Untersuchungsausschuss Corona – Es braucht kein Tribunal, sondern eine ernsthafte Aufarbeitung

Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Dringlichen Antrag von Abgeordneten der Fraktion AfD zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Corona-Pandemie.

  1. Sitzung des 8. Sächsischen Landtags, Freitag, 25.10.2024, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor fünf Jahren, im Oktober 2019, ahnte in den damaligen Gesprächen zur Regierungsbildung in Sachsen niemand, dass die Ereignisse wenige Monate später und auf Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte beschäftigen würden, dass kurz darauf eine weltweite Pandemie alle Lebensbereiche massiv beinträchtigen würde. Dass Situationen entstehen würden, in denen die Abwägung zwischen dem Schutz von Leben und dem der Freiheit schier unerträgliche Zerrissenheit zutage traten. In dem der Staat zu Maßnahmen griff, die mit dem Grundgedanken einer freiheitlichen Demokratie bis dato unvereinbar schienen.

Wir alle können uns an die vielen auch parlamentarischen Auseinandersetzungen in diesem Hohen Haus erinnern, von Parlamentsdebatten bis zu zig Sonderausschusssitzungen zu Corona-Schutzverordnungen. Die Corona-Pandemie hat die vergangene Legislaturperiode fast vollständig geprägt. Die letzten Corona-Schutzverordnungen sind gerade einmal zweieinhalb Jahre her.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
gerade jetzt erst beginnt eine erkennbare, breite und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Corona-Pandemie und ihren Folgen. Und deshalb ist es richtig, dass auch die Parlamente, allen voran der Deutsche Bundestag, aber auch die Landesparlamente ihren Beitrag dazu leisten müssen, nicht nur die Pandemie, sondern auch ihre eigenen Entscheidungen und die Folgen aufzuarbeiten.

Das haben wir BÜDNISGRÜNE schon lange gefordert und dazu stehen wir weiterhin mit unverbrüchlicher Klarheit.

Es geht darum, auch über Fehler und Fehleinschätzungen zu sprechen, die zweifelsohne gemacht wurden. Unzweifelhaft wurde bei vielen Maßnahmen die langfristigen Folgen, vor allem für Kinder und Jugendliche nicht im notwendigen Maße in den Blick genommen. Ganz sicher entsprach die Realität der Versammlungsmöglichkeit mit maximal zehn Personen nicht einmal mehr im Kern dem Grundgedanken des Grundgesetzes. Und sicher war auch nicht jede verbale Zuspitzung führender Politikerinnen und Politiker dieses Landes klug angelegt.

Aber das ist normal. Denn niemand kann für sich in Anspruch nehmen in einer solchen Ausnahmesituation wie einer weltweiten Pandemie fehlerfrei zu agieren. Übrigens auch nicht die Antragsteller der Untersuchungsausschüsse, aber dazu gleich. Es geht daher vor allem darum, aus diesen Fehlern zu lernen, Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen. Denn die nächste Ausnahmesituation, die nächste Pandemie, sie wird kommen – die Frage ist nur wann! Und unsere Verantwortung als vernünftige Politikerinnen und Politiker ist es daher, dafür Sorge zu tragen, dass man dann besser vorbereitet ist, als beim letzten Mal – das sind wir auch gerade der jüngeren Generation schuldig, die in einem Dauerzustand von Krise aufgewachsen ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
aber genau hierfür ist ein Untersuchungssauschuss ungefähr so geeignet wie der Klappspaten oder Hammer und Sichel zur morgendlichen Rasur.

Denn es ist doch ganz klar: Weder der AfD noch dem BSW geht es bei ihren Anträgen um Aufarbeitung im Sinne des institutionellen Lernens. Es geht ihnen um Abrechnung, um alberne Attacken und um eine Bühne für ihre plumpe Propaganda.

