht sanktioniert.
Es ist die vornehmste Aufgabe von Politik, die Menschen dazu zu ermächtigen und zu ermutigen, unsere Demokratie zu verteidigen, indem sie sie tagtäglich leben. Unser Ziel muss es sein, jene Menschen zu unterstützen, die ihre Kraft und ihre Ideen dazu nutzen wollen, unsere Gesellschaft im Großen wie im Kleinen besser zu machen – denn das ist die wahre Förderung von Bürgersinn.
Deshalb haben wir als Koalition mit der Kommunalrechtsnovelle die Beteiligungsmöglichkeiten und Entscheidungsrechte der Bürgerinnen und Bürger verbessert und deshalb werden wir hoffentlich auch bald als Meilenstein für einen modernen Staat endlich ein Transparenzgesetz in Sachsen beschließen.
Für uns ist klar: Der Staat ist nichts Abstraktes. Der Staat sind wir alle. Unsere freiheitliche Demokratie kann ohne engagierte Bürgerinnen und Bürger nicht bestehen. Das gilt es einmal mehr in den kommenden Monaten und Jahren in Sachsen deutlicher denn je zu machen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
der zweite Grundsatz muss lauten, dass der freiheitliche demokratische Verfassungsstaat jene schützen muss, die ihn stützen, und entschieden gegen jene vorgehen muss, die ihn stürzen wollen.
Das verlangt bei den Sicherheitsbehörden dann auch eine klare Prioritätensetzung. In Zeiten, in denen es bis weit in die vermeintliche Mitte der Gesellschaft opportun scheint, unsere freiheitliche Demokratie beseitigen zu wollen und zum Systemsturz zu blasen, ist es endgültig soweit, das Hufeisen an den Nagel zu hängen, anstatt damit weiter Politik machen zu wollen. Die größte Bedrohung unserer Gesellschaft ist der Rechtsextremismus. Dieser gilt es sich mit aller Macht entgegenzustellen. Genau dafür hat die Staatsregierung, auf Beschluss dieses Hauses, das Gesamtkonzept gegen Rechtextremismus vorgelegt, das ein Meilenstein im Kampf für unsere Demokratie und gegen Verfassungsfeinde darstellt.
Darauf können, darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen. Wir müssen in Sachsen weiter die Anstrengungen intensivieren, Rechtsextremen ihre Rückzugsräume zu nehmen. Wenn Reichsbürger Schlösser kaufen und die Zahl der von Rechtsextremen genutzten Immobilien schlicht nicht kleiner wird, dann müssen wir konstatieren, dass die bisherigen Anstrengungen nicht ausgereicht haben und wir mehr tun müssen, um eine solche rechte Landnahme zu verhindern.
Und wir dürfen uns auch nicht damit zufriedengeben, dass es angeblich so kompliziert sei, die Finanzierung der rechten Szene endlich einmal vollständig zu durchleuchten. „Follow the money“ muss auch bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus zu einer der obersten Maximen werden.
Und ganz klar ist auch, dass zu einem entschiedenen Vorgehen – neben einer konsequenten Entwaffnung von Neonazis – auch das Vorgehen gegen rechtsextreme Mobilisierung auf der Straße, wie sie derzeit vor allem durch die Freien Sachsen erfolgt und sie genauso in den Sozialen Netzwerken niederschlägt.
Sehr geehrte Damen und Herren,
der Staat hat einen Schutzauftrag gegenüber denjenigen, die sich für die Demokratie einsetzen. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Menschen verstummen, wenn wir eine starke freiheitliche Demokratie leben wollen.
Wenn es Bürgersinn ist, sich zum Wohle unserer freiheitlichen Demokratie einzumischen, dann ist es Staatssinn – in der ursprünglichsten Bedeutung – diesen Diskursraum unserer Demokratie vor Hass, Hetze und Gewalt zu schützen.
Dabei ist offenkundig: Es kann keinen wirksamen Schutz gegen Hass und Hetze geben, wenn nicht der letzte Polizist in der kleinsten Polizeidienststelle verinnerlicht hat, dass Hass und Hetze im Internet keine Bagatellen sind, sondern Straftaten, die zum Schutz unserer Demokratie entschieden verfolgt werden müssen.
