Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion AfD zum Thema „Grundrechte und Freiheit schützen – Ablehnung des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Bundesrat durch den Freistaat Sachsen“ (Drs 7/4595)
18. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 19.11.2020, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wenn man sich aktuell mit Ärzt*innen und Pfleger*innen unterhält, wird einem deutlich, wie angespannt die Situation wegen der Corona-Pandemie mittlerweile auch im Freistaat Sachsen ist. Ärzt*innen müssen für erkrankte oder in Quarantäne befindliche Kolleg*innen einspringen. Die Stationen sind personell chronisch unterversorgt. Die Regelversorgung ist gerade noch so möglich, die Situation, in der Ärzte über Triage nachdenken, gibt es noch nicht. Es heißt aber auch: „Es darf nicht schlimmer werden.“
Und auch wenn die Zahlen der Intensivbetten noch ausreichend erscheinen, nützen diese nichts, wenn kein Pflegepersonal mehr da ist oder Corona-Patienten nicht wenige Tage wie bei einer Lungenentzündung, sondern über Wochen beatmet werden müssen.
Leider gehen die Zahlen der Corona-Infizierten in Sachsen aktuell nicht zurück und eine weiterer Anstieg der Anzahl der Menschen, die wegen des Virus im Krankenhaus behandelt werden müssen, steht zu befürchten.
Warum weise ich auf diese Situation hin? Wir BÜNDNISGRÜNEN sind eine Bürgerrechtspartei. Wir haben uns immer gegen die Beschneidung der Freiheitsrechte gewehrt.
Wir haben uns daher seit Beginn der coronabedingten und in unseren Augen erforderlichen Einschränkungen immer auch für die Freiheitsrechte eingesetzt. Wir haben auf die Wahrung des Versammlungsrechts gedrängt, auf die zeitliche Begrenzung der Verordnungen, auf die Möglichkeit der Religionsausübung und des Besuchs Angehöriger in Pflegeeinrichtungen.
Wir als BÜNDNISGRÜNE und als Verantwortliche in der Regierung haben dabei sicher nicht alles richtig gemacht. Denn: beim Kampf gegen ein Virus, dem das Grundgesetz egal ist, gilt es jeden Tag aufs Neue abzuwägen, was an Einschränkungen gerade so noch zulässig und notwendig ist, um die Gefahr des Virus einzudämmen.
Da gibt es kein Schwarz und kein Weiß, wie hier von der AfD und auch mit diesem Antrag wieder versucht zu behaupten. Da gibt es nur Schattierungen von Grau.
Vor diesem Hintergrund so zu tun, als wäre man die größten Freiheitskämpfer, wenn man nur lange genug vor den Gefahren des Virus die Augen verschließt und deshalb jede notwendige und begründete Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit lächerlich macht, bis nur hinreichend viele nicht mehr an sie glauben oder sich an sie halten, ist aberwitzig und schlicht verantwortungslos.
Der AfD geht es, wie dieser scheinheilige Antrag zeigt, nicht um Grund- und Freiheitsrechte. Sie steht für Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnis und für Geschichtsrevisionismus – wie die unerträglich verharmlosenden Vergleiche mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 zeigen.
Der bewusst gewählte Vergleich zum endgültigen Ende der Demokratie im Jahr 1933 ist dabei nicht nur schäbig und grottenfalsch, er ist auch der bewusste Versuch der AfD, sich ihrer Verantwortung für dieses Land zu entziehen. Wenn es zum öffentlich propagierten Selbstzweck wird, sich mit allem was man hat gegen eine herbei phantasierte Diktatur zu stellen, die es nicht gibt, dann hat macht man es sich sehr sehr einfach.
Denn dann muss man im Glaube, dass nur der Systemsturz die Lösung sei, keine Ideen mehr anbieten um Menschenleben und die Freiheitsrechte des Grundgesetzes gleichsam wirksam zu schützen. Genau das wäre aber Ihre Verantwortung als gewählte Volksvertreter.
Vor diesem Hintergrund noch ein paar Worte zu dem Gesetz, dass sie vergeblich versucht haben, mit diesem Antrag zu verhindern: Es gibt sicherlich einiges, was daran kritisiert werden kann – mich überzeugen beispielsweise die starren Schwellenwerte als Voraussetzung für konkrete Einschränkungen nicht.
Aber: Verfassungsrechtler*innen und Gerichte haben seit Beginn des Corona-Geschehens darauf hingewiesen, dass die Ermächtigungsgrundlage für die Verordnungen der Länder gerade mit dem Blick auf die Einschränkung von Grundrechten nicht hinreichend bestimmt ist. Die AfD hat keine Gelegenheit ausgelassen, die Unbestimmtheit des § 28 Infektionsschutzgesetzes zu geißeln. Jetzt, wo dieser verfassungswidrige Makel nun abgestellt wird, ist es Ihnen auch nicht Recht. Auch das ist eindrucksvoller Beleg, dass es Ihnen nie um Infektionsschutz oder Grundrechte sondern nur um agitatorische Selbstproduktion ging.
Das zeigt auch der Umgang mit dem Parlament. Sie lassen die Abgeordneten nun zusammenkommen, um zu befinden, ob der angeblich größte Schlag gegen die Demokratie, wie sie in wahrheitswidriger Polemik behaupten, vielleicht hätte dadurch verhindert werden können, dass Sie vor der Einreichung ihres untauglichen Antrages mal in den Kalender geschaut hätten. Grotesker geht es nicht und absurder wird es nicht. Und wenn Sie dieses Parlament vorführen wollen, müssen Sie früher aufstehen – zumindest aber mal in die Geschäftsordnung schauen.
Mit den gestern beschlossenen Änderungen in § 28 und § 28a InfSchG werden die grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen auf eine solide Rechtsgrundlage gestellt, die Anforderungen an sie konkretisiert und zeitliche Begrenzungen festgelegt. Zudem werden die Voraussetzungen für die Feststellung und dem Ende einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite konkretisiert. Damit werden die Befugnisse der Exekutive nicht ausgeweitet sondern eingeschränkt.
Aber das allein reicht nicht. Ich möchte für uns BÜNDNISGRÜNE betonen, dass wir eine Beteiligung des Landtags bei der Verabschiedung der Verordnungen aufgrund des InfSchG nach wie vor für erforderlich halten und möchte nachdrücklich dafür werben, in Sachsen eine entsprechende Rechtsgrundlage für diese Beteiligung zu schaffen.
Gerade die Umsetzung des InfSchG im jeweiligen Bundesland bedarf einer parlamentarischen Kontrolle und öffentlichen Diskussion über die Verhältnismäßigkeit – sowohl mit Blick auf den Umfang der Beschränkung der Grundrechte als auch auf die wirtschaftlichen Auswirkungen.
Das sind wir gerade denen schuldig, die sich solidarisch zeigen und mit ihrem Verzicht gerade die Schwächeren in unserer Gesellschaft schützen.