– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren
vor ziemlich genau drei Jahren, im März 2012, ist in diesem Hause schon einmal erläutert worden, warum die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses notwendig ist. Der denkwürdige 4. November 2011 lag wenige Woche zurück und alle Versuche der Opposition, die Staatsregierung zu einer Aufklärung in den eigenen Behörden zu bewegen, etwa durch Einsetzung einer sächsischen „Schäferkommission“ oder durch Erweiterung des Sachsensumpf-Untersuchungsausschusses waren fehlgeschlagen. Am Ende der Versuche, Licht in das Dunkel einer abscheulichen Mordserie zu bringen, stand die Entscheidung dreier Oppositionsfraktionen, zu den Fragen, die Sachsen betrafen, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen.
Damals wie heute stellt sich uns die Frage, wie es möglich sein konnte, dass drei gesuchte Neonazis vor den Augen der sächsischen Behörden untertauchen und Sachsen über zehn Jahre als Ruhe- und Rückzugsort nutzen und von hier aus ihre Mordserie planen und durchführen konnten.
Der NSU-Untersuchungsausschuss der vergangenen Legislatur konnte auf diese Frage keine abschließende Antwort geben. Im Gegenteil: Das, was uns der Ausschuss als „Abschlussbericht“ vorlegen konnte, war nicht mehr als ein „Zwischenbericht“.
Insgesamt hat der NSU-Untersuchungsausschuss in insgesamt 36 Sitzungen 6 Sachverständige und 34 Zeugen vernommen. Im Gegensatz dazu wurde aber die Einvernahme von 12 Sachverständigen und 120 Zeugen verlangt.
Von den acht gebildeten Themenkomplexen, um den Untersuchungsgegenstand zu strukturieren, wurden in lediglich fünf Komplexen einzelne Zeugen, aber bei Weitem nicht alle benannten Zeugen gehört. Zum Agieren der Staatsregierung nach dem 4. November 2011 hat der NSU-Untersuchungsausschuss der vergangenen Legislatur nur wenige Feststellungen treffen und einzelne Zeugen vernehmen können. So ist etwa der V-Mann-Führer von „Piato“ – heute Präsident des Sächsischen Verfassungsschutzes, Herr Meyer-Plath, noch nicht als Zeuge vor dem sächsischen Untersuchungsausschuss vernommen worden, obwohl er, wie wir letzte Woche wieder vernehmen durften, Kenntnisse von Aufenthaltsort des Trios hatte.
Die Mitglieder des letzten Ausschusses waren sich einig – eines der wenigen Male – dass der Untersuchungsgegenstand nicht abschließend aufgeklärt worden sei. Aus diesem Grund ist es an der Zeit, den NSU-Untersuchungsausschuss erneut einzusetzen, um die notwendige Aufklärung voranzubringen.
Wir GRÜNEN haben in der vergangenen Legislatur immer unser Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass es den demokratischen Parteien des 5. Sächsischen Landtages nicht gelungen ist, gemeinsam einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Auch bei dem wieder einzusetzenden Untersuchungsausschuss zum NSU in dieser Legislatur hätten wir uns eine gemeinsame Einsetzung mit der Koalition vorstellen können – leider ist es dazu nicht gekommen. Es wäre ein gutes und ein wichtiges Signal, auch in Richtung der anderen NSU-Untersuchungsausschüsse gewesen.
Mittlerweile geht die Aufklärung mit Untersuchungsausschüssen in anderen Bundesländern voran. Mit Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hessen sind im Lichte der vielen neuen Erkenntnisse um die Verstrickungen des NSU, mögliche Unterstützer und das Versagen der Sicherheitsbehörden weitere Untersuchungsausschüsse etabliert worden. Auch im Bund wird mittlerweile sehr laut über die Einsetzung eines neuen NSU-Untersuchungsausschusses nachgedacht. Thüringen hat bereits erneut einen solchen eingesetzt.
Dies zeigt: Die Aufklärung ist nicht abgeschlossen, die Fragen werden eher immer mehr. Wir sind den Opfern und Angehörigen eine rückhaltlose Aufklärung schuldig. Das ist unsere moralische Verpflichtung, zu der auch der Sächsische Landtag seinen Beitrag leisten muss.
Lassen Sie es mich an dieser Stelle in aller Deutlichkeit sagen: Wer einen NSU-Untersuchungsausschuss als „Beschäftigungstherapie“ abtut – wie Sie, Herr Fischer – versetzt den Angehörigen, die unendliches Leid erfahren haben, ein Schlag in Gesicht. Und es ist auch ein Schlag ins Gesicht aller Bürgerinnen und Bürger, die eine Aufklärung erwarten und in das Gesicht des Rechtsstaates, der in der Lage sein muss, Fehler aufzuarbeiten.
Der heute vorgestellte Auftrag für eine parlamentarische Untersuchung des Versagens sächsischer Behörden bei der Verfolgung des NSU, entspricht weitestgehend dem Auftrag der vergangenen Legislatur. Uns GRÜNEN war jedoch Ausweitung des Untersuchungsgegenstandes wichtig. Der neu eingesetzte Untersuchungsausschuss soll
- erstens künftig auch untersuchen, inwieweit sächsische Behörden in ihrem Handeln oder Unterlassen die Bildung, Entwicklung und das Agieren organisierter neonazistischer Gruppen und Netzwerke in Sachsen begünstigt, unterstützt, gefördert bzw. die Aufklärung von Straftaten solcher Gruppen und Netzwerke verschleppt haben und
- zweitens wollen wir untersuchen, inwieweit sächsischen Behörden ein Versagen bei der Aufklärung nach dem Bekanntwerden des NSU im November 2011 vorzuwerfen ist. Ich denke hier insbesondere an (bekannt gewordene) Aktenvernichtungen und mangelnde oder unzureichende Zuarbeit an Untersuchungsgremien.
Gerade der zweite Punkt konnte durch den Untersuchungsausschuss der vergangenen Legislatur nicht bearbeitet werden. Wir sind auch in der Pflicht, das behördliche Agieren nach dem Bekanntwerden des NSU zu untersuchen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Ermittlungsarbeit durch das Agieren von Sicherheitsbehörden nach November 2011 erheblich erschwert wurde. Auch diese Umstände gilt es offen zu legen.
Ich hoffe, dass dieser Untersuchungsausschuss die Erkenntnisse über die Hintergründe und den behördlichen Umgang mit dem NSU-Komplex voranbringt.
Das können weder das Verfahren gegen Beate Zschäpe noch die Untersuchungsausschüsse in anderen Ländern für Sachsen leisten. Es liegt in unserer Verantwortung, diese Aufklärung nach besten Kräften zu leisten.
11. Sitzung des Sächsischen Landtags, 27. April 2015, TOP 1