– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,
das staatliche Gewaltmonopol, also die Überlegung, dass nur der Staat das Recht hat, Gewalt zur Durchsetzung von Recht und Ordnung anzuwenden und Menschen die Freiheit zu entziehen ist, stellt einer der wohl größten zivilisatorischen und intellektuellen Errungenschaften dar. Sie prägt bis heute unsere Vorstellung davon, was Rechtsstaatlichkeit ausmacht. Eine der Kernfragen, die die Menschen dabei seit je her bewegt: Wie lassen sich jene, die mit den Sonderrechten zur Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols ausgestattet sind, eigentlich wirksam kontrollieren.
Genau darum geht es uns auch heute mit unserem Gesetzentwurf, der zum Ziel hat, auch in Sachsen endlich das Tragen von Namensschildern oder Nummerncodierungen für Polizeibedienstete zur Pflicht zu machen. Denn wer durch unsere Gesetze größtmögliche Eingriffsrechte erhält, der muss auch bestmöglich kontrolliert werden.
So einfach und logisch dies klingt, so schwierig ist dies in der Praxis und zwar nicht, weil es uns an Gesetzen oder dergleichen fehlt, sondern weil mitunter auch im Freistaat Sachsen das Problem existiert, dass Ermittlungsverfahren gegen Polizeibedienstete häufig im Sande verlaufen.
Wenn von Anfang 2015 bis Mai 2016 von 767 Ermittlungsverfahren gegen Polizistinnen und Polizisten, bei denen es in der Regel um Körperverletzung im Amt ging, lediglich 11 mit Anklage oder Strafbefehl endeten, kann die vor dem Hintergrund, dass diese Einstellungsquote weit höher ist, als beim großen Teil der Bevölkerung nur folgendes bedeuten: Entweder unsere Polizistinnen und Polizisten sind die sprichwörtlichen Waisenknaben oder es läuft gehörig was schief im Freistaat Sachsen.
Vieles spricht für letztes. Denn häufig werden die Verfahren deshalb eingestellt, weil ein Tatverdächtiger nicht ermittelbar ist. Denn, um einem Verdacht nachzugehen, muss es nämlich überhaupt erst einmal möglich sein, einen Verdächtigen zu identifizieren.
Mit der vorgeschlagenen Änderung des Polizeigesetzes sollen sächsische Polizistinnen und Polizisten bei ihren Diensthandlungen deshalb künftig ein deutlich sichtbares Namensschild tragen. Bei geschlossenen Einsatzeinheiten kann das Namensschild durch eine Nummern- oder eine Nummer-Buchstaben-Folge ersetzt werden, durch die sichergestellt wird, dass sie einem Bediensteten eindeutig zugeordnet werden kann.
Es sind übrigens weniger Demonstrationslagen, aus denen für einen Bediensteten erhebliche Nachteile entstehen – und damit meine ich nicht die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens – sondern Bedrohungen oder Gefahren, die sich aus tagtäglich Einsätzen, wie etwa wegen eskalierenden Familienstreitigkeiten ergeben. Auch in solchen Fällen sieht unser Gesetzentwurf vor, dass das Namensschild durch eine identifizierbare Nummer ersetzt wird. Bei unmittelbarer Gefährdung von Leib und Leben kann darüber hinaus auch auf die Kennzeichnung verzichtet werden.
In der Anhörung ist deutlich geworden: Ein substanzielles Argument gegen eine Kennzeichnungspflicht gibt es nicht mehr. Man mag über die konkrete Ausformung streiten, aber nicht um deren Sinn und Notwendigkeit.
Auch alle Befürchtungen über erhebliche Nachteile oder gar Gefahren für die Polizeibediensteten durch eine Kennzeichnungspflicht haben sich nicht bewahrheitet. Das zeigen die Erfahrungen in den mittlerweile acht Ländern, in denen die Kennzeichnungspflicht eingeführt wurde. In Hessen beispielsweise war die Aufregung ähnlich groß wie hier. Nach einem Jahr konstatierte der Sprecher des Innenministeriums, unverdächtig ein GRÜNER zu sein, dass es beim Tragen der individuellen Kennzeichnung im Einsatz zu keinen Problemen gekommen sei.
Sehr geehrte Damen und Herren,
gerne wird uns GRÜNEN im Zusammenhang mit der heute abzustimmenden Forderung vorgeworfen, wir seien ein Sicherheitsrisiko für die Polizei.
Das ist so einfallslos, wie falsch und verlogen. Denn das Sicherheitsrisiko für den Polizisten ist nicht eine Nummerncodierung, sondern die langjährige desaströse Personalpolitik dieser CDU in Sachsen.
Wenn ich von Ihnen höre, dass Sie ‚Ihre Polizisten im Dienst schützen‘ und sie deswegen keine Kennzeichnung tragen müssen, dann ist das – in Anbetracht der beschriebenen guten Erfahrungen mit der Kennzeichnungspflicht in anderen Bundesländern auf der einen Seite und dem sicherheitsrelevanten Kaputtsparen der sächsischen Polizei auf der anderen Seite – schon fast zynisch.
Es ist für die sächsische Polizei riskanter, mit wenig und überlastetem Personal zu einem Hochrisikospiel der Fußballbundesliga zu gehen oder die Festnahme eines Terrorverdächtigen zu versuchen oder Familienstreitigkeiten zu beenden, als mit einer identifizierbaren Nummer Demonstrationen abzusichern!
Wir GRÜNEN stehen mit diesem Gesetzentwurf für Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Sicherheit. Wir werben damit aber gleichzeitig für eine Kultur des Respekts gegenüber sächsischen Polizistinnen und Polizisten. Denn mit einem Namen wird aus dem anonymen uniformierten Gegenüber ein Kommunikationspartner auf Augenhöhe und der Obrigkeitsstaat zum wahrnehmbaren Rechtsstaat.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Warum lassen wir gerade jetzt über diesen Gesetzentwurf abstimmen? Weil Sie Herr Innenminister mittlerweile tief in den Giftschrank der Sicherheitsgesetzgebung greifen und uns eine Vielzahl weiterer sinnloser aber schwerwiegender Grundrechtseingriffe angekündigt haben.
Mit jeder Ausweitung der Befugnisse der Polizei, mit (legitimer) Gewalt oder verdeckt in die Grundrechte von Menschen einzugreifen, muss zugleich gewährleistet werden, dass diese Maßnahmen auch gerichtlich überprüft werden können. Dazu gehört auch und selbstverständlich, dass eine Polizistin oder ein Polizist identifizierbar ist.
Herr Innenminister ich gebe Ihnen ein Versprechen:
Solange Sie die Grundrechte weiter aushöhlen wollen, solange Sie vermeintliche Sicherheit über Freiheit stellen, werden wir GRÜNE den liberalen Rechtsstaat mehr und mehr verteidigen und die Rechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem staatlichen Gewaltmonopol stärken!
Auch durch Gesetzentwürfe wie diesen!
Rede des Abgeordneten Valentin Lippmann (GRÜNE) zur Zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion GRÜNE: ‚Gesetz über die Ausweis- und Kennzeichnungspflicht der Bediensteten der Polizei‘ (Drs 6/1554)
50. Sitzung des Sächsischen Landtags, 15. März, TOP 3