Und anders als hier gebetsmühlenartig vorgetragen, geht es ihnen in diesen Untersuchungsausschüssen auch nicht um Versöhnung, sondern um ein Tribunal. Oder glauben Sie ernsthaft, dass das wurschtige Rumgegeifer eines Herrn Prantl oder der regelmäßige geistige Fragen-Tiefflug von Herrn Meyer ein Beitrag zur Versöhnung sein werden? Wohl kaum. Sie wollen weiter spalten, statt ehrlich aufarbeiten – und dafür können und werden Sie von uns keine Unterstützung erfahren.

Und wo wir gerade dabei sind: Wissen Sie, ich habe mir hier als Parlamentarischer Geschäftsführer meiner Fraktion fast jede Rede eines AfDlers zu Corona angehört. Es war viel Unerträgliches dabei, aber eben auch viel Unsinn. Das Orakel zu Schaufel, Großaugur Urban und Kassandra-Prantl irrten und irrlichterten hier regelmäßig vor sich hin.

Die Stringenz Ihrer Vorschläge und Forderungen mal zu untersuchen, wäre sicherlich interessant, aber wahrscheinlich zwecklos. Denn die Forderung nach Aufarbeitung endet bei Ihnen wahrscheinlich an Ihrer Türschwelle.

Nur ein Beispiel: In fast lückenloser Aneinanderreihung wurde uns in jedem Plenum ein neues Land als Vorbild für die Pandemiebekämpfung aus Sicht der AfD ins Schaufenster gestellt. Nur um das dann ganz schnell zu vergessen, wenn das entsprechende Land dann etwas anderes tat, als der AfD lieb war. Rosinenpickerei nach dem Grundsatz „Schweden oder Texas, Hauptsache Phantasialand“ ist keine Pandemiebekämpfung, sondern eine Zumutung.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
von Ihren 96 Fragen im Antrag widmet sich keine einzige den Herausforderungen der Gegenwart oder Zukunft. Von Ihrem plumpen Blick zurück ist keinem der Menschen geholfen, die tatsächlich unter den Auswirkungen der Pandemie leiden und zwar bis heute. Von Menschen mit Long-Covid oder Personen, die von Nebenwirkungen betroffen waren und sind. Eine ordentliche Aufarbeitung muss auch diese Fragen mit einbeziehen.

Deshalb haben wir BÜNDNISGRÜNE eine Enquete-Kommission gefordert, um mit der Wissenschaft auch hier Aufarbeitung zu leisten, um Sachsen resilient und zukunftsfest zu machen.

Insoweit sind wir positiv überrascht, dass nun CDU und SPD einen Antrag zur Einsetzung einer solchen Enquete-Kommission eingereicht haben. Ich versichere Ihnen schon mal, dass wir den sehr umfassend auf Ergänzungsbedarfe prüfen werden. Ich sage Ihnen aber auch, es hätte dem Parlament gut gestanden, wenn Sie andere Fraktionen in die Erarbeitung mit einbezogen hätten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
dieser Antrag auf eine Enquete kann aber nicht das schräge Schauspiel überdecken, was hier und heute dargeboten wird: Ihr potenzieller Koalitionspartner versucht sich im parlamentarischen Harakiri und stellt selbst einen Einsetzungsantrag für einen Untersuchungsausschuss. Und die Rumpfkoalition ist faktisch gezwungen dagegen zu stimmen, um einen zweiten Untersuchungsausschuss von Gnaden der AfD zu verhindern, weil das BSW seinen verfassungswidrigen Antrag auch nicht zurückziehen will.

Und gleichzeitig schafft es das BSW offenkundig nicht mal, sich für eine Enquete zu erwärmen. Das ist keine Verantwortung für dieses Land, das ist eine Zumutung für dieses Parlament.

Das Prinzip jeder gegen jeden scheint in dieser „Koalition der Eitelkeiten“ in der Gründung offenbar zur obersten Maxime geworden sein – was das mit dem Ziel der Bildung einer stabilen Regierung zu tun hat, wissen wohl nur die Verhandler selbst

Umso weniger braucht es da noch einen Untersuchungsausschuss der AfD.

Vielen Dank.