Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Gesetzentwurf der Staatsregierung: „Gesetz über den Schutz der Versammlungsfreiheit im Freistaat Sachsen“ (Drs 7/15266)
89. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch 12.06.2024, TOP 8
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
am Anfang waren die Menschen. Die sich auf die Straße drängten, die Reformen forderten. Die aufstanden für ein Leben in Freiheit.
So war es im 18. und 19. Jahrhundert als die Idee der Versammlungsfreiheit als Bürgerrecht entstand. Und so war es als die Menschen in Sachsen mit friedlichen Protesten eine Diktatur niederrangen.
Die Friedliche Revolution hat ganz Deutschland damals auch das weltverändernde Potenzial von gewaltfreien Demonstrationen vor Augen geführt – und die staatsbürgerliche Verantwortungsübernahme war schon sichtbar, bevor die staatsbürgerliche Freiheit gewährleistet wurde.
Versammlungen sind in die DNA des Freistaates nach 1989 eingeschrieben. Und als bekennender Freiheitsrechtler fühle ich mich dieser Tradition verpflichtet und mir ist daher bewusst, dass gerade auch das Versammlungsrecht stets eine Materie ist, die genuin sensibel ist.
Der vorliegende Gesetzentwurf entwickelt das gegenwärtige Versammlungsrecht entscheidend weiter: Es schafft mehr Freiheiten, bringt mehr Rechtssicherheit und passt das Recht an Rechtsprechung und die Zeit an.
Maßstab sind dabei nicht nur unsere Ansprüche an ein modernes Versammlungsrecht, welche wir BÜNDNISGRÜNE 2017 in einem eigenen Gesetzentwurf aufgezeigt haben, sondern die gegenwärtige Rechtslage.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
das gegenwärtige Versammlungsrecht ist vom Rechtstext ein Fossil, basierend auf dem Bundesversammlungsgesetz aus den 1950ern, marginal bei der Übernahme im Landesrecht angepasst.
Das führt zu solchen Kuriositäten, dass nach aktuellem Recht die Möglichkeit zur Auflösung einer Versammlung aufgrund der bloßen Nichtanmeldung normiert ist.
Da winkt der Versammlungsrechtler mit der Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes und weiß, dass das Stuss ist.
Aber wie verhält es sich mit den Rechtanwendern? Für die gilt zunächst das, was im Gesetz steht. Denn Demonstrationen werden nicht von Profis organisiert, sondern von Menschen, die sich in ihrer Freizeit für eine gemeinsame Sache stark machen. Umso wichtiger ist es, dass sie in ein Gesetz schauen können, und wissen, was sie zu tun haben. Vor allem aber: Was die Behörde zu tun hat, zu dulden hat und – am wichtigsten: zu lassen hat.
In unserem schmalen, derzeit geltenden Versammlungsrecht fand sich dazu nicht mehr als einige sehr weiche Generalklauseln, die zu allerlei Vermutungen und Interpretationen einluden. Überformt wurde das ganze durch die Rechtsprechung.
Das führte jedoch dazu, dass man als Veranstalter regelmäßig eigentlich nicht nur das Gesetz, sondern auch die Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts und einen Standardkommentar mit zu Diskussionen mit der Behörde nehmen musste. Recht unpraktisch, es sei denn, man hatte eine Schubkarre dabei.
Da das keineswegs überall Konsens ist, möchte ich einige der größten kursierenden Irrtümer noch einmal kurz ansprechen:
Das betrifft ganz allgemein die Behauptung, mehr Text bedeute immer eine größere Einschränkung der Freiheit. Dem würde ich sogar zustimmen.
Aber die Freiheit, die hier eingeschränkt wird, ist der Beurteilungs- und Ermessensspielraum der Behörden. Gerade im Gefahrenabwehrrecht bedeutet eine Verdichtung des Textes häufig eine Abwendung von Generalklauseln. Und damit auch ein Mehr an Bestimmtheit und Rechtssicherheit.
Das gilt beispielsweise für das Vermummungsverbot, für das Uniformierungsverbot und das Verbot des Führens von Schutzwaffen. All das ist auch dem bislang geltenden Versammlungsrecht nicht fremd. Und es entspringt wesentlich dem Friedlichkeitsgebot.
Nur: Bislang waren Vermummungen, das Mitführen von Schutzwaffen und die Uniformierung in Gestalt des Tragens gleichartiger Kleidungsstücke einfach pauschal verboten. Ausnahmen von diesem Verbot mussten durch die zuständige Behörde erlassen werden.
Und da die Verbote strafbewährt sind, konnte ein Zuwiderhandeln unmittelbar zu einem Strafverfahren führen – ohne, dass die Behörde davor dieses Verbot noch einmal konkretisieren musste.
Das ändern wir nun. Künftig muss durch die Behörde angeordnet werden, welche Gegenstände und Verhaltensweisen von dem Verbot umfasst sind. Und nur dann, wenn gegen eine solche Anordnung verstoßen wird, ist das Verhalten überhaupt strafbar.