Deswegen braucht es nicht nur bessere Schulungen und einheitliche Standard, sondern auch endlich anonyme Meldemöglichkeiten verbunden mit der klaren Aufforderung an jede und jeden aufrechten Demokraten: Schauen Sie nicht zu, wenn sich Hass und Hetze entladen, sondern melden sie entsprechende Taten!
Sehr geehrte Damen und Herren,
der dritte Grundsatz muss die unverbrüchliche rechtsstaatliche Integrität staatlicher Institutionen sein. Der freiheitliche demokratische Rechtsstaat kann nur erfolgreich bestehen, wenn seine Institutionen über jeden Zweifel erhaben sind, auf dem Boden eben jener Werteordnung des Grundgesetzes zu stehen. Das gilt für die gesamte staatliche Verwaltung, aber noch einmal mehr für die Sicherheitsbehörden – gerade auch für die Polizei.
Herr Staatsminister, ich bin Ihnen dankbar für ihre Worte zum grundsätzlichen Anspruch an unsere Polizei. Wir dürfen nicht zulassen, dass wir uns auf dem Lamento ausruhen, dass die Polizei nunmal einen Querschnitt der Gesellschaft darstellen soll. Nein, die Polizei ist die sichtbare Vertreterin des staatlichen Gewaltmonopols, mit den Befugnissen in Grundrechte einzugreifen. Schon allein dies gebietet, dass die Polizei nicht Querschnitt ist, sondern eine über jeden Zweifel an der verfassungsmäßigen Grundierung erhabene Institution darstellen muss.
Deswegen brauchen wir eine reformierte Ausbildung, die jene Werte lehrt, die die Polizei umsetzen und schützen soll, wie wir sie bereits angegangen sind und noch weiter vertiefen müssen. Auch der Leitbildprozess für eine moderne, den Grundsätzen des demokratischen Rechtstaates verpflichtete Polizei muss in den kommenden Monaten weiter intensiviert werden.
Wir werden aber auch als Koalition die vereinbarten Maßnahmen umsetzen, um das Vertrauen in die Polizei wieder zu stärken. Dazu gehört für uns BÜNDNISGRÜNE ganz klar die zügige Umsetzung der Kennzeichnungspflicht und die bürgerrechtliche Grundierung des Einsatzes der Bodycam. Hier werden wir nicht lockerlassen! Denn diese Instrumente sind Ausdruck eines Staates, der offen und transparent seinen Bürgerinnen und Bürgern gegenübertritt.
Klar ist aber auch, dass wir in den vergangenen Monaten und Jahren in erschreckender Regelmäßigkeit vor Augen geführt bekommen haben, dass wir mit größtmöglicher Entschlossenheit gegen Verfassungsfeinde im Staatsdienst vorgehen müssen. Wir müssen den Kampf nach Innen intensivieren. Wer Verfassungsfeind ist, hat im Staatsdienst nichts zu suchen!
Sehr geehrte Damen und Herren,
der vierte Grundsatz ist für uns BÜNDNISGRÜNE, dass Sicherheit in einem liberalen Verfassungsstaat im Kern bedeutet, dass alle Bürgerinnen und Bürger sicher sein können, dass ihre Freiheit nicht unverhältnismäßig eingeschränkt wird.
Die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Bayrischen Verfassungsschutzgesetz gleicht einem Erdbeben in der Landschaft der Sicherheitsbehörden. Karlsruhe hat noch einmal sehr deutlich gemacht, dass der Staat – selbst im Bereich der Geheimdienste – die Bürgerrechte deutlich mehr zu schützen hat, als dies einigen Apologeten starker Staatlichkeit und entgrenzter Befugnisse lieb ist.
