Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann zur Fachregierungserklärung Rechtsstaat und Demokratie.
87. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag 02.05.2024, TOP 3
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
verehrte Kolleginnen und Kollegen,
die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt – Artikel 1 unseres Grundgesetzes ist nicht nur der Beginn des Textes unserer nun bald 75 Jahre alten Verfassung, sondern beschreibt auch den Beginn der wiedererlangten Demokratie nach 1945 – Artikel 1 Abs 1. des Grundgesetzes ist der Leitgedanke des demokratischen und rechtstaatlichen Deutschlands.
Der Verfassungsvater Theodor Heuss bezeichnete diese zentrale Verfassungsnorm in den Beratungen des parlamentarischen Rates als Proklamation, Deklaration und Rechtssatz zugleich. Die menschliche Würde ist Axiom des Grundgesetzes, das als Gegenentwurf zur Terrorherrschaft der Nationalsozialisten die individuelle Einzigartigkeit jedes Menschen zum Grund aller staatlichen Ordnung erklärt. Die Würde des Menschen bildet das Fundament unserer Gesellschaft.
Der Würdebegriff ist unbestimmt, er changiert in seinen konkreten Ausformungen, er wird durch Entwicklungen aktualisiert und erweitert. Und doch liegen ihm Facetten zu Grunde, die schon in der Antike und über alle Kontinente hinweg Gegenstand nicht nur von philosophischen Überlegungen, sondern auch von politischen Systemen waren.
Es gibt keine kollektive Letztbegründung; und auch hierfür zitiere ich noch einmal Heuss, der die Menschenwürde als „nicht interpretierte These“ bezeichnet, die „der eine theologische, der andere philosophisch, der Dritte ethisch auffassen kann.“ Woraus sich die individuelle Würde ergibt, ob aus der Ebenbildlichkeit oder aus den Naturrechten, ist dem liberalen Verfassungsstaat egal.
Denn die Würde als Grund allen Rechts und aller staatlichen Ordnung bedarf keiner Rechtfertigung, sondern nur einer Anerkennung und eines Niederschlags in einer wertegebundenen Ordnung. Die Legitimation all unserer Normen misst sich demnach nicht an ihrer bloßen Legalität. Ein Gesetz ist nicht schon dann verfassungsmäßig, wenn es das richtige Verfahren durchlaufen hat. Sondern daran, dass es mit gemeinsamen Grundwerten konform geht.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
insbesondere in einer Zeit, in der autoritäre Tendenzen und Angriffe auf demokratische Werte zunehmen, ist es wichtiger denn je, für unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie einzustehen. Wir als BÜNDNISGRÜNE sind entschlossen, die Würde jedes einzelnen Menschen zu schützen und zu verteidigen – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung.
Die zentralen und tradierten Ausformungen der Menschenwürde sind jene der Gleichheit und der Freiheit. Und ihre Verwirklichung finden diese elementaren Grundsätze des Zusammenlebens in der Staatsform der Republik.
Ich stehe vor Ihnen als Vertreter einer Partei, die mehr als viele andere einen Wandel durchlebt hat. Von einer staatsfernen oder zumindest staatskritischen dogmatischen Partei hin zur – und das sage ich mit einem gewissen Pathos – verfassungstragenden Partei, zur Partei der Republik.
Viel wurde – gerade auch von mir – in den vergangenen Jahren zur wehrhaften Demokratie gesagt. Und diese Fachregierungserklärung gibt mir die Möglichkeit, noch einmal zu betonen, dass sie kein Selbstzweck ist. Wenn wir von jener freiheitlichen demokratischen Grundordnung sprechen, deren Bewahrung Grund und Grundlage für die Instrumente der wehrhaften Demokratie ist, dann handelt es sich hier nicht um die Bewahrung von Prinzipien um ihrer selbst willen.
Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung ihren Ausgangspunkt im Menschen und der ihm eigenen Würde findet. In der Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie elementarer Rechtsgleichheit. Und daraus leitet es zwei weitere Prinzipien ab, die in unserer Form des staatlich geordneten Zusammenlebens unverfügbar sind: Demokratie und Rechtsstaat.
Unser Rechtsstaat bildet das Fundament unserer Gesellschaft und garantiert die Einhaltung von Recht und Gesetz. Er garantiert jene elementare Rechtsgleichheit aller Einwohner*innen, die in einem Verfassungsstaat unerlässlich ist, indem er die öffentliche Gewalt bindet und begrenzt.
Deswegen war es BÜNDNISGRÜNES Kernanliegen, unsere Justiz zu stärken. Denn nur eine unabhängige, transparente sowie personell und institutionell gut aufgestellte Justiz kontrolliert die öffentliche Gewalt effektiv und kann den Rechtsstaat wirksam schützen.
Und deswegen kämpfen wir BÜNDNISGRÜNE auch unerlässlich für eine besser kontrollierte, eine transparentere Polizei. Eine Polizei, deren Verpflichtung für diesen freiheitlichen Verfassungsstaat stets im Zentrum ihres Tuns steht. Das ist Ausdruck der Bedeutung des Gewaltmonopols.
