Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD „Gesetz zur Schaffung pandemiebedingter Ausnahmeregelungen im Kommunalwahlrecht und Kommunalrecht“ (Drs 7/4059)
19. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 16.12.2020, TOP 7
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
antike Philosophen und heutige Gesetzgeber stehen mitunter vor der gleichen Herausforderung: Die Frage zu beantworten, was wir eigentlich wissen können.
Der heute zu beschließende Gesetzentwurf ist Ausdruck dieses Problems. Denn in den letzten Jahren hat man aus Erfahrungen wissen können, wie damit umzugehen ist, wenn ein Landtag unter Wasser steht oder Naturkatastrophen Wahlen verunmöglichen, aber dankenswerterweise nicht lernen müssen, wie man mit Wahlrecht und Kommunalrecht bei Pandemien umgehen muss.
Das kann man dem Gesetzgeber zum Vorwurf machen oder aber akzeptieren, dass mit der zunehmenden Auszieselierung von Gesetzgebung und dem Wunsch nach möglichst konkreten Regelungen nicht immer alles geregelt werden kann, was im Bereich des Möglichen liegt. Andernfalls wären viele Gesetze eine reine Sammlung von Ausnahmetatbeständen.
Umso wichtiger ist es aber, mit diesem Gesetzentwurf Anpassungen vorzunehmen, wenn sie dringend notwendig sind. Im Vorblatt zu diesem Gesetzentwurf finden Sie noch den Satz, dass diese Änderungen aktuell gerade nicht erforderlich sind, sie aber möglicherweise in der Zukunft relevant werden, wenn die Zahl der Infektionen wieder steigen. Ein Satz, dessen Annahme sich leider bewahrheitet hat. Vor dem Hintergrund der deutschlandweit höchsten Infektionszahlen in unserem Land und der dringenden Notwendigkeit, auf Distanz zu gehen, ist es zwingend richtig, auch gesetzgeberisch zur reagieren.
Im Kommunalwahlrecht schaffen wir nunmehr mit einer Ausnahmebestimmung die Möglichkeit, eine Wahl abzusagen und eine Nachwahl anzuordnen, wenn die Wahl aufgrund der epidemischen Lage nicht durchgeführt werden kann oder – und das war uns BÜNDNISGRÜNEN wichtig – wenn im Vorfeld der Wahl keine hinreichende politische Willensbildung möglich ist. Gerade letzteres war bisher unter den Regelungen für die Absage bei höherer Gewalt nicht geregelt. Aber wenn man es ernst nimmt mit der Demokratie, dann braucht es vor einer Wahl auch die Möglichkeit der Auswahl und wenn diese wegen einer Pandemie nicht möglich ist, dann muss man auch Wahlen verschieben können.
Die zweite Ausnahme regelt, was passiert, wenn eine Bewerberin oder ein Bewerber während Absage und Nachwahl seine Wählbarkeit verliert, weil sie oder er die Altersgrenze des 65. Lebensjahr erreicht. Auch hier hielten wir es für angebracht, eine Übergangsregelung von einem halben Jahr zu schaffen und auch noch die Bewerberinnen und Bewerber zur Wahl zuzulassen, die in diesem Zeitraum die Altersgrenze erreichen, um zu verhindern, dass eine Pandemie zum Ausschluss von der Wählbarkeit führt.
Die dritte Ausnahme, die wir gesetzlich geregelt haben, ist die Durchführung des zweiten Wahlgangs als reine Briefwahl für den Fall, dass die persönliche Stimmabgabe im Wahlbezirk wegen angeordneter Schutzmaßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz unmöglich ist. Uns ist durchaus bewusst, dass eine reine Briefwahl dem Grundsatz der Urnenwahl widerspricht. Wir haben die Möglichkeit der Ausnahme der reinen Briefwahl daher auf den zweiten Wahlgang beschränkt, da anders als beim ersten Wahlgang keine mehrwöchige Frist zur Durchführung von Wahlkämpfen vorzusehen ist. Was nicht geht, ist, dass das Innenministerium eine solche Briefwahl als Allgemeinverfügung anordnet – so wie dies in Bayern geschehen ist. Dafür braucht es – gerade wegen des Schwere des Eingriffs in der Wahlrechtsgrundsätze – eine gesetzliche Grundlage, die wir hiermit schaffen.
In der Gemeinde- und in der Landkreisordnung führen wir die rechtssichere Möglichkeit ein, dass Sitzungen der kommunalen Räte und ihrer Gremien ohne persönliche Anwesenheit der Mitglieder im Sitzungsraum per Videokonferenz möglich ist.
Ich gebe zu, dass ich mich mit dieser Regelung anfangs etwas schwer getan haben. Uns war es daher wichtig, diesen Grundsatz soweit wie möglich zu wahren – so dass wir geregelt haben, dass die Videokonferenz in eine für die Öffentlichkeit zugängliche Räumlichkeit gewährleistet werden kann, z.B. im Rathaus. Bei zusätzlicher Übertragung der Sitzung im Internet gelten die gleichen datenschutzrechtlichen Vorkehrungen, die auch schon jetzt bei der Übertragung von Präsenzsitzungen zu beachten sind.
Ein Grund hat uns letztlich überzeugt, eine Regelung zu schaffen – in nicht wenigen Gemeinden ist die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister dazu übergegangen, eine Reihe von Entscheidungen im Eilentscheidungsverfahren ohne den Rat zu treffen. Mit der Möglichkeit von Sitzungen im Wege der Videokonferenz wird das intransparente Alleinentscheidungsrecht zurückgedrängt und die Anbindung an die Gremien wieder gestärkt. Denn die demokratische Kontrolle durch die gewählten Mitglieder muss auch in Zeiten der Pandemie stark sein.
Wir haben die Gemeinderatssitzung per Videokonferenz an weitere Bedingungen geknüpft. Voraussetzung für eine Sitzung ohne persönlich Anwesenheit ist die Zustimmung der Rechtsaufsichtsbehörde, die zu erteilen ist, wenn die Gemeinderatssitzung nicht ohne Ansteckungsrisiko durchgeführt werden kann und keine anderen erfolgsversprechenden Maßnahmen zum Infektionsschutz getroffen werden können oder diese mit einem unvertretbaren Aufwand für die Gemeinde verbunden wären.
Wir wissen, wie wichtig – gerade in der politischen Debatte – eine lebendige Diskussion ist, in der es auch oft um nonverbale Äußerungen geht. Unser Ziel ist daher nicht die Abschaffung von Präsenzsitzungen der kommunalen Räte, sondern eine Ergänzung um die Möglichkeit von Videositzungen in Zeiten, in denen ein Zusammenkommen schlicht nicht möglich ist.
Sicherlich sind die vorliegenden Regelungen noch nicht perfekt. Wir werden daher mit der anstehenden Novellierung der Gemeinde- und Landkreisordnung auf die ersten Erfahrungen mit diesem Gesetz schauen und gegebenenfalls nachsteuern.
Wir bitten daher um Zustimmung, um auch unter schwierigen Voraussetzungen die kommunale Demokratie stark zu halten.