Schöffinnen & Schöffen – Altersgrenze scheint mit Blick auf gestiegene Lebenserwartung willkürlich gesetzt

Foto: Grünes Büro Dresden

Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD: „Die Altersgrenze für Schöffinnen und Schöffen ändern“ (Drs 7/7089).
36. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 29.09.2021, TOP  7

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

als die Altersgrenze für Schöffen vor 46 Jahren auf das Höchstalter von 70 festgelegt wurde, regierten nicht nur SPD und FDP zusammen, sondern lag die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland um gut zehn Jahre niedriger als heute.

In den vergangenen Jahren hat es mit Blick auf die gesundheitliche Entwicklung der Bevölkerung und die Lebenserwartung viele teils umstrittene Anpassungen von Altersgrenzen gegeben – am prominentesten sicherlich das Renteneintrittsalter. Nur die Frage, wann Schöffinnen und Schöffen in den Ruhestand gehen müssen, also nicht mehr als Schöffinnen und Schöffen ausgewählt werden können, wird immer noch gleich beantwortet.

Wir als Koalition finden: Das sollte nicht so bleiben. Denn die Bedeutung von Schöffinnen und Schöffen für unseren Rechtsstaat ist groß, ihre Entscheidungsmacht mitunter größer als die der Berufsrichter.

„Im Namen des Volkes“ so beginnt jedes Urteil. Darauf basiert im Grunde das Amt der Schöffinnen und Schöffen. Sie übernehmen die Rolle stellvertretend für das Volk. Sie sind Laienrichter und stehen gleichberechtigt neben den Berufsrichtern.

Anders als ehrenamtliche Richter, die im Handelsrecht oder Arbeitsrecht tätig sind, bringen sie keine Fachexpertise mit oder besser gesagt: Sie bringen ihre Erfahrungen aus ihrem beruflichen Leben und sozialen Umfeld mit. Sie brauchen eben keine juristische Vorbildung und müssen sich damit grundlegende Kenntnisse über den Gang von Verhandlungen, die Rolle der Beteiligten und Organisation der Gerichte erlernen.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
genau diese Kombination aus Lebenserfahrung und erlerntem Verfahrenswissen bricht sich regelmäßig an der Altersgrenze. Ich bin selbst seit 2013 Mitglied des Schöffenwahlausschusses der Landeshauptstadt Dresden. Auch wenn ich diesbezüglich der Geheimhaltung unterliege, ist es meines Erachtens zulässig, wenn ich hier das Gefühl äußere, dass es nicht selten großes Bedauern gibt, wenn engagierte, kluge, lebenserfahrene Schöffinnen und Schöffen aufgrund der aktuell gültigen Altersgrenze nicht mehr zur Auswahl stehen.

Dazu kommt das Problem, dass sich in einigen Regionen nicht mehr ohne Weiteres die ausreichende Zahl an Personen für die Vorschlagslisten finden. Vor der letzten Wahlperiode fehlten zum Beispiel in Leipzig 100 Jugendschöffen, sodass der Aufruf verlängert werden musste. Das hat natürlich Gründe.

Wird eine Schöffin oder ein Schöffe einem Verfahren zugeteilt, kann er nur in bestimmten Fällen bei Krankheit von der Anwesenheitspflicht entbunden werden.

Nicht immer ist die Vereinbarung von Beruf mit dem Amt einfach. Für Freiberufler*innen oder Handwerker*innen ist es oft nicht möglich, lange Verfahren oder ganztägige Gerichtstermine mit ihrem Berufsalltag zu verbinden. So ist es oft schwer, geeignete Personen aus verschiedenen Berufsfeldern zu finden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Einbeziehung von Schöffinnen und Schöffen und deren Alltags- und Lebenserfahrung in die Strafjustiz bietet für alle Seiten eine erhebliche Chance. Umso wichtiger ist es, darüber zu sprechen, warum wir 2021 Menschen über siebzig davon ausschließen wollen.

In der Gesetzesbegründung zu § 33 Nr. 2 Gerichtsverfassungsgesetz von 1974 hieß es, „die Altersgrenze sei erforderlich, da die Strafrechtspflege eine körperliche Spannkraft und geistige Beweglichkeit erfordern“. – Nun ja, das trifft auch auf viele andere Berufsgruppen zu, bei denen wir keine Altersgrenze haben.

Mit Blick auf die gestiegene Lebenserwartung scheint mir die Grenze von 70 Jahren inzwischen somit eher willkürlich gesetzt.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
das Thema wird bereits länger schon von den Justizministerinnen und Justizministern der Länder diskutiert. Dazu führt die Stellungnahme des Sächsischen Justizministerium vom 17. August auch aus. Zwar habe das Bundesministerium den Bedarf für eine maßvolle Anhebung wohl zuletzt nicht gesehen. Das muss aber nicht so bleiben.

Einer neuen Bundesregierung werden mit ziemlicher Sicherheit zwei der hier in Sachsen regierenden Parteien angehören. Die Koalitionsverhandlungen bieten die Chance, auch dieses Thema neu zu diskutieren. Von daher kommt der Antrag genau zur richtigen Zeit.

Vielen Dank.