Zum Thema „Versammlungsfreiheit – In Sachsen noch gewährleistet“ lud der innenpolitische Sprecher der GRÜNEN Fraktion Valentin Lippmann am 19. Mai 2015 zu einer Veranstaltung in den Landtag ein.
Gemeinsam mit Dr. Benjamin Rusteberg (Institut für Staatswissenschaft & Rechtsphilosophie, Universität Freiburg), Andreas Herwig (Akteur bei „Dresden nazifrei“) und den Gästen wurde der Frage nach der Ausgestaltung des Rechts auf Versammlungsfreiheit nachgegangen. Hintergrund waren die Versammlungsverbote am 19. Januar 2015 in Dresden und am 9. Februar 2015 in Leipzig. Bei ersterem wurde ein Versammlungsverbot für das gesamte Stadtgebiet für 24 Stunden verhängt, da es Hinweise auf geplante islamistische Terroranschläge gegen den PEGIDA-Gründer Lutz Bachmann gegeben habe. In Leipzig hingegen wurde lediglich eine Aufzug von LEGIDA verboten, weil nicht ausreichend Polizeibeamtinnen und -beamten zur Verfügung gestanden hätten. Die Diskussion entspann sich um die Fragen: Waren diese Verbote erforderlich? Wann ist die Einschränkung des Versammlungsrechts gerechtfertigt? Inwieweit darf die Versammlungsfreiheit durch Zutrittsverbote, Räumung von Blockaden oder Videoüberwachung eingeschränkt werden?
Valentin Lippmann machte bei seiner Einführung deutlich, dass es bis heute unklar sei, ob für das Versammlungsverbot am 19. Januar in Dresden tatsächliche eine Gefahrenlage bestanden habe. Eine ausreichende Begründung hierfür hätte auch der eilends einberufene Innenausschuss in seiner Sondersitzung am Tag des Versammlungsverbotes nicht klären können. Möglicherweise werde es in der öffentlichen Anhörung am 20. Mai 2015 dazu weitere Erkenntnisse geben (Pressemitteilung vom 20.05.2015). Fakt sei jedoch, dass sowohl die Begründung der Verbotsverfügung als auch die Begründung, die den Mitgliedern des Innenausschusses in der Sondersitzung gegeben wurde, nicht ausreicht, die Rechtmäßigkeit des weiten, in diesen Dimensionen noch nie dagewesenen Versammlungsverbotes zu prüfen.
Auch das Leipziger Versammlungsverbot, dass gegen LEGIDA am 9. Februar 2015 mit der Begründung erging, dass nicht ausreichend Polizeibeamtinnen und -beamte zur Verfügung gestanden hätten, lasse bis heute Fragen offen. Die Begründung einer nicht ausreichenden Anzahl von Polizeikräften zur Absicherung sei zahlenmäßig nie dargelegt worden. Bis heute sei unklar, wie viele Kräfte tatsächlich angefordert wurden. Alles in allem unterliege das Instrument der Gefahrenprognose als Grundlage solcher Entscheidungen vielen Unwägbarkeiten und sei als solches nur schwer überprüfbar. Lippmann schloss mit der These, dass die Gefahrenprognose möglicherweise ein Herrschaftsinstrument für Versammlungsbehörde und Polizei sei, dass der öffentlichen und gerichtlichen Kontrolle vollkommen entzogen sei.
Dr. Benjamin Rusteberg unterzog das Versammlungsverbot und die zugrundeliegende Allgemeinverfügung der Polizeidirektion einer rechtlichen Prüfung. Problematisch sei in diesem Zusammenhang, dass die Feststellung, ob aus einer konkreten Gefahr eine abstrakte Gefahr werde und entsprechende Maßnahmen getroffen werden müssten, im Auge des Betrachters – hier der Polizei – lägen. Die Gefahrenlage einer islamistischen Bedrohung für den 19. Januar in Dresden sei als Begründung für ein Versammlungsverbot schwierig. So sei es nicht ausreichend, das ein Szenario denkbar ist, sondern das es mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eintreffen kann. Diese konkrete Gefahr könne aber der gelieferten Begründung nicht entnommen werden. Unabhängig davon könnte die Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung jedoch an der fehlenden Zuständigkeit der Dresdner Polizeidirektion festgemacht werden. Zuständig für den Erlass der Verbotsverfügung sei die Versammlungsbehörde der Stadt Dresden gewesen, eine Eilzuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes habe es nicht gegeben. Dem stehe auch nicht entgegen, dass es sich bei den Informationen über einen geplanten Anschlag um eine als <<geheim>> eingestufte Informationen gehandelt hat, die nur von Personen zur Kenntnis genommen werden darf, die sich einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen hätten. Auch bei einer Versammlungsbehörde müsse sichergestellt sein, dass sie solche Informationen übermittelt bekommen dürfen.
Andreas Herwig berichtete aus seinen Erfahrungen mit der Anmeldung und Durchführung von Versammlungen, insbesondere gegen PEGIDA in den letzten Monaten. Er betonte dabei, das es „Dresden nazifrei“ nicht um eine Einschränkung oder um ein Verbot des Versammlungsrechts geht – bezogen auf rechte Demonstrationen. Vielmehr muss die Tabuisierung dafür aus der Gesellschaft selbst kommen. Das von „Dresden nazifrei“ geforderte Mittel der Demonstrationen in Hör- und Sichtweite der Ausgangsversammlung habe man sich nach und nach erkämpft. Seit 2012 seien diese unverzichtbar geworden. Gleichwohl stelle er fest, dass sogenannte Gegendemonstranten von der Versammlungsbehörde in der Regel als Demonstrationen zweiter Klasse behandelt werden. Dies mache sich an den Auflagen zur Durchführung der Versammlungen bemerkbar. So würden Lautsprecherwagen und Megafone bei Demonstrationen von PEGIDA regelmäßig erlaubt, bei den Gegendemonstrationen oftmals untersagt.
Die anschließende Diskussion mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vertiefte die aufgeworfenen Fragen. Bei seinem Schlussstatement wies Valentin Lippmann auf die „Wiederholungsgefahr“ von Versammlungsverboten hin. Solange die Gründe für das Verbot nicht konkret benannt werden, besteht diese Gefahr. Versammlungsverbote könnten so aus allgemeinen Gefahrenlagen heraus erteilt werden. Außerdem besteht das Problem einer nicht ausreichenden Anzahl zur Verfügung stehender Polizeikräfte zur Absicherung von Versammlungen, wenn Gefahrenprognosen ausreichend hoch eingestuft werden. Der polizeiliche Notstand in Sachsen für den 9. Februar in Leipzig könnte kein Einzelfall bleiben.
Die GRÜNE Fraktion sieht die ausgesprochenen Versammlungsverbote vom 19.1. in Dresden und 9.2. in Leipzig weiterhin sehr kritisch. Solange die Gründe für die Bedrohungslage bzw. den polizeilichen Notstand nicht vorliegen, bleibt die Frage „Wie die Versammlungsfreiheit in Sachsen zukünftig noch gewährleistet werden kann“ offen. Die Ergebnisse der Veranstaltung werden in die weitere parlamentarische Arbeit der GRÜNEN Landtagsfraktion einfließen.