Und wie der Rechtsstaat so ist auch unsere Demokratie ein hohes Gut, das es zu verteidigen gilt, weil sie die großartigste Idee menschlichen Zusammenlebens ist, die es je gab.
Die Demokratie als Möglichkeit der Gestaltung des Gemeinwesens trägt dem Menschen als handelndes und sprechendes Wesen Rechnung, dem weltveränderndes Potenzial immanent ist. Als solches haben wir alle die Möglichkeit, unser Zusammenleben zu beeinflussen, an ihm mitzuwirken und uns aktiv einzubringen. Wir sind keine Knechte des Rechts, keine bloßen Rechtsunterworfenen, sondern seine Autor*innen – das ist die Freiheit des Menschen als zoon politikon.
Unsere Verfassung garantiert uns jederzeit das Recht auf Einmischung. Indem sie die Meinungsfreiheit sichert. Sie garantiert uns jederzeit das Recht, sichtbar zu sein, indem sie die Versammlungsfreiheit sichert. Und ja, uns muss nicht jede Form des bürgerschaftlichen Engagements, wie beispielsweise die Letzte Generation, gefallen. Freiheit ist nicht die Freiheit von Widerspruch. Aber als Bürger*innen in einem liberalen Verfassungsstaat ist es unsere Aufgabe, das politische Engagement des Gegenübers zu akzeptieren. Bis zu den Grenzen dieser Verfassung, die weiter gehen, als es manchem behagt. Aber unsere Verfassungen konstituieren keine Sittlichkeitsgemälde, sondern sie konstituieren Möglichkeitsräume zur Verwirklichung von Freiheit – individuelle Freiheit genauso wie politische Handlungsfreiheit.
Die freiheitliche Demokratie geht von mündigen Bürger*innen aus. Mündigkeit bedeutet auch, dass man eben nicht einfach auf „die da oben“ schimpfen kann. Dass man keinen Anspruch darauf hat, ein möglichst bequemes Leben zu führen. Mündigkeit kann Zumutung bedeuten. Das sollte uns unsere Demokratie wert sein. Heute mehr denn je.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
dass es eine Würde gibt, ist keinem Beweis zugänglich. Aber ihre Anerkennung ist die Grundlage allen menschlichen Zusammenlebens.
Ihr Schutz rechtfertigt deswegen die Nutzung jener Instrumente der wehrhaften Demokratie, die die AfD so gern als undemokratisch darstellt. Sie dienen der Bewahrung der Demokratie an sich und speisen sich aus der Erkenntnis, die Carlo Schmid einst so prägnant zusammenfasste:
„Demokratie ist nur dort mehr als ein Produkt einer bloßen Zweckmäßigkeitsentscheidung, wo man den Mut hat, an sie als etwas für die Würde des Menschen Notwendiges zu glauben. Wenn man aber diesen Mut hat, dann muss man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie missbrauchen wollen, um sie aufzuheben.“
Umso mehr gilt es, die Würde jeden Einzelnen und jeder Einzelnen jederzeit anzuerkennen und gegen Angriffe zu verteidigen. Auf der Straße, vor den Gerichten, vor allem aber auch in diesem Hohen Hause.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
doch in den vergangenen Jahren haben wir beobachtet, dass das Fundament unserer Ordnung, unser Wertefundament, zunehmend unter Druck gerät. Einer der gravierendsten Angriffe auf die Würde des Menschen und zugleich der Demokratie ist der Aufstieg des Populismus und von Verfassungsfeinden, die oftmals auf vermeintlich simplen Lösungen basiert.
Rechtsextreme Populisten und autoritäre Regierungen versuchen, die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben, die Meinungsfreiheit einzuschränken und den Rechtsstaat zu schwächen. Populistische Bewegungen nutzen oft die Ängste und Unsicherheiten vieler Menschen aus, um Hass und Spaltung zu schüren. Sie propagieren ein Bild der Gesellschaft, das auf Ausgrenzung und Diskriminierung basiert, anstatt auf Solidarität und Zusammenhalt. Ein Bild, in dem manche Menschen als würdig betrachtet werden, und andere nicht. In dem manche Menschen einen Anspruch auf soziale und rechtliche Gleichheit haben, und andere nicht.
Diese Kräfte bedrohen nicht nur den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, sondern auch die Menschenwürde jedes Einzelnen. Dies stellt eine ernsthafte Bedrohung für unsere Demokratie dar und erfordert eine entschlossene Reaktion von uns allen.
Wir BÜNDNISGRÜNE treten für eine offene, vielfältige, inklusive und diverse Gesellschaft ein, in der alle Menschen gleichberechtigt teilhaben können. Wir bekämpfen Hass und Hetze, setzen uns für eine offene, tolerante und solidarische Politik ein, die auf Fakten und Vernunft basiert. Denn eine Demokratie, die die Rechte und Freiheiten ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht respektiert, verliert ihre Legitimität, weil sie ihre zentrale Ordnungsbegründung selbst in Frage stellt.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
wenn wir heute unsere freiheitliche Demokratie wirksam schützen wollen, dann gilt es, die große Idee unserer Vorfahren durch konkretes Handeln im Hier und jetzt zu schützen.
Dazu