Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Gesetzentwurf der Staatsregierung: „Gesetz zur Neuregelung des Nachrichtendienstrechts“ (Drs 7/15464) und dem Gesetzentwurf der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD: „Gesetz über die Errichtung einer Fachstelle zur Unterstützung der Parlamentarischen Kontrollkommission im Sächsischen Landtag“ (Drs 7/16577)
89. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch 12.06.2024, TOP 10
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
wenn wir heute über das Nachrichtendienstrecht in diesem hohen Hause debattieren, dann sprechen wir nicht nur über eine der komplexesten Materien der Innenpolitik, sondern zugleich auch über die Regeln zur Arbeit eines klandestin agierenden Inlandsgeheimdienstes.
Eine Behörde, die zunächst wie ein Fremdkörper in einer freiheitlichen Demokratie wirkt, und dennoch eine entscheidende Rolle spielt, wenn es um den Kampf gegen Verfassungsfeinde geht.
Und so bewegt sich jede Novelle des Nachrichtendienstrechtes in einem Spannungsfeld zwischen mehr Befugnissen, nach denen gerne lautstark und selten profund geschrien wird und mehr Kontrolle, die gerade dann entscheidend ist, wenn sich die Maßnahmen eines Inlandsgeheimdienstes im Verborgenen abspielen.
Anlass der heutigen Großnovelle ist dabei ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2022, das einen Paradigmenwechsel darstellte. Bis dato galt unter deutschen Verfassungsschützern der eherne Grundsatz: Weil wir wenig dürfen, dürfen wir mehr wissen.
Aber wie das so mit ehernen Grundsätze ist, sie werden nicht wahrer, je öfter man sie wiederholt. Und spätestens den höchsten deutschen Richtern sind Schlapphut-Dogmen am Ende egal, wenn sie gegen die Verfassung verstoßen.
Das Urteil, welches seinerzeit erhebliche Teile des Bayrischen Verfassungsschutzgesetzes für rechtswidrig erkannte, liest sich wie eine Klatsche gegen die bisherige Praxis des Inlandsgeheimdienstes.
Zwar stimmt das Gericht grundsätzlich der Auffassung zu, dass die Aufgabenwahrnehmung des Verfassungsschutzes der Geheimhaltung bedürfe. Es betont aber, dass das nicht bedeutet, dass die Rechtsgrundlagen ebenfalls im Dunkeln bleiben dürften. Ganz im Gegenteil: Für die Handlungsgrundlagen und Grenzen der Befugnisse kann es in einem demokratischen Rechtsstaat eine prinzipielle Geheimhaltung nicht geben.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich bin dem Sächsischen Innenministerium sehr dankbar dafür, dass es schon letztes Jahr einen Referentenentwurf für ein neues Verfassungsschutzgesetz vorgelegt hat, das den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts meiner Einschätzung nach mehr als genügt. Wir beschließen heute erst als drittes Bundesland ein neues Verfassungsschutzgesetz und zwar eines, das Maßstäbe setzt hinsichtlich Kontrolle und Rechtssicherheit.
Ich möchte es mir an dieser Stelle nicht nehmen lassen, dem Innenministerium, insbesondere der Arbeitsebene, für die ausführlichen Diskussionen und den Versuch des gegenseitigen von Respekt getragenen Verständnisses der unterschiedlichen Standpunkte zu danken. So ein Gesetz in einer Koalition mit so unterschiedlichen Vorstellungen über den Verfassungsschutz zu verhandeln, ist alles andere als leicht. Wenn am Ende ein wirklich gutes Gesetz steht, zeigt das, wie wichtig es ist, sich nicht von billigen politischen Forderungen, sondern von Fachlichkeit leiten zu lassen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
mit dem neuen Verfassungsschutzgesetz regeln wir erstmals überhaupt die Voraussetzungen für eine Reihe nachrichtendienstlicher Befugnisse. Es ist ähnlich wie beim Versammlungsgesetz: Rechtsklarheit bedeutet auch in diesem Fall eine höhere Regelungsdichte.
Zur Sicherung der gebotenen Rechtsbindung müssen die jeweiligen Normen so bestimmt gefasst sein, dass sie aus sich heraus der Verwaltung steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe bieten. Und das ist hier gelungen.
Neben präzisen und differenzierten Begriffsbestimmungen finden sich detaillierte Vorgaben zur Übermittlung an andere Behörden, zu zulässigen Maßnahmen und zur Speicherung von Daten. Dadurch sind die Befugnisse normenklar und bestimmt und Verantwortlichkeiten klar zugeordnet – und das für die Öffentlichkeit erkennbar.
Das gilt besonders auch für den Umgang mit Vertrauenspersonen. Wir haben unsere Lehren aus dem Terrornetzwerk NSU gezogen. Künftig dürfen Geld- und Sachzuwendungen, die im Rahmen dieser Tätigkeit erlangt werden, nicht die alleinige Lebensgrundlage sein und die verantwortlichen Personen im Landesamt müssen regelmäßig wechseln. Das sind meiner Meinung nach wichtige Meilensteine, die auch eine Umsetzung des Koalitionsvertrages bedeuten.
