Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion AfD „Versammlungsfreiheit in Sachsen nicht unverhältnismäßig beschränken!“ (Drs 7/8539)
43. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 05.01.2022, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
als das Bundesverfassungsgericht 1985 in der berühmten Brokdorf-Entscheidung die fundamentalen Grundsätze der Versammlungsfreiheit ausbuchstabierte, prägte es mit wenigen Sätzen die Bedeutung dieses Grundrechtes in die Köpfe und Herzen unserer Demokratie. Die Karlsruher Richter ordneten die Bedeutung der Versammlungsfreiheit fast schon poetisch ein, als sie Versammlungen als die Zuschreibung eines Stücks „ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie“ zuwiesen und die Versammlungsfreiheit zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens erhoben.
Nie hätte sich das Bundesverfassungsgericht wohl damals, den mit hunderttausenden Menschen übervollen Bonner Hofgarten vor Augen, vorstellen können, dass dieses elementare Stück Demokratie eines Tages von nur 10 Personen gleichzeitig an einem Ort ausgeübt werden kann. Und dennoch ist dies mit Blick auf die erheblichen Gefahren in einer Pandemie derzeit bittere Realität.
Das Versammlungsrecht ist seit Beginn der Pandemie mal mehr und mal weniger beschränkt worden.
Für uns BÜNDNISGRÜNE ist seither klar: Das Versammlungsrecht darf nicht in einem Dauerzustand derart massiv leiden. Wir können nicht eines der elementaren Grundrechte unserer Demokratie auf Dauer in diesem Maße einschränken. Deshalb halten wir es für zwingend notwendig zunächst über eine moderate Erhöhung der Teilnehmendenzahl zu diskutieren – unter strengen und vor allem auch durchzusetzenden Hygieneauflagen und Einhaltung des Versammlungsrechtes.
Und zwar nicht, weil die AfD dies hier heute scheinheilig propagiert oder weil die Polizeigewerkschaft mit einer Argumentation mehr Freiheit einfordert, die ebenso in der Abschaffung der Straßenverkehrsordnung münden könnte, sondern weil zum einen tief in unserer demokratischen und rechtsstaatlichen DNA die Überzeugung liegt, dass der Staat nicht überlange einen Zustand perpetuieren kann, in dem Grundrechte einerseits massiv einschränkt werden und gleichzeitig auch sichtbaren Protest dagegen über Gebühr beschränkt wird.
Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund, dass durchaus kontrovers diskutierte Entscheidungen beispielsweise im Bundestag anstehen. Parlamente, in denen bei kontroverseren Abstimmungen die Gewissensentscheidung der Abgeordneten zur berechtigten Maxime erhoben wird und maximal 10 Personen, die sich an das geltenden Recht haltend, dagegen demonstrieren können. Das macht sicherlich nicht nur mich, sondern alle überzeugten Demokratinnen und Demokraten nachdenklich.
Zum anderen und noch vielmehr spricht auch ein ganz praktischer demokratischer Grund für eine zunächst moderate Erhöhung der Teilnehmendenzahlen.
Die aktuelle Regelung trifft vor allem jenen Teil einer engagierten demokratischen Zivilgesellschaft, die sich seit fast zwei Jahren konsequent an Regeln halten und deshalb nicht in der Lage sind, mit sichtbaren Protesten deutlich zu machen, dass die übergroße Mehrheit in diesem Land Menschen sind, die sich solidarisch zeigen und gegen Hass, Hetze und Gewalt eintreten.
Wir dürfen gerade in der aktuellen Situation die Wirkmacht einer sichtbaren, lauten demokratischen Zivilgesellschaft nicht weiter derart massiv einschränken. Wenn allerorten Menschen sich rücksichtlos über Regeln hinwegsetzen, dann möchte ich, dass es denjenigen, die sich an die Regeln halten, möglich ist, dagegen klar und mit mehr als 10 Personen Gesicht und Flagge zu zeigen. Denn genau das braucht unsere freiheitliche Demokratie jetzt – Menschen die sichtbar Haltung für die Werte unserer Verfassung zeigen.
Mit dem vorliegenden Antrag der AfD indes geht es nicht um die Versammlungsfreiheit. Ihnen geht es mit der Aufhebung aller Regeln um einen Freifahrtschein für rücksichtlose rechtextreme Regelbrecher, einen Freibrief für gewaltsame Umsturzphantasien und ein Instrument zur Aufstachelung von Hass und Hetze. Genau das aber werden wir nicht zulassen.
Freiheit geht stets mit Verantwortung einher. Es kann keine Versammlungsfreiheit ohne Grundrechtsverantwortung geben. Wer mit Rechtsextremen und Verfassungsfeinden spaziert, rettet nicht unsere Grundrechte, sondern beschädigt unsere freiheitliche Demokratie. Wer Polizeiketten gewaltsame durchbricht, Polizisten Dienstwaffen entwenden will und in SA-Manier mit Fackelaufmärschen Politikerinnen einschüchtern will, kann sich nicht auf die Versammlungsfreiheit berufen, sondern allenfalls noch auf sein Aussageverweigerungsrecht als Angeklagter.
Und schon alleine aus diesen Gründen werden wir Ihren scheinheiligen Antrag ablehnen. Die Wohlfeilheit ihres Begehrens zeigt sich nicht zuletzt in ihrem heuchlerischen Umgang mit der Versammlungsfreiheit selbst. Als wir in der letzten Wahlperiode ein liberales Versammlungsgesetz vorgelegt haben, war die AfD dagegen. Wie sich die Zeiten ändern, so ändert sich offenbar auch die Meinung der AfD zu Grundrechten: Funfact am Rande: Das Gesetz sah übrigens auch Regelungen für leitungslose Versammlungen vor.
Wer Grundrechte wie die AfD nach politischer Großwetterlage verhandeln will, und weder Anstand noch Verantwortung zeigt, hat jene anfangs zitierten großen Rechtsgeschichte prägenden Worte des Bundesverfassungsgerichts nicht verstanden, welche es gilt schnellstmöglich wieder zur vollständigen Realität werden zu lassen.
Vielen Dank.