Datenschutzbericht − Treten die neuen Polizeigesetze wie vorgelegt in Kraft, muss man sich fragen, was eigentlich an Privatsphäre und Bürgerrechten noch bleibt

Rede des Abgeordneten Valentin Lippmann zur Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu
‚Schutz des Persönlichkeitsrechts im öffentlichen Bereich, 18. Tätigkeitsbericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten, Berichtszeitraum: 1. April 2015 bis 31. März 2017″ (Unterrichtung durch den Sächsischen Datenschutzbeauftragten) u.a.

26. September, TOP 10

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrter Herr Schurig,

mit diesem Tätigkeitsberichten geht ein Ära zu Ende. Die Ära des Sächsischen Datenschutzgesetzes und der darin begründeten Pflicht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten, den Landtag alle zwei Jahre über seine Tätigkeit zu unterrichten. Zu Ende geht aber auch die Ära des Sächsischen Datenschutzbeauftragten als „zahnloser Tiger“, der auf die Mitwirkung derjenigen Behörden angewiesen ist, die er wegen datenschutzrechtlicher Verstöße beanstandet.

Ich bin mir sicher, dass wir vom Sächsischen Datenschutzbeauftragten künftig häufiger hören: nicht das leise mahnende Rufen, sondern das konsequente Einschreiten gegen Datenschutzverstöße mit den Mitteln der Datenschutzgrundverordnung – etwa durch Verbot der Verarbeitung personenbezogener Daten, durch die Anordnung von Löschung personenbezogener Daten und durch Erteilung von Anweisungen gegenüber den Verantwortlichen. Wir werden dann nicht wie in den letzten Jahren lesen, dass sich eine Behörde weigert, einen datenschutzrechtlichen Verstoß anzuerkennen und erforderliche Maßnahmen zu dessen Beseitigung unterlässt oder sich die Verhandlungen über zu treffende Maßnahmen über Monate hinziehen. Der Datenschutz wird unmittelbarer, konkreter und konsequenter. Und das ist gut so.

Leider sind dieses Verbesserungen kein bisschen auf die Einsicht der CDU/SPD-Koalition zurückzuführen, das Recht auf Datenschutz in Sachsen stärken zu müssen. Im Gegenteil, mit dem Datenschutzdurchführungsgesetz, dass im Frühjahr beschlossen wurde, hat diese Koalition nur das umgesetzt, was umgesetzt werden musste.

Bei meiner Rede zum letzten Tätigkeitsbericht habe ich die Hoffnung geäußert, dass Sie, Herr Datenschutzbeauftragter, erstens mit der Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung auch ein Rederecht in diesem hohen Haus erhalten, um ihre Tätigkeitsberichte vorstellen zu dürfen und nicht nur am Rande sitzen und zuhören müssen. Und zweitens haben wir GRÜNEN gefordert, dass der Datenschutzbeauftragte die personelle Ausstattung erhält, die für die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten und zu seiner effektiven Aufgabenerfüllung erforderlich wären. Dies wird beides nach wie vor verweigert.

Der Entwurf des Haushaltsplans weist gerade einmal drei Stellen mehr aus. Das ist in Anbetracht des enormen Aufgabenzuwachses durch die Datenschutzgrundverordnung einfach nur lächerlich und Ausdruck der Geringschätzung der Arbeit des Datenschutzbeauftragten. Gerade nach dem Ende August bekannt gewordenen erheblichen Datenschutzverstoßes eines Mitarbeiters einer Justizvollzugsanstalt durch Veröffentlichung eines Haftbefehls in einem Ermittlungsverfahren, sollte jeder einzelne Minister und jede einzelne Ministerin in diesem Kabinett ein ureigenes Interesse haben, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Sachen Datenschutz zu schulen und dem Datenschutz endlich die erforderliche Aufmerksamkeit zu widmen. Dafür brauchen Sie auch die Unterstützung des Sächsischen Datenschutzbeauftragten und seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Welche erhebliche Defizite beim Schutz der personenbezogenen Daten durch öffentliche Stellen im Freistaat bestehen, macht der heute debattierte Tätigkeitsbericht deutlich.
• Da wird offenbar, dass das Landesamt für Verfassungsschutz gleich in zwei Fällen den Arbeitgeber eines Petenten kontaktiert und seine Erkenntnisse mitgeteilt hat, worauf der Petent zweimal seine Anstellung verlor. Beide Mitteilungen erfolgten unter Missachtung jeglicher Vorschriften zu Übermittlungen oder ohne Rechtsgrundlage. Selbst als der Datenschutzbeauftragte den gesamten Vorgang beanstandete, zeigte sich das Innenministerium renitent und zweifelt ausweislich der Stellungnahme der Staatsregierung zu diesem Tätigkeitsbericht nach wie vor an, dass dieser Rechtsverstoß ursächlich für die die Vernichtung einer beruflichen Existenz war. Der Fall zeigt einmal mehr, welche schlimme Folgen das Ausspähen von Personen durch einen Geheimdienst haben kann.
• Offenbar wurde auch die jahrelange Praxis der Landesjustizkasse – im Aufsichtsbereich des Oberlandesgerichts – die Finanzämter über Schuldner, z.B. von Gerichtskosten, zu informieren. Dafür gab und gibt es keinerlei rechtliche Grundlage. Umso erstaunlicher ist es, dass das Justizministerium erst nach langer Diskussion bereit ist, dieses Praxis einzustellen.
• Dankbar bin ich dem Datenschutzbeauftragten auch dafür, dass er die Veröffentlichung von personenbezogenen Daten im Rahmen einer Fahndung der Polizei bei Facebook wegen fehlender Rechtsgrundlage umgehend problematisiert und beanstandet hat.
• Nicht zuletzt wurde durch ihren Bericht wieder einmal sehr deutlich, welche erheblichen Defizite im Freistaat und seinen Verwaltungsnetzen in Sachen Sicherheit bestehen. Offenbar ist der Freistaat nicht in der Lage, schon 2014 aufgestellte Handlungsempfehlungen zur Sicherheit von Webservern umzusetzen. Vor dem Hintergrund, dass diese vier Jahre alten Empfehlungen wohl schon länger nicht mehr den aktuellen Standards für die Informationssicherheit entsprechen und der in der letzten Zeit bekannt gewordenen Angriffe auf staatliche Verwaltungsnetze, ist es umso dringlicher, dass der Freistaat hier endlich handelt. Mir ist einfach rätselhaft, warum solche Sicherheitsstandards nicht mit hoher Priorität unverzüglich umgesetzt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir werden in den nächsten Monaten über weitere Gesetze entscheiden müssen, die tiefe Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorsehen: Tritt das neue Polizeivollzugsgesetz und das neue Polizeibehördengesetz so in Kraft, wie es uns aktuell vorliegt, werden wir erleben, dass das Datenschutzrecht gesetzlich so ausgehöhlt wird, dass man sich fragen muss, was eigentlich an Privatsphäre und Bürgerrechten noch bleibt. Die geplanten Regelungen zur präventiven Telekommunikationsüberwachung, zur intelligenten Videoüberwachung, zur Videoüberwachung bei abstrakter Gefahr und weitere Befugnisse sollen der Polizei künftig erlauben, bereits ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat in die Intimsphäre von Menschen einzudringen.

