– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Damen und Herren,
lassen Sie uns heute zu vorgerückter Stunde über ein Phantom reden. Das Phantom ‚Gemeinsames Rechen- und Dienstleistungszentrum auf dem Gebiet der polizeilichen Telekommunikationsüberwachung.‘ Wir wissen, dass es es gibt. Wir wissen aus dem aktuellen Entwurf des Doppelhaushaltes auch, was es kostet – nur allein wir wissen nicht, was es genau eigentlich ist.
Vor mehr als anderthalb Jahren „entdeckten“ wir die Pläne der Staatsregierung, ein solches TKÜZ zu errichten. Und zwar als Anstalt des Öffentlichen Rechts zusammen mit den Ländern Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Der Entwurf des Haushaltsplans sah einen neuen Titel vor, der nicht nur eine technische Kooperation umriss, sondern auch die Planung eines Kompetenzzentrums hinsichtlich neuer Kommunikationsinfrastrukturen und -dienste sowie der Kryptologie in Aussicht stellte.
Bereits zu diesem Zeitpunkt, im Februar 2015, haben wir GRÜNEN dieses Vorhaben kritisiert. Und zwar zunächst aus dem Grund, dass das Parlament einem Haushaltstitel zustimmen sollte, zu dem es außer der dürren Erläuterung weder Informationen geschweige denn eine gesetzliche Grundlage, etwa in Form eines Staatsvertrages, gab.
Auch auf mehrere Kleine Anfrage von mir zu den Kosten, zum Ergebnis des in Auftrag gegebenen Rechtsgutachtens, zu den Rechtsgrundlagen und Mitteln der Datenerhebung, gab es keine Antwort. Dass die Abgeordneten der CDU- und SPD-Fraktionen einer solchen „noch nicht abgestimmten Willensbildung der Staatsregierung“ ihre Zustimmung geben konnten, ist mir bis heute immer noch unbegreiflich. Dies war ein Blankoscheck erster Güteklasse. Der Landtag stellt Gelder für ein Projekt zur Verfügung, dass er nicht mal im Ansatz beschreiben kann. Sonst trägt man in Regierung und Koalition die Haushaltsklarheit wie eine Monstranz vor sich her, nur bei diesem Projekt will man offenbar gar nicht so genau wissen, für was man da die Gelder freigibt. Das sollte die Alarmglocken läuten lassen!
Wie zu erwarten wurden 2015 und bisher auch in 2016 kein Cent der eingestellten Mittel benötigt, da es bislang weiterhin an dem die Zahlungsverpflichtung auslösenden Staatsvertrag der kooperierenden Länder fehlt. Genau dies hatten wir bei der letzten Haushaltsverhandlung propheziehen. Die Koalition wollte es nicht war haben, nun hat sie es schwarz auf weiß. Wir hatten recht!
Für die bisher aufgebrachten Beratungskosten der Firma ESG (Elektroniksystem- und Logistik GmbH) wurden seit 2013 allein von Sachsen rund 50.000 Euro bereitgestellt – im Übrigen aus dem Haushalt des Polizeiverwaltungsamtes (0320, Titel 534 99: Sonstige Dienstleistungen für IT und E-Government). Ein Verwendung der Mittel, die ich – nebenbei bemerkt – als nicht vom Verwendungszweck umfasst ansehe.
Die hartnäckige Ausdauer, mit der Sie sich, Herr Innenminister, mit bemerkenswerter Ausdauer über dieses Projekt ausschweigen, hat unsere Fraktion bewogen, Ende letzten Jahres diesen Antrag einzureichen. Wir hatten gehofft, vielleicht etwas Lichts ins Dunkel zu bringen. Vielleicht bei Ihnen mal die Erkenntnis auszulösen, dass es an der Zeit ist den Gesetzgeber, von dem Sie Geld haben wollen, umfassend zu informieren.
Zu diesem Zeitpunkt war etwa der Berliner Polizeipräsident wesentlich auskunftsfreudiger und stellte den Mitgliedern des Abgeordnetenhauses nicht nur Informationen zum TKÜZ zur Verfügung, sondern auch den Entwurf des Staatsvertrages. Aber auch auf diesen Antrag bekam unsere Fraktion keine Auskunft. Ihrer Antwort vom Januar dieses Jahres können wir weiterhin nur entnehmen, wann sie planen, den Staatsvertrag zu unterzeichnen, nicht jedoch, welchen Inhalt er hat.
Herr Innenminister, ich kann an dieser Stelle nur konstatieren: im Vergleich zu Ihnen ist eine Mauer des Schweigens auskunftsfreudig und eine Milchglasscheibe transparent.
Aus Berlin wissen wir, dass bereits seit 2010 eine Arbeitsgruppe an diesem Projekt arbeitet, dass Investitionen von insgesamt 15,8 Mio Euro (anstatt 26,5 Mio für Neuanschaffungen in den einzelnen Ländern) und jährliche Betriebskosten in Höhe von 5,2 Mio Euro (statt 7,7 Mio) entstehen. Außerdem benötige man nur 39 anstatt 45 Arbeitsplätze.
Wie sieht es heute aus? Wieder haben Sie uns einen Haushaltsentwurf vorgelegt und wieder sind 4,2 Mio Euro für die Umsetzung dieses Gemeinsamen Kompetenz- und Dienstleistungszentrums eingestellt. Zusätzlich findet sich noch das Planungsvorhaben in der Abteilung 4 (IuK-Leitstelle) in Leipzig als Leertitel.
