– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
in der heutigen aktuellen Debatte soll es offensichtlich um die Frage gehen, wie wir die Verfassung schützen und die Demokratie stärken können.
Muss man die Verfassung vor ihren Feinden schützen? Ja, darüber besteht in diesem Hause hoffentlich Einigkeit.
Braucht man dafür ein Landesamt für Verfassungsschutz? Daran haben wir unsere Zweifel – zumindest wenn es um die bisherige Form des Landesamtes für Verfassungsschutz geht.
Ich spare mir an dieser Stelle den Vergleich mit dem Zitronenfalter und möchte vielmehr auf ein Zitat rekurrieren:
„Die Untersuchungen […] zeigten aber, dass die Gefahren, die von der militanten neonazistischen Szene und einzelnen Gruppierungen in Deutschland ausgingen bzw. ausgehen, vom Verfassungsschutz […] unabhängig vom Fall NSU immer wieder unterschätzt und bagatellisiert wurden.“
Diese Einschätzung, meine Damen und Herren, stammt nicht aus einem Positionspapier der GRÜNEN. Diese Einschätzung ist die Gesamteinschätzung des von CDU, SPD, LINKEN und GRÜNEN eingesetzten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages.
Man kann diesen Satz, abgesegnet von vier Parteien des Bundestages, wohl durchaus als mehrheitsfähig bezeichnen und wir ziehen daraus auch einen Schluss, der in diesem Hause wahrscheinlich nicht mehrheitsfähig ist:
Was nützt ein Verfassungsschutz, der es nicht schafft, dass wichtigste Verfassungsgut – das Menschenleben – zu schützen? Ein Verfassungsschutz, der eine richtige Einschätzung der Gefährdungslage nicht leisten kann, dem es dazu offensichtlich an Analysefähigkeit fehlt, den braucht es in dieser Form nicht.
Und seiner Analysefähigkeit möchte an dieser Stelle noch einschieben: wer der Verfassungsschutzbericht 2014 lediglich 83 Fälle rechtsmotivierter Gewalt zählte, kam die RAA in Sachsen auf 257. so viel zur Analysefähigkeit des Verfassungsschutzes.
Wir GRÜNEN haben unsere Forderung nicht zuletzt in den Haushaltsverhandlungen nochmals wiederholt.
Wir sind der Auffassung, dass das Landesamt in seiner gegenwärtigen Form aufgelöst werden muss. Erforderlich ist ein Neuanfang in zwei getrennten Strukturen: zum einen denken wir, dass ein staatlich unabhängig strukturiertes und nach wissenschaftlichen Kriterien arbeitendes Institut für Demokratieforschung demokratiegefährdende Tendenzen viel besser und mit höherem Analysepotenzial beschreiben kann, als es dem Verfassungsschutz gelingt.
Und zwar ohne nachrichtendienstliche Mittel und V-Leute. Einen nicht unerheblichen Teil der aktuellen Erkenntnisse Verfassungsschutzbericht Seite aus öffentlich zugänglichen Quellen entnommen zu sein. Zum Lesen der Tageszeitung oder einschlägiger Internetblogs brauche ich keine Verfassungschutzbehörde.
Ein solches Institut wäre dann auch in der Lage mit zivilgesellschaftlichen Institutionen und Bürgerinnen und Bürgern zusammenzuarbeiten und auch deren Expertise in die Analyse einfließen zu lassen.
Den Beweis dafür, dass neonazistische Bestrebungen auch von kundigen Bürgerinnen und Bürgern, Verbänden oder Universitäten analysiert werden können, lieferte beispielsweise das apabiz, als es nach dem Bekanntwerden des NSU herausfand, dass das neonazistische Fanzine „Der weiße Wolf“ bereits 2002 mit einem Gruß an den NSU aufwartete.
Anders als die Kolleginnen und Kollegen von den LINKEN sind wir jedoch auch der Auffassung, dass es Restaufgaben gibt, für die es einen Inlandsgeheimdienst braucht.
Bei der Spionageaufklärung etwa braucht es Mittel, die weit vor der polizeilichen Eingriffsschwelle eines Straftatverdachts einsetzen muss, obwohl wir uns dennoch über die Frage der Bedeutung der Spionageaufklärung bei den Landesämter für Verfassungsschutz unterhalten müssten. Auch für die Erkenntnisse des Landesamtes Verfassungsschutz über die Spionage auswärtiger Dienste hätte wahrscheinlich die Lektüre eines Fachbuchs gereicht oder des „Spiegels“.
Über die Ausgestaltung eines neuen Inlandsgeheimdienstes sind wir gern bereits zu diskutieren. Dieser darf ausschließlich der Terrorismusabwehr dienen und muss sämtliche Ausspähung im Bereich der politischen Meinungskundgabe unterlassen.
Wer in solchen Inlandsgeheimdienst hätten wir allerdings auch noch eine Vielzahl von Anforderungen:
- das Führen von V-Leuten in Strukturen der neonazistischen Szene sollte nicht erlaubt sein.
- Ein neustrukturierter Inlandsgeheimdienst wäre ebenfalls dem Legalitätsprinzip unterworfen und
- wäre einer stärkeren parlamentarischen Kontrolle als bisher unterworfen.
Ich schließe – gerne auch unter Ihrem modifizierten Motto: Derzeitigen Verfassungsschutz auflösen, Verfassung schützen – Demokratie stärken.
13. Sitzung des Sächsischen Landtags, 30. April 2015, TOP 4