Datenschutz ist kein Schönwettergrundrecht, das man auf dem Altar der Illusion von mehr Sicherheit opfern kann.

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Schurig,

es ist in diesem Haus und insbesondere bei den GRÜNEN-Fraktionen guter Brauch, an dieser Stelle neben einem Dank an Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch zum Ausdruck zu bringen, dass wir es überaus bedauern, dass Sie nach wie vor nicht das Recht haben, hier auch zu sprechen. Stattdessen müssen Sie stumm den Interpretationen lauschen, die wir hier zu Ihrem Tätigkeitsbericht vornehmen.

Ich erlaube mir, die leise Hoffnung anzumelden, dass die mit der Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung erforderlich werdenden Änderungen zu den Rechten und Pflichten des Datenschutzbeauftragten auch ein Rederecht vor dem Landtag beinhaltet. Es würde diesem Hause mehr als gut zu Gesicht stehen hier auch den Weg anderer Parlamente zu befolgen.

Die heutige Diskussion über den Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten fällt in eine Zeit, in der das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung an einem Scheideweg steht. Den Bericht muss man daher zum Anlass nehmen, um über den Stand des Datenschutzes hier und heute zu diskutieren. Und da gilt zu konstatieren: Der Ausverkauf des Grundrechts auf Datenschutz hat nicht nur in Bezug auf international agierende Geheimdienste sondern auch hier im Freistaat Sachsen schon längst begonnen.

Die terroristische Bedrohungslage in Europa ruft diejenigen auf den Plan, denen das Recht auf Datenschutz schon immer ein Dorn im Auge war bzw. offenbar zur Aufgabenbeschreibung für ihren Innenministerposten gehört.
Allen voran Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der mit der Forderung nach „Verbindung aller Datentöpfe“ oder einer flächendeckenden Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen zum Generalangriff auf den Datenschutz in Deutschland geblasen hat.
Der Bundesjustizminister der SPD, Heiko Maas, will künftig das Reisen in Konfliktgebiete unter Strafe stellen – eine Kriminalisierung von Vorfeldhandlungen, die die Erhebung großer Datenmengen rechtfertigt.

Und der Sächsische Innenminister? Ist in dieser Frage alles andere als ein unverdächtiger Waisenknabe. Sie setzen sogar noch einen drauf und kündigten letzte Woche ohne jede Skrupel an, Body-Cams, Gesichtserkennungssysteme und Vorhersagesoftware einführen zu wollen.

Dabei war es doch Ihre Polizei, die uns gerade eindrucksvoll und selbstentlarvend gezeigt hat, dass viele Daten nicht zwingend mehr Erkenntnisse bedeuten. Es ist doch wohl ein Treppenwitz, dass Sie Daten von über 1.000 mutmaßlichen Hooligans speichern und es nicht auf die Reihe bekommen, vor der EM eine einzige Gefährderansprache an die Adresse der Gewalttäter zu richten. Mit der sagenhaften Begründung: man wisse ja nicht, wen man ansprechen solle, es seien zu viele. Einen besseren Kronzeugen von der Sinnfreiheit ausufernder Datenbestände hätte es wohl kaum geben können.

Das Bundesverfassungsgericht, das mit seinen Urteilen zur Vorratsdatenspeicherung, zur Antiterrordatei oder zuletzt zum BKA-Gesetz dem Gesetzgeber versucht deutlich zu machen, wo die Grenzen für Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung liegen.

Der Sächsische Datenschutzbeauftragte hat an diesem Scheideweg eine wichtige Funktion: er ist der Wegweiser. Für die Verwaltung und den Gesetzgeber. Einer, der Grenzen aufzeigt, mahnt, vermittelt und dem Grundrecht auf Datenschutz zur Wirkung verhilft. Ich danke dem Datenschutzbeauftragten daher für seine klaren Worte im Bericht. Sie haben deutlich gemacht, dass die durch Snowden veröffentlichte millionenfache geheimdienstliche Überwachung kein Problem der Kanzlerin sondern aller Deutschen ist und, dass die sächsische Staatsregierung Maßnahmen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor massenhafter Überwachung treffen kann und muss.
Sie haben dem Gesetzgeber nochmals deutlich ins Stammbuch geschrieben, dass die 2011 eingeführte automatisierte Kennzeichenerfassung grundsätzlichen Bedenken begegnet. Die jüngsten Erkenntnisse zeigen es nochmal ganz deutlich. Es ist nicht verhältnismäßig, die Daten von Millionen Menschen zu erfassen, um einige wenige KFZ-Diebstähle aufzuklären.

Sie haben das Versammlungsgrundrecht gestärkt, indem sie die Polizei mit Nachdruck auf das Verbot von Bild- und Tonaufnahmen bei friedlichen Versammlungen hingewiesen haben. Nur allein in der Praxis verhallen diese Worte faktisch ungehört.
Nicht zu vergessen, haben Sie und Ihre Mitarbeiter in über 800 Fällen eine datenschutzrechtliche Prüfung nicht-öffentlicher Stellen vorgenommen, davon allein 146 Fälle von Videoüberwachung.
Dass sie bei ca. jeder dritten Kontrolle Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften festgestellt haben, zeigt, wie wichtig eine starke Aufsichtsbehörde in diesem Bereich ist.

Liest man ihren Bericht genau, wird eines ganz deutlich: Sie können längst nicht so, wie Sie wollten und müssten. Für Regel- bzw. anlassfreie Kontrollen fehlen Ihnen die Kapazitäten. Keine einzige dieser systematischen Kontrollen konnten im Berichtszeitraum im nicht-öffentlichen Bereich durchgeführt werden. Bei der Kontrolle der öffentlichen Stellen wird es Ihnen nicht viel anders gegangen sein.

