Tätigkeitsbericht Datenschutzbeauftragter – Videoüberwachung bringt enormen Schaden für Grundrechte

Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lipmann (BÜNDNISGRÜNE) zur Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Sport (Drs 7/6770) zum „Tätigkeitsbericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten – Berichtszeitraum: 1. Januar 2019 bis 31. Dezember 2019“ (Drs 7/4943)
32. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 23.06.2021, TOP 8

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

mindestens einmal jährlich über Datenschutz zu reden, dazu gibt uns heute der Tätigkeitsbericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten Gelegenheit. Ich möchte Herrn Schurig und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterin ganz herzlich für den Einblick in ihre Arbeit danken. Ich freue mich, ihn auch in diesem Jahr wieder hier vorn am Rednerpult gesehen und gehört zu haben.

Der Bericht ist sehr umfassend – für die heutige Aussprache möchte ich daher zwei Problemfelder herausgreifen, die Handlungsbedarf aufzeigen.

Seit Jahren wird in Sachsen die polizeiliche Videoüberwachung ausgeweitet. Was mit ein paar wenigen Kameras in Leipzig begann – mittlerweile sind es bereits über 80 – hat sich nun zum Joint-Venture unter Beteiligung der Polizei in der Chemnitzer Innenstadt und zu Hochleistungskameras in Görlitz entwickelt. Der präventive Wert solcher Überwachungswerkzeuge ist höchst umstritten, die Nutzung für die Strafverfolgung marginal – der Schaden für die Grundrechte jedoch ist enorm. Wir BÜNDNISGRÜNE haben die tägliche Überwachung tausender Menschen, die sich einfach nur durch die Straßen von Leipzig, Chemnitz oder Görlitz bewegen, immer schon als unverhältnismäßig kritisiert.

Auch der Sächsische Datenschutzbeauftragte steht seit der Installation der Kameras in Chemnitz im Jahr 2018 mit dem Innenministerium in Kontakt und ringt um eine datenschutzrechtliche Ausgestaltung der Videoüberwachung, insbesondere bei Versammlungslagen.

Bemerkenswert ist die im Tätigkeitsbericht beschriebene Ignoranz der Polizei. Während der Innenminister noch im April 2019 in seinen Antworten auf Kleine Anfragen mitteilte, dass es einer Überprüfung im Einzelfall bedürfe, entschieden Polizei und Ordnungsamt im Oktober 2019, dass die Kameras bei Versammlungen nicht mehr abzuschalten sind oder nur noch ausnahmsweise abgeschaltet werden. Begründung: Der Schutzbereich des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit sei nicht betroffen.

Dem Bericht des Datenschutzbeauftragten kann ich entnehmen, dass dieser Auffassung entschieden entgegengetreten wurde. Es ist seit Jahren höchstrichterlich geklärt, dass staatliche Eingriffe in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auch dann vorliegen, wenn „behördliche Maßnahmen eine abschreckende oder einschüchternde Wirkung entfalten und damit geeignet sind, die frei Willensbildung und Entschließungsfreiheit derjenigen Personen zu beeinflussen, die an Versammlungen teilnehmen wollen“.

Gerade im Bereich des Versammlungsrechts gelten daher wesentlich strengere Voraussetzungen für eine zulässige Videoüberwachung. Und diese gelten auch nur für den Polizeivollzugsdienst.

Leider hat sich das Innenministerium der von höchstrichterlicher Rechtsprechung gestützten Auffassung des Datenschutzbeauftragten nicht anschließen können. Die Kameras in Leipzig, Chemnitz und Görlitz wurden bei Versammlungsgeschehen auch weiterhin nicht ausgeschaltet.

Ein klar rechtswidriges Handeln. Das urteilte im Juli vergangenen Jahres dann auch das Verwaltungsgericht Leipzig auf Antrag der Kollegin Nagel. Die Richterinnen und Richter der 1. Kammer haben dem Freistaat sehr deutlich ins Stammbuch geschrieben, dass stationäre polizeiliche Videokameras auch in Kriminalitätsschwerpunkten auszuschalten oder so wegzuschwenken sind, sodass die Versammlung nicht überwacht wird.

Erst nach diesem Urteil (und auch erst nach Vorliegen der Gründe) hat das Innenministerium per Erlass vom Dezember vergangenen Jahres die Polizeidirektionen dahingehend instruiert, dass stationäre polizeiliche Videoüberwachung nicht auf Versammlungsteilnehmer gerichtet sein darf.

Leider ist auch dieser Erlass gewohnt missverständlich und lässt rechtswidrige Überwachungslücken: Bei Spontandemonstrationen, so die grundsätzliche Auffassung, könne es in zeitlicher, organisatorischer oder technischer Hinsicht möglich sein, dass die Videoüberwachung nicht abgeschaltet werden kann.