Das dürfte ein sehr plastisches Beispiel dafür sein, wie diese sogenannte „Verwaltungsaktsakzessorietät“ für Rechtssicherheit sorgt und Versammlungsteilnehmer*innen vor Unsicherheiten und ja auch Behördenwillkür schützt.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Versammlungen sind ein Stück ungebändigte Demokratie – und als solche in einer freiheitlichen Ordnung unverzichtbar. Denn bürgerschaftliche Freiheit bedeutet nicht nur, Zustimmung oder Ablehnung durch ein Kreuz in der Wahlkabine ausdrücken zu können.
Sie bedeutet auch die Möglichkeit, Missfallen auf die Straße und damit in den öffentlichen Raum tragen zu können. Und das möglichst ohne dass der Staat regulierend eingreift.
Um das weitestgehend zu gewährleisten, ist die Versammlungsbehörde künftig ausdrücklich verpflichtet, Kooperationsgespräche anzubieten. Auch damit stärken wir die Versammlungsanmeldenden. Denn es besteht eben nicht nur die einseitige Pflicht zur Kooperation durch die Behörde, sondern auch deren Verpflichtung, die Gefahrenprognosen zu erörtern. Damit stärken wir den Gedanken, dass die Behörden nicht in erster Linie Regulator, sondern Dienstleister der Versammlungsfreiheit sind.
Das ist ein Paradigmenwechsel hin zu einem modernen Versammlungsrecht. Gleiches gilt für die Normierung des Schutzauftrages für die freie Medienberichterstattung. Die Sicherheitsbehörden haben jetzt geeignete Maßnahmen zu treffen, um Gefahren für die freie Medienberichterstattung aus Versammlungen abzuwehren.
Das sind wir mit Blick auf die vielen Angriffe der vergangenen Jahre den Journalistinnen und Journalisten schuldig. Denn es ist ein Grundrecht, auch über Versammlungen frei zu berichten.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
wir entrümpeln auch das endlich das Versammlungsstrafrecht. Tote und nutzlose Straftatbestände, wie die überwiegend andere Durchführung einer Versammlung als angezeigt, landen im Reißwolf, ebenso wie die bloße Störung einer Versammlung durch beispielsweise friedliche Blockaden künftig nicht mehr strafbar ist.
Und auch die öffentliche Ordnung kann zukünftig nicht mehr als Begründung für Versammlungsverbote herhalten. Ebenso wenig sind die offenkundig verfassungswidrigen Versammlungsverbote an bestimmten Tagen und bestimmten Orten mehr zulässig. Damit beseitigen wir einen Irrweg, gegen den vor fast 15 Jahren SPD, LINKE und wir BÜNDNISGRÜNE Verfassungsklage eingereicht hatten.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
dieser Gesetzentwurf ist vom Grundgedanken eines liberalen Versammlungsrechtes getragen: Wir machen mehr möglich, stärken die Kooperation und beschränken die Kompetenzen der Behörden. Wir wagen MEHR Versammlungsfreiheit und das ist ein Erfolg für die Freiheitsrechte in Sachsen.
In einer freiheitlichen Demokratie gehört es auch dazu, Versammlungen zu ermöglichen und zu schützen, selbst wenn man sie persönlich aus tiefstem Herzen ablehnt.
Was jedoch nicht dazu gehört, ist ein martialisches, bedrohliches Auftreten, insbesondere auch von Ordnungskräften, das zur Einschüchterung der Bevölkerung beiträgt. Um dem entgegenzuwirken, ist es angemessen, diejenigen auszuschließen, die schon zuvor durch Gewalt oder Bedrohung im Rahmen von Versammlungen aufgefallen sind. Das ist seit Jahrzehnten gängige Praxis, nur eben ohne jedwede klare Rechtsgrundlage. Diese schaffen wir nun erstmals in Sachsen, um auch dort Auswüchse zu begrenzen.
Dennoch haben wir die Kritik aus der Anhörung sehr ernst genommen. Auch wir wollen nicht, dass eine Art „Ordnungskräftekartei“ bei der Versammlungsbehörde angelegt wird. Deswegen haben wir die Voraussetzung für die Abfrage der Daten erheblich eingeschränkt,
ebenso wie die Möglichkeit zur Speicherung und zu den Möglichkeiten des Ausschlusses von Ordnern.
Und auch andere wichtige Impulse aus der Anhörung haben wir aufgenommen, um den Entwurf der Staatsregierung besser zu machen und entstandene Missverständnisse, beispielsweise bei der leitungslosen Versammlung oder den Fristberechnungen der Versammlungsanzeige, zu beseitigen.
Zum Abschluss möchte ich daher konstatieren, dass dieses Gesetz natürlich nicht an allen Stellen perfekt ist.
All jenen aber, die so tun, als sei dies ein Angriff auf die Freiheit, sollten vielleicht nochmal einen Blick ins aktuelle Gesetz werfen.
Denn diese Rechtslage würde bleiben, wenn wir es nicht ändern: Mit deutlich mehr Befugnissen für die Behörden, weniger Kooperation und mehr Straftatbeständen. Mit verfassungswidrigen Normen und antiquierten Vorstellungen.
Wir BÜNDNISGRÜNE gehen den Weg der Freiheit, gerade auch aus der spezifischen Geschichte des Versammlungsrechtes in Sachen und bitten um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Vielen Dank!