Was wissen wir aus den Reihen der Staatsregierung darüber?
Nach wie vor: Nichts! Sie haben es nicht einmal für nötig gehalten, Ihre Stellungnahme aus dem Januar zu ergänzen. Und das, obwohl es seit März einen geleakten – und wie Sie mir damals mitgeteilt haben – aktuellen Entwurf des Staatsvertrages gibt.
Herr Innenminister, ist Ihnen das Spielchen nicht langsam auch ein bisschen peinlich? Sie handeln einen Staatsvertrag mit vier weiteren Ländern aus, beteiligen die Finanz- und Justizressorts und angeblich auch sämtliche Datenschutzbeauftragte und Rechnungshöfe. Allein der Landtag soll bei maximaler Geheimhaltung aller wichtigen Informationen zu diesem Projekt „ja und Amen“ zu den eingestellten Kosten sagen? Das ist der Gipfel an inakzeptabler Intransparenz wenn es um das Haushaltsrecht dieses hohen Hauses geht.
Wir erleben hier offenbar das große Komplott des Innenministers mit dem Finanzminister nach dem Motto: „Gib DU mir Geld für mein Wolkenkucksheim. Wenn ich es nicht ausgebe, was zu erwarten ist, dann hast Du eine schöne Spardose.“ Diese Spielchen, werte Kolleginnen und Kollegen, können und dürfen wir uns als Landtag nicht gefallen lassen.
Dass der Staatsvertrag, den wir ja nun dank Netzpolitik.org kennen, darüber hinaus Regelungen, die inhaltlich höchst problematische sind, enthält – die auch datenschutzrechtlich inakzeptabel sind – , hat uns in unserem Antrag nur bestärkt:
Erstens: Im sog. Kompetenzzentrum sollen nicht bloß hochsensible personenbezogenen Daten aus der strafprozessesualen und polizeilichen Telefonüberwachung im Auftrag erhoben, gespeichert und sonst verarbeitet werden. Das Kompetenzzentrum soll darüber hinaus auch als Denkfabrik dienen. Das kann der Aufgabenbeschreibung „die Wahrnehmung von Unterstützungsaufgaben im Bereich der Aus- und Fortbildung, Unterstützung/Beratung auf dem Gebiet der technisch-organisatorischen Weiterentwicklung und Umsetzung polizeilicher TKÜ“ entnommen werden. Die strenge gesetzliche Bindung der StPO und die Polizeigesetze der beteiligten Bundesländer geben eine solche Forschung nicht her, sich daraus ergebende Auswertungsmöglichkeiten bedürfen einer konkreten gesetzlichen Grundlage.
Zweitens: Die im Entwurf des Staatsvertrages vorgesehene weitere Aufgabenbeschreibung und die unklar formulierte Zweckbestimmung ermöglichen sowohl Kryptoforschung, Nutzung der Quellen-TKÜ und stillen SMS. Auch das lehnen wir ab, auch hier fehlt jegliche rechtliche Grundlage.
Drittens: Der Entwurf des Staatsvertrages enthält eine vollkommen unzureichende Regelung zur Übermittlung von Daten an Dritte. So darf die zu errichtende Anstalt Befugnisse und Zuständigkeiten auf Behörden im Freistaat Sachsen übertragen oder sich Dritter zur Aufgabenerfüllung bedienen – die Übermittlung von Daten wird hier überhaupt nicht gesetzlich geregelt, sondern ins Ermessen der Anstalt gestellt. Das ist schlicht verfassungswidrig. Auch die Zweckbindung und die sichere Trennung der Daten wird nicht ausreichend sichergestellt.
Viertens: Ganz wesentliche Inhalte werden im Staatsvertrag nicht geregelt, sondern sollen in einem Verwaltungsabkommen, der Benutzerordnung, der Geschäftsordnung und der Satzung der Anstalt festgelegt werden. Auch dies ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich, da ein Grundrechtseingriff in diese Erheblichkeit nur durch Gesetz geregelt werden kann.
Und nicht zuletzt: Der Staatsvertrag, die zu errichtende Anstalt, das Verwaltungsabkommen, schlicht das gesamte Projekt ist der Kontrolle des Sächsischen Landtags komplett entzogen. Es findet sich keinerlei Regelung zur parlamentarischen Kontrolle. Das ist ein Freifahrtschein zur Datenüberwachung, Herr Innenminister, den wir Ihnen nicht geben wollen und dürfen.
Wir fordern Sie daher auf, die Planungen zu diesem Überwachungszentrum unverzüglich zu stoppen. Das Projekt ist wirtschaftlich nicht erforderlich, datenschutzrechtlich höchst bedenklich und in der geplanten Umsetzung zum Teil wohl auch verfassungswidrig. Sie sparen den Bürgerinnen und Bürgern und sich viel Ärger und Geld, wenn Sie jetzt die Finger davon lassen.
Rede zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ‚Keine länderübergreifende Denkfabrik und Datensammelstelle für Überwachung – Pläne für das Gemeinsame Kompetenz- und Dienstleistungszentrum auf dem Gebiet der polizeilichen Telekommunikationsüberwachung der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Berlin und Brandenburg stoppen‘
42. Sitzung des Sächsischen Landtags, 29. September 2016, TOP 9, Drs. 6/3649