Vor diesem Hintergrund müssen wir uns eines klar machen: Der Sächsische Datenschutzbeauftragte ist ein niedrigschwelliges Angebot für alle sächsischen Bürgerinnen und Bürger. Sie müssen nicht den Klageweg bestreiten, um gegen ein rechtswidriges – weil gegen Datenschutz verstoßendes – Verwaltungshandeln vorzugehen. Sie können sich kostenfrei an den Datenschutzbeauftragten wenden, der sie wie ein Anwalt gegenüber den Behörden oder sonstigen Stellen vertritt.

Diese Aufgabe kann und wird der Sächsische Datenschutzbeauftragte vollumfänglich nur erfüllen, wenn er personell ausreichend ausgestattet ist. Davon sind wir leider meilenweit entfernt. Es ist an uns als Gesetzgeber, diesen Zustand schnellstmöglich zu beheben und ich verlange hier auch von der Koalition ein klares Bekenntnis im Haushalt. Ich werde all jene daran erinnern, die den Datenschutzbeauftragten heute vollmundig gedankt und wohlfeile Worte gefunden haben

Zum Schluss möchte ich auf noch auf einige aktuelle Entwicklungen eingehen, die mich in höchste Sorge versetzen. Wir haben in den letzten Wochen Zahlen zu Datenbanken und Datenerhebungen bei der sächsischen Polizei erhalten, die den Verdacht nähren, dass diese nicht auf das erforderliche – und damit rechtmäßige Maß begrenzt sind.
Hier ploppt eine Datenbank nach der Anderen auf und im Innenministerium biegt man sich mit Auskunftsverweigerungen auf meine Anfragen das Bild in der Öffentlichkeit zurecht. Wenn alles so rechtmäßig und unverdächtig ist, was Sie speichern, dann legen Sie es offen, Herr Ulbig. Bis dahin bleiben Zweifel.

Wir mussten feststellen, dass Ermittlungsverfahren in Sachsen, in denen Funkzellenabfragen durchgeführt worden, im Jahr 2015 im Vergleich zum Vorjahr um rund 30 Prozent − von 257 auf 360 Verfahren − angestiegen sind. Insgesamt wurden über 20.000 Verkehrsdaten-Dateien übermittelt, fast so viele wie in den Jahren 2013 und 2014 zusammen. Wir GRÜNEN fordern vor diesem Hintergrund – dies können Sie auch unserem Entschließungsantrag entnehmen – dass der Sächsische Datenschutzbeauftragte wieder regelmäßig über Ort und Anlass durchgeführter Funkzellenabfragen unterrichtet wird.

Zudem müssen die Staatsanwaltschaften endlich dazu übergehen, die namentlich bekannten Betroffenen der Funkzellenabfragen zu unterrichten. Dies ist – aber das scheint ja nicht zu interessieren– gesetzlich vorgeschrieben.

Wir mussten weiterhin feststellen, dass die sächsische Polizei mit dem sog. elektronischen Fallanalysesystem (eFAS) systematisch Strukturermittlungen im Bereich der politisch motivierten Kriminalität und der Gewalttäter Sport betreibt und dazu über 178.000 Datensätze speichert. Ich bin dem Sächsischen Datenschutzbeauftragten sehr dankbar, dass er einen Prüfvorgang für diese Datensammlung eingeleitet hat.

Freuen würde mich ein solcher Prüfvorgang auch für die Fälle der sogenannten personengebundenen Hinweise „PHW“, deren umfangreiche Existenz wir mit einer weiteren Kleinen Anfrage feststellen konnten. Ich gehe grundsätzlich mit, dass sehr gewalttätige Menschen, zu denen Einträge in einer polizeilichen Datenbank vorliegen, zum Schutz der Polizeibediensteten als gewalttätig gekennzeichnet werden. Ich kann die Erforderlichkeit der Kennzeichnung von Menschen in polizeilichen Datenbanken mit solchen Merkmalen wie „häufig wechselnder Wohnort“ oder „Sprayer“ oder „Land- und Stadtstreicher“ jedoch nicht sehen und halte eine solche Speicherung für rechtswidrig. Herr Schurig und Herr Innenminister, wir werden darüber sicherlich noch einmal ins Gespräch kommen müssen.

Und mit Blick auf die Haushaltsverhandlungen noch ein Wunsch. Sicher wird uns die Staatsregierung erneut mit der Bereitstellung von Millionen Euro für das Wolkenkuckucksheim namens TKÜ-Zentrum erfreuen. Uns liegt ja bis heute nicht einmal im Ansatz etwas Belastbares dazu vor. Ich hoffe, dass Sie, Herr Datenschutzbeauftragter, im weiteren Verfahren deutlich machen, dass es einen Überwachungs-Thinkthank, wie er derzeit angedacht ist, nicht geben darf.

In diesem Sinne. Lassen Sie uns den Tätigkeitsbericht zum Anlass nehmen, über den Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ins Gespräch zu kommen.
Denn Datenschutz ist kein Schönwettergrundrecht, das man auf dem Altar der Illusion von mehr Sicherheit mal eben opfern kann! Es ein Garant für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Und die gilt es zu verteidigen.

36. Sitzung des Sächsischen Landtags, 22. Juni 2016, TOP 10
Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann zum 17. Tätigkeitsbericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten

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