Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion DIE LINKE: „Wir kürzen uns arm und kaputt: Bund in die Pflicht nehmen – Schuldenbremse als Investitionsbremse raus aus dem Grundgesetz!“
80. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 13.12.2023, TOP 2
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Streichung der Schuldenbremse, wie von der Linksfraktion gefordert, klingt einfach. Weg damit und plötzlich wird alles gut – das Schlaraffenland erblüht. Wozu auch Reformgedanken machen – Revolution statt Evolution. So einfach wie falsch!
Wir BÜNDNISGRÜNE kritisieren die aktuellen Regelungen zur Schuldenbremse, vor allem im Land, aber auch im Bund. Wir wollen sie aber nicht einfach aufgeben, sondern durch eine gute Regelung, die stabile öffentlichen Haushalte und wichtige Investitionen ermöglicht, ersetzen.
Das heißt, dass wir über die Schuldenbremse und ihre Konstruktion reden müssen.
Ich nutze diese Aktuelle Debatte, um vielleicht auch einmal in die Historie zu blicken. Denn wir diskutieren zunehmend nur noch über das Instrument und nicht mehr über das ursprüngliche Ziel.
Vor 30 Jahren, am 1. November 1993, trat der Vertrag von Maastricht in Kraft. Unterzeichnet haben den die Staats- und Regierungsspitzen der EU. Dieser Vertrag ist der Grundstein für die Europäische Union in ihrer heutigen Form und für die gemeinsame europäische Währung.
Teil des Vertrages sind die sogenannten „Maastricht-Kriterien“ (jährliche Neuverschuldung höchstens drei Prozent, Gesamtverschuldung höchstens 60 Prozent des Bruttosozialprodukts).
Mitte der 1990er Jahre wurde dann noch ein ergänzendes Regelwerk erarbeitet: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt. Der Pakt sollte den besonderen Anforderungen an die Haushalts- und Finanzpolitik Rechnung tragen, die mit einer Währungsunion einhergehen.
Als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt 2011 dann reformiert. Ab hier hatten sich die Mitgliedstaaten darauf verständigt,
- die Neuverschuldung zu reduzieren,
- einen Abbaupfad der Schuldenstandquote auf 60 Prozent des BIP vorzuschreiben.
Für unsere Diskussion hier ist vor allem relevant, dass die Vertragsstaaten verpflichtet sind, die Fiskalregeln in nationales Recht umzusetzen.
Das haben Bund und Länder getan. Die Schuldenbremse jetzt zu streichen, würde gegen die europäische Einigung erfolgen – deshalb gilt: Wer die Europäische Integration ernst meint, muss einheitliche Regelungen zur Verschuldung in den Mitgliedsstaaten haben, sonst ist die nächste Schuldenkrise nicht weit.
Aber klar ist auch, dass Ausgestaltung keine Investitionsbremse sein darf. Auf Bundesebene und in einigen Ländern wurden Sondervermögen errichtet, weil im Rahmen der Schuldenbremse wichtige Investitionen nicht mehr erfolgen können – mit gravierenden Folgen.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun geurteilt, dass dies nicht mit der Verfassung vereinbart ist. Mit der aktuellen Regelung sind die Investitionen über Sondervermögen nicht möglich.
Die weltweiten Krisen und die geopolitischen Abhängigkeiten setzen Deutschland aber derweil deutlich unter Druck. Das ist für alle spürbar: Wir erleben und leben mit Lieferengpässen und -abhängigkeiten, mit Preissteigerungen und Kriegsberichtserstattung.
Diese Krisen gehen nicht einfach weg. Sie sind auch da, weil die Vorgängerregierung die schwarze Null zum heiligen Gral erhoben und nicht ausreichend in die wirtschaftliche Transformation, in Infrastruktur, Digitalisierung, Bildung und Forschung etc. investiert.
Auf Landesebene ist die Situation noch schwieriger. Die sächsische Regelung reagiert weder auf konjunkturelle Einbrüche noch auf Inflation – über deren erheblichen Reformbedarf besteht kein Zweifel.
Und natürlich braucht es auch eine Reform der Schuldenbremse im Bund. Selbst die Bundesbank hat sich dazu geäußert, dass bei einer niedrigen Schuldenquote der Kreditrahmen moderat ausgeweitet werden kann, um Investitionen zu tätigen.
Eine Schuldenbremse, die der Jährlichkeit und Jährigkeit unterliegt, kann die notwendigen Investitionen in die Dekarbonisierung der Stahl- oder der Chemischen Industrie, das Hochlaufen von Wasserstoffwirtschaft oder der Wiederaufbau einer Solarindustrie in Deutschland nicht begleiten.
Hier ist die Politik gefordert. Die USA haben 2022 mit dem Inflation Reduction Act ein 433 Milliarden Dollar schweres Investitionspaket erlassen; ein umfassendes Klimaschutz- und Sozialpaket. Gefördert werden der Ausbau Erneuerbarer Energieerzeugung, die Steigerung von Energieeffizienz in Privathaushalten und die Reduzierung von CO2-Emissionen.
China hat noch früher angefangen, strategisch und mit viel Geld massiv die klimaneutrale Ausgestaltung seiner Industrie zu subventionieren. Mit der Strategie „Made in China 2025“ werden nun hochtechnologische Schlüsselindustrien besonders stark gefördert. Industrien, in denen Deutschland bis jetzt eine hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit besitzt.
Deutschland ist nach den USA, China und Japan die viertgrößte Volkswirtschaft. Wir sind keine Insel, sondern mitten drin und die Krisen werden nicht verpuffen. Um Deutschland als Wirtschaftsstandort mit Kraft, Innovationsgeist und Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, braucht es Investitionen und eine Reform der Schuldenbremse.
Die europäischen Überlegungen zur Schuldenbremse sollten der Staatsverschuldung Einhalt gebieten – das haben sie getan. Daher ist es auch weiterhin wichtig, dass es eine geeignete Regelung gibt. Die aktuelle Regelung kann die Fragen der Zeit nicht beantworten und schadet Deutschland – wir sind stets bereit über ihre Anpassung, aber nicht über ihre vollständige Abschaffung zu reden.
Vielen Dank!