– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
als Bundeskanzlerin Angela Merkel den Satz „Wir schaffen das“ sagte, muss sie wohl vergessen haben, dass Sachsen zur Bundesrepublik gehört. Dass es für das Gelingen, für funktionierende rechtsstaatliche Strukturen und für die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols Voraussetzungen braucht, die wir in Sachsen nicht mehr im ausreichenden Maße gewährleisten können. Das vorvergangene Wochenende mit Clausnitz und Bautzen hat dies in erschreckender Art und Weise nochmals vor Augen geführt.
Sachsen und der funktionierende Rechtsstaat, es ist ein Trauerspiel in vielen Akten. Viele fragen sich zu Recht, ob der Freistaat noch in der Lage ist, die Errungenschaften des Rechtsstaates und seine Werte zu schützen. Permanente Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte, Hilflosigkeit gegen den grölenden und teils gewalttätigen Mob und erhebliche Schwierigkeiten, die Versammlungsfreiheit in Sachsen ausreichend gewähren zu können, lassen den Rechtsstaat immer mehr zu einer Attrappe verkommen.
Überdies: Die Androhung der „Härte des Rechtsstaates“ ist zu einem Mantra der Hilflosigkeit verkommen, welches an der schlichten Realität scheitert.
Werte Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Ausprägung unserer rechtsstaatlichen Strukturen schaffen wir es tatsächlich nicht. Und Herr Ministerpräsident: Sie postulieren jetzt den starken Staat. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Es ist jetzt nicht die Zeit für die konservative Obsession des starken Staates.
Es ist Zeit für die für die Durchsetzung eines funktionierenden Rechtsstaats. Ein Rechtsstaat, der Menschen ausreichend schützt, ein Rechtsstaat, der das staatliche Gewaltmonopol sichert und durchsetzt und einen Rechtsstaat mit einer Polizei, die in der Lage ist, Bürgerrechte zu schützen und bereit ist, Fehler einzugestehen.
Davon sind wir derzeit weit entfernt. Herr Ministerpräsident: Zur Ehrlichkeit gehört: Wir brauchen einen Maßnahmeplan zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit unserer Rechtsstaates. Dies ist ein Armutszeugnis – aber leider bitter notwendig.
Für einen funktionierenden Staat braucht es eine bessere personelle Ausstattung bei Polizei, Justiz und in der Verwaltung. Die Zahlen, die Sie genannt haben, sind nicht das, was notwendig ist. Auch Sie haben jetzt den Stopp des Stellenabbaus angekündigt. Vielleicht schaffen Sie es tatsächlich, im Gegensatz zu ihrem Innenminister, diesen dann auch mal zu vollziehen.
In Clausnitz konnten innerhalb von 2 Stunden gerade einmal 23 Polizisten zusammengezogen werden, und bei der Polizei werden weiter Stellen abgebaut – das ist kein leider Witz, sondern sächsische Realität. Es muss endlich Schluss sein mit bloßen Ankündigungen. Es braucht Taten.
In einem funktionierenden Staat braucht es nicht nur mehr Polizei sondern eine Polizei, der möglichst alle Bürgerinnen und Bürger vertrauen.
Dazu bedarf es aber eines Innenministers, der eine Führungskultur bei der Polizei durchsetzt, in der 1.) Fehlerkultur kein Fremdwort ist, in der 2.) interkulturelle Kompetenz und eine menschenrechtsorientierte Polizeiarbeit in allen Strukturen etabliert und vor allem auch gelebt werden, und in der 3.) auch sichtbar gegen schwarze Schafe vorgegangen wird, die das Außenbild der Polizei in Misskredit bringen.
In einem funktionierenden Staat braucht es eine politische Führung, die gesellschaftlich KLAR Haltung zeigt. Es muss Schluss sein mit Wegducken, Ausweichen und Aussitzen. Klare Worte und klare Taten werden weit mehr bringen, als Anbiederung und Relativierung, wie wir sie zuletzt so häufig erlebt haben.
Wir stehen vor der großen Herausforderung, Menschen, die seit 25 Jahren Demokratie und Rechtsstaatlichkeit teilweise nicht verinnerlicht haben, republikanische Werte zu vermitteln.
Ein funktionierender Staat in einer starken Republik fußt auf einer starken Zivilgesellschaft. Diese starke Zivilgesellschaft hat aber die Staatsregierung, hat die regierende CDU 25 Jahre lang nicht gewollt.
Wer jetzt, wie Sie Herr Ministerpräsident – in Zeiten der Not – nach der geschmähten, diffamierten und teilweise kriminalisierten Zivilgesellschaft ruft, dem muss klar sein, dass dies mit einem „Weiter-so“ ihrer Politik nicht funktionieren wird. Obrigkeitsorientiertes und etatistisches Staatsdenken sind genau der falsche Weg.
Zivilgesellschaft gibt es nicht zum Nulltarif oder als Feigenblatt. Eine starke Zivilgesellschaft tut den Herrschenden weh. Sie stört, sie kritisiert, sie streitet – ABER sie trägt damit die Grundfeste unserer republikanischen Staatsordnung.
Eine starke Zivilgesellschaft ist eine notwendige Zumutung für bloßes Verwalten unserer Demokratie, aber ein Segen für eine stabile und lebendige Republik.
Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann zur Sondersitzung des Sächsischen Landtags auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Die Linke: „Nach Clausnitz und Bautzen: Bedauern reicht nicht, die Staatsregierung muss endlich aufwachen – Haltung zeigen, Zivilgesellschaft unterstützen, demokratischen Rechtsstaat stärken“
29. Sitzung des Sächsischen Landtags, 29. Februar 2016