Auch die Kontrolle des Verfassungsschutzes wird gestärkt. Zu lang war die Tätigkeit des Geheimdienstes vor allem dadurch gekennzeichnet, dass er sich unter Berufung auf den Charakter seiner Arbeit jeder unabhängigen Kontrolle entzog. Auch diesem Selbstverständnis legte das Bundesverfassungsgericht einen Riegel vor. Es sei nicht ersichtlich, warum der Verfassungsschutz nicht die verfassungsschutzspezifischen Tatbestandsvoraussetzungen vor Beginn der Maßnahme einer externen Stelle darlegen können sollte.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
leider führt uns die Gesamtsituation vor Augen, dass wir auf einen Verfassungsschutz nicht vollkommen verzichten können.
Doch seine Unverzichtbarkeit entbindet ihn nicht von seiner Rechenschaftspflicht. Die unabhängige Vorabkontrolle schließt eine bisher bestehende Rechtsschutzlücke.
Es liegt in der Natur der Sache, dass nachrichtendienstliche Maßnahmen – anders als beispielsweise polizeirechtliche – den Betroffenen nicht im Vorhinein bekannt gegeben werden können. Wir wollen jedoch keine Institution, die aufgrund bloßer Spekulationen oder Hypothesen tief in die Privatsphäre von Menschen eindringt. Deswegen muss künftig ein Gericht besonders eingriffsintensive Maßnahmen bestätigen.
Und auch die nachträgliche Kontrolle wird gestärkt. Nicht nur ist das Innenministerium künftig verpflichtet, jährlich auch den Innenausschuss über die allgemeine Tätigkeit des Verfassungsschutzes zu unterrichten. Auch die Parlamentarische Kontrollkommission wird künftig durch eine Fachstelle gestärkt. Das war eine BÜNDNISGRÜNE Forderung in dieser Legislaturperiode. Wir folgen damit dem Modell des ständigen Bevollmächtigten im Bund und geben uns als Landtag mehr Kompetenz und Sachverstand bei der Kontrolle der Umsetzung dieses Gesetzes an die Hand. Das ermöglicht eine strukturelle und kontinuierliche Kontrolle auch über eine Legislaturperiode hinweg.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
wir leben in herausfordernden Zeiten. Verfassungsfeinde haben Hochkonjunktur. Es braucht gerade jetzt einen wirksamen Schutz unserer Verfassung, bei der der Verfassungsschutz auch auf neue Entwicklungen reagieren können muss.
Deswegen erhält es dort, wo es notwendig ist, auch neue Befugnisse, vor allem wenn es um Finanzermittlungen bei verfassungsfeindlichen Bestrebungen geht. Wir können und wir werden nicht länger zuschauen, wie die rechtsextreme Szene Millionen pro Jahr scheffelt und Immobilien kauft, ohne dass irgendwer in den Sicherheitsbehörden einen blassen Schimmer zu haben scheint, wie die Geldströme fließen. Auf fehlende Befugnisse kann man sich zukünftig nicht mehr zurückziehen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
gerade wenn Verfassungsfeinde Hochkonjunktur haben, dürfen wir uns nicht auf dem bestehenden System ausruhen. Wenn wir es ernst meinen mit mehr Sicherheit, dann brauchen wir auch einen Systemwechsel beim Verfassungsschutz.
Denn wir brauchen keinen Verfassungsschutz, der nicht immer überrascht ist, wenn etwas passiert, und in dem plappernde Schlapphüte reihenweise Geheimnisverrat begehen.
Es hilft auch nichts, einem dysfunktionalen System immer mehr Befugnisse und Personal zur Verfügung zu stellen. Es geht darum, dass sich der Verfassungsschutz auf die Gefährdung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung fokussiert.
Daher brauchen wir eine Neuordnung des Systems Verfassungsschutz. Dieser sollte der Gefahrenfrühaufklärung dienen – also dem Umgang mit sehr gefährlichen Organisationen und Individuen, die man frühzeitig beobachten muss, weil von ihnen schwere Schäden drohen.
Die Gesellschaftsbeobachtung und die allgemeine Analyse verfassungsfeindlicher Bestrebungen sollten der Wissenschaft überlassen werden. Wir haben in Sachsen seit 2020 das EFBI, das sich genau dieser Aufgabe verschrieben hat. Denn zur Sicherung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung brauchen wir nicht nur Erkenntnisse und Aufklärung über die Lage an sich, sondern vor allem über die Gründe, über Verbindungen, Verschiebungen und neuen Gefahren.
Und wie wichtig die Aufklärung der Öffentlichkeit ist, haben wir sowohl an den correctiv-Recherchen als auch an jenen zu Maximilian Krah erkannt. Es ist nämlich keineswegs so, dass die Gesellschaft dem Rechtsextremismus gleichgültig gegenübersteht. Aber sie muss informiert sein, um in ihrem staatsbürgerlichen Engagement angesprochen zu werden.
Denn am Ende gilt, so gut dieses Gesetz auch sein mag: Der wirksamste Verfassungsschutz sind all jene Menschen, all jene Demokrat*innen, die unsere Verfassung mit Leben füllen.
Vielen Dank!