Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Gesetzentwurf der Staatsregierung: „Drittes Gesetz zur Fortentwicklung des Kommunalrechts“ (Drs 7/7991).
44. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 09.02.2022, TOP 4
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ein viel beschworener Satz ist jener, dass die Kommunen die Herzkammern unserer Demokratie sind. Was mitunter wie ein etwas überhöhter Vergleich daherkommen mag, ist gleichwohl eine treffende Beschreibung der Bedeutung der kleinsten Ebenen unserer staatlichen Gliederung. Die Kommunen sind die Herzkammern der Demokratie, weil sie der größte Kulminationspunkt von Politik und Bürgerschaft in unserem demokratischen System sind – und zwar in zweierlei Hinsicht.
Zum einen findet Politik und Streit um die Sache nirgendwo so unmittelbar statt wie in den Kommunen. Dort gestalten Menschen ihren Lebens- und Wirkungsort, dort findet das Ringen nicht nur um abstrakte Regeln, sondern um ganz konkrete Projekte statt. Kaum sonst wirkt Politik unmittelbarer als in den Kommunen. Zum anderen treffen auch Politikerinnen und Politiker sonst nirgendwo in so großer Zahl direkt auf die konkreten Wünsche der Bürgerinnen und Bürger. Das gilt für Stadt-, Gemeinde und Kreisräte genauso wie für die vielen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Viele Menschen kommen auf diese Weise direkt mit Politik, die sonst nur etwas Abstraktes aus Nachrichten oder der Zeitung ist, in Kontakt.
Genau deshalb können wir wohl begründet schlussfolgern: Je stärker unser kommunale Demokratie ist, umso stärker ist unser politisches System in Gänze. Ohne starke Kommunen kann es keinen starken Freistaat geben.
Wir haben uns daher als Koalition darauf vereinbart, in dieser Legislaturperiode die kommunale Demokratie sichtbar zu stärken. Dies wird mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf Wirklichkeit werden.
Wir geben mit dieser Gesetzesnovelle den Bürgerinnen mehr Macht, ihre Ideen umzusetzen! Unser Gemeinwesen lebt von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die ihre Ideen für unsere Gesellschaft umsetzen wollen. Diese Kraft befreien wir weiter von den Ketten der unnötigen Einschränkung. Ab sofort gelten überall in Sachsen die gleichen Quoren für die Einleitung von Bürgerbegehren, denn unsere Demokratie kennt nicht Sachsen erster und zweiter Klasse. Mit der Absenkung der Zustimmungsquoren in den Kreisen und kreisfreien Städten erhöhen wir die Erfolgsaussichten von regional relevanten Bürgerentscheiden in den großen Kommunen. Und wir verankern die Bürgerbeteiligungssatzung in der Gemeindeordnung.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich hörte, dass es unter einigen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern die Sorge gibt, dass dies zu mehr Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden führen könnte. Diese Sorge kann und will ich den Kommunen nicht nehmen. Denn es ist das ausdrückliche Ziel dieses Gesetzentwurfes, dass es mehr erfolgreiche Bürgerentscheide gibt, damit die Ideen der Bürgerinnen und Bürger sich Bahn brechen können. Und das ist gut so!
Wir stärken mit dieser Gesetzesnovelle genauso deutlich die gewählten Rätinnen und Räte, indem wir ihnen mehr Rechte geben und einheitliche Standards einführen. Denn eins ist klar: Die Kommunalpolitik ist in den vergangenen Jahren nicht einfacher, sondern komplexer geworden. Die Bündelung von Sachverstand in Fraktionen muss daher einfacher und besser unterstützt werden. Mit der Absenkung der Hürden für die Fraktionsbildung und die Einführung einer angemessenen verpflichtenden Fraktionsfinanzierung setzen wir einen sichtbaren Kontrapunkt zu den traditionell starken Bürgermeistern und Landräten im Freistaat. Mit den abgesenkten Quoren für das Akteneinsichtsrecht und der Einführung verbindlicher Mindestentschädigungen für die Rätinnen und Räte erhöhen wir deren Wirkmächtigkeit gegenüber der Verwaltung.
Ich weiß, für manche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind starke Hauptorgane nicht gerade die Wunschvorstellung – für unsere kommunale Demokratie und unsere politische Kultur kann es aber nur gut sein, die kommunalen Parlamente mit mehr Macht und Einfluss auszustatten.
Wir unterstützen mit diesem Gesetz zugleich auch die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Mit dem Ehrensold wird zumindest eine symbolische Anerkennung für langjährige ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister geschaffen. Und mit dem Grundsatz der Hauptamtlichkeit wird endlich die Realität anerkannt, dass die komplexen Aufgaben eines Bürgermeisters und einer Bürgermeisterin nicht ehrenamtlich zu bewältigen sind.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
dass wir darüber hinaus mit der Abschaffung des d’hondtschen Höchstzahlverfahrens endlich auch im Freistaat die wahlrechtliche Steinzeit verlassen und zugleich das verstaubte Einspruchsrecht gegen kommunale Wahlen zeitgemäß ausgestaltet wird, zeigt, dass es der Koalition Ernst ist mit der Modernisierung der kommunalen Demokratie.
Mir ist klar, dass das einigen noch nicht genug ist. Und ja, auch wir BÜNDNISGRÜNE hätten uns an der ein oder anderen Stelle noch weitere Schritte vorstellen können – sei es beim Wahlalter oder bei verbindlichen Regeln für Bürgerbeteiligung. Das, was heute hier hoffentlich den Landtag passiert, ist und bleibt aber die größte Stärkung der kommunalen Demokratie der vergangenen zwei Dekaden in Sachsen – ich bin froh, dass uns dies als Koalition gelungen ist.
Wenn nun von Seiten der Linksfraktion suggeriert wird, es handele ich lediglich um „Flickschusterei“ und eine „Modernisierung sei nicht erkennbar“, muss ich dazu mahnen, die Latte nicht so hoch zu legen, dass man anschließend lächelnd drunter durch laufen kann. Denn wenn Sie mal ehrlich sind, dann ist von Ihren Forderungen nach dieser Kommunalrechtsnovelle auch nicht mehr so viel übrig, dass deren Umsetzung eines revolutionären Aktes gleichkäme. Vielmehr wird es auch in den nächsten Jahren sicherlich eine weitere Evolution der kommunalen Demokratie geben – ich bin mir übrigens sicher, dass wir uns zur Frage des Wahlalters (mit Blick auf die Bemühungen auf Bundesebene, dieses auf 16 abzusenken) schneller in diesem hohen Haus wiedersehen, als vielleicht manchem lieb ist.
Denn ein Zustand, bei dem man am gleichen Tag mit 16 das Europaparlament wählen kann, nicht aber seinen Gemeinderat, wäre ein ganz spezieller sächsischer Schildbürgerstreich.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich möchte mit einem Punkt schließen, der weniger mit dem Inhalt des Gesetzes als mit der Diskussion darüber zu tun hat. Ich war und bin über die Tonalität so mancher Äußerungen aus der kommunalen Familien im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf irritiert. Wenn begründete Modernisierungen des Kommunalrechtes, die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie die Mitglieder der Räte stärken, als Angriff auf die kommunale Demokratie verfemt werden, scheint ausgerechnet in den Herzkammern unsere Demokratie etwas in Rutschen gekommen zu sein. Deswegen sage ich zu Schluss noch einmal ganz deutlich: Dieser Gesetzentwurf ist kein Angriff auf die kommunale Demokratie, er ist der Antrieb für mehr Demokratie in den Herzkammern unserer Demokratie!
Vielen Dank!