Der Datenschutzbeauftragte hat übrigens starke Kritik an diesem Gesetzesvorhaben geübt. Kritik, die in bekannter Manier vom Innenministerium ignoriert wurde, während die Koalition hier gerade wieder Sonntagsreden zum Datenschutz hält. Von acht Kritikpunkten wurde lediglich zwei Marginalien berücksichtigt. Die verfassungsrechtlichen Bedenken in Sachen intelligenter Videoüberwachung und zur Befugnis der Videoüberwachung bei abstrakter Gefahr wurden überhaupt nicht gehört.

Wir erleben mit den Änderungen zum Polizeirecht den Beginn vom Ende des doch noch jungen Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Das darf dieses hohe Haus nicht zulassen, unsere Bürgerrechte sind nicht verhandelbar!

Sehr geehrter Herr Schurig,

die Datenschutzgrundverordnung nimmt nicht nur eine umfassende Neuregelung des Datenschutzes, sondern auch eine sehr weitreichende Stärkung der Stellung des Datenschutzbeauftragten vor. Meine Bitte an Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist: Nehmen Sie diese Stärkung und Verantwortung an.

Machen Sie Gebrauch von Ihren umfangreichen Rechten und machen Sie Sachsen von einem datenschutzrechtlichen Entwicklungsland zu einer Vorreiter und Vorbild in Sachen Datenschutz. Von uns GRÜNEN bekommen Sie – anders als von der CDU – die bestmögliche Unterstützung. Wir werden wie in den vergangenen Jahren eine Aufstockung der Stellen Ihrer Behörde fordern und Sie natürlich wie in der Vergangenheit um Berichte und Stellungnahmen bitten. Denn der Datenschutz ist der Seismograph für politische und strukturelle Fehlentwicklungen beim Schutz der Grundrechte. Und die gilt es in Sachsen scheinbar noch mehr als in anderen Bundesländern jeden Tag aufs Neue zu verteidigen.

Zum Entschließungsantrag:
Es ist zur guten Tradition der GRÜNEN geworden, den Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten mit einem Entschließungsantrag zu flankieren.
Damit wollen wir zum einen unseren Dank an den Datenschutzbeauftragten und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aussprechen und ihrer Arbeit die Anerkennung geben, die sie verdient.

Zum anderen stellen wir mit diesem Antrag auch konkrete Forderung an die Staatsregierung zur Umsetzung von Maßnahmen, um den Datenschutz in Sachsen zu stärken. Wie immer nehmen wir Bezug auf konkrete Beispiele des Tätigkeitsberichts, aber auch auf aktuelle Entwicklungen. Hier gilt unsere Hauptaugenmerk auf die geplanten Verschärfungen des Polizeirechts.

Herr Innenminister, werte Kolleginnen und Kollegen, ich sage es nochmal: stoppen Sie dieses Vorhaben!

‚Entschließungsantrag zu Bericht und Beschlussempfehlung des Innenausschusses zum 18. Tätigkeitsbericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten ‚Schutz des Persönlichkeitsrechts im öffentlichen Bereich‘ (Drs 6/10549) und Stellungnahme der Staatsregierung …‘