Dass dieses Urteil Auswirkungen auch für Sachsen haben wird, ist sonnenklar. Unsere Aufgabe wird es in den kommenden Monaten sein, die Arbeit des Verfassungsschutzes wieder auf eine rechtsstaatlich saubere Grundierung zu stellen und auch dessen Kontrolle weiter auszubauen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
kommen wir zum fünften Grundsatz. Ein leistungsfähiger Rechtsstaat braucht Personal, damit er seine Aufgaben erfüllen kann. Es ist der Anspruch einer jeden Bürgerin und eines jeden Bürgers, dass der Staat seine Aufgaben erfüllt und die Aufgaben nicht schlicht über fehlendes Personal gesteuert werden.
Wir haben in Sachsen in den vergangenen Jahren dem fatalen Großtrend der Personalkürzungen zunehmend entgegengesteuert und uns in dieser Koalition für neue Grundsätze der Personalplanung entschieden. Damit dürfen wir jetzt nicht aufhören, bloß, weil bei einigen Kollegen wieder der Fetisch des Sparens über die Vernunft moderner Staatlichkeit zu siegen droht.
Wir brauchen in Sachsen ausreichend Polizistinnen und Polizisten genauso wie genügend engagierte Bedienstete in der Verwaltung. Und diese werden immer schwerer zu bekommen.
Ein leistungsfähiger Rechtstaat setzt ein attraktives Staatswesen voraus. Für die Bürgerinnen und Bürger – also für den Staat – sollten nur die besten und engagiertesten arbeiten. Dafür müssen wir weiter bessere Bedingungen schaffen. Denn die besten bekommen wir nicht mit mittelmäßigen Angeboten. Und deswegen werden wir in dieser Koalition weiter entschieden auf die Umsetzung des Koalitionsvertrages drängen und endlich auch die schadfreie Möglichkeit der Versicherung in der Gesetzlichen Krankenversicherung für Beamte forcieren.
Sehr geehrte Damen und Herren,
zur bitteren Erkenntnis der vergangenen Jahre gehört, dass alles Vorgenannte nichts ist, wenn wir nicht Freiheit, Leben, Gesundheit und Eigentum vor der Bedrohung durch Naturereignisse schützen.
Der Klimawandel nimmt uns unsere Freiheit, weil er unsere Sicherheit gefährdet. Deswegen ist für BÜDNDNIS 90/DIE GRÜNEN eindeutig klar, dass wir, wenn wir unsere Freiheit erhalten wollen, konsequent gegen den Klimawandel vorgehen müssen, aber auch unseren Bevölkerungsschutz so aufstellen müssen, dass wir die bereits eingetretenen Folgen gut bewältigen können.
Deswegen brauchen wir ein BRKG, das den Anforderungen unserer Zeit gerecht wird. Und wir brauchen eine Gefahren- und Risikoanalyse, die für ganz Sachsen die tatsächlichen Gefahren auf wissenschaftlicher Grundlage bewertetet und damit die Basis für den Bevölkerungsschutz in Sachsen bildet.
Gerade im Bevölkerungsschutz sehen wir täglich, wie stark das Engagement von Ehrenamtlichen auch unsere Sicherheit gewährleistet. Viele Sächsinnen und Sachsen engagieren sich genau hier für ihre Mitmenschen. Das wollen wir anerkennen und jene stärken, die uns schützen. Dafür braucht es noch mehr Wertschätzung und noch größere Anstrengungen für angemessen Unterbringungs- und Arbeitsbedingungen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sicherheit ist kein Selbstzweck, also keine bloße conditio sine qua non der Politik. Sicherheit conditio per quam für die Verwirklichung der Freiheit als oberstes Ziel staatlichen Handelns. Dies sind die Maßstäbe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gerade in der Innenpolitik.
Von daher ist es Aufgabe der Politik in den kommenden Jahren, jene Rechtsgüter entschieden zu schützen, die die Voraussetzungen sind, damit sich unsere freiheitliche Demokratie durch das Engagement der Bürgerinnen und Bürger für ihre Werte und gegen ihre Feinde bestmöglich entfalten kann.
Wir brauchen eine mutige und engagierte Gesellschaft. Dieses Potential ist vorhanden – es liegt an uns, es durch unser Handeln zu stärken.
Vielen Dank!