Der Sächsische Datenschutzbeauftragte hat dem Innenausschuss gegenüber deshalb darauf hingewiesen, dass er eine „versammlungsunfreundliche“ Anwendung des Erlasses befürchte.

Diese Befürchtung besteht vollkommen zurecht: Auf eine Nachfrage des Stadtrates Toni Rotter antwortete der Chemnitzer Ordnungsbürgermeister, „dass eine Abschaltung der Videoüberwachung bei Spontanversammlungen im Vergleich zu einer frühzeitig angezeigten Versammlung regelmäßig weder zeitlich noch organisatorisch möglich“ sei.

Hier wird ganz deutlich, dass man nicht gewillt ist, durch Einsatz von Personal oder Technik zu gewährleisten, dass auch bei kurzfristig bekannt gewordenen Versammlungen, die Videoüberwachung ausgeschaltet wird. Das ist ein nicht hinnehmbarer und von der Rechtsprechung nicht akzeptierter rechtswidriger Eingriff in den das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Mal ganz davon abgesehen, dass Chemnitz bis Anfang März dieses Jahres brauchte, das Leipziger Urteil umzusetzen.

Sehr geehrter Herr Innenminister, ich möchte daher nochmal die konkrete Forderung an Ihr Haus richten, die polizeiliche Videoüberwachung zumindest in allen Fällen, die unter das Versammlungsrecht fallen, abzuschalten, wegzuschwenken und auch durch organisatorisch-technische Maßnahmen sicherzustellen, dass dies auch bei Spontandemonstrationen gewährleistet wird. Personalmangel oder die fehlenden organisatorische Maßnahmen zum sofortigen Abschalten der Kameras sind keine Gründe, die die Überwachung einer Versammlung rechtfertigen. Spontanversammlungen genießen keinen Grundrechtsschutz zweiter Klasse.

Und auch ein weiterer Aspekt, den das Verwaltungsgericht im Urteil angesprochen hat, sollte sich endlich bei Polizei und Versammlungsbehörden durchsetzen: Auch Kameras, die nicht laufen, haben eine abschreckende Wirkung auf Versammlungsteilnehmer und -teilnehmerinnen und stellen einen Eingriff in Art. 8 GG dar.

Ein weiterer Beitrag in diesem Tätigkeitsbericht betrifft die Praxis des Landesamtes für Verfassungsschutz, die sich im Lichte der aktuellen Erkenntnisse über die Datenbanken des Amtes noch einmal in einem anderen Licht darstellt. Und die auch zeigt, wie wichtig es ist, dass sich möglichst viele zivilgesellschaftlich engagierte Personen mit einem Auskunftsersuchen an den Verfassungsschutz wenden. Das Landesamt wurde im Berichtszeitraum von mindestens einer sächsischen Versammlungsbehörde in Kenntnis über Versammlungsanzeigen gesetzt.

Dabei wurden auch die personenbezogenen Daten von Anmelderinnen und Anmeldern offenbart, obwohl es keinerlei Anlass gab, dass diese in den Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes fallen könnten. Diese Verfahrensweise – so der Datenschutzbeauftragte – sei rechtswidrig, allerdings sei das Landesamt damit sorgsam umgegangen, habe die unaufgefordert eingegangen Daten geprüft und gelöscht. Nach den neuesten Erkenntnissen zur Datenbank des Landesamtes für Verfassungsschutz bin ich mir nicht mehr sicher, ob erstens die Aussage gegenüber dem Datenschutzbeauftragten, man habe die Daten gelöscht, richtig ist oder aber zweitens, warum in diesem Fall die Prüfung der Zulässigkeit der Speicherung von Daten funktioniert, während sie bei einer Vielzahl von Fällen – etwa bei Abgeordneten – nicht funktioniert hat.

Diesen Widerspruch aufzulösen, muss in den nächsten Wochen dringende Aufgabe des Verfassungsschutzes werden. Die Behörde muss ihren Datenbestand auf rechtswidrig gespeicherte Daten durchsuchen und diese löschen. Eine erste Maßnahme ist die Sperrung sämtlicher in DOMEA gespeicherter personenbezogener Daten ohne nachrichtendienstliche Relevanz. Dies kritisch zu kontrollieren, wird Aufgabe des Kontrollgremiums, aber auch des Sächsischen Datenschutzbeauftragten sein.

Zum Schluss sei mir noch ein Wort des Dankes an die Koalition gestattet. In meiner Rede zum letzten Tätigkeitsbericht habe ich noch für eine Verbesserung der personellen und sachlichen Ausstattung des Sächsischen Datenschutzbeauftragten geworben. Dies haben wir nun mit dem aktuellen Haushalt umgesetzt.

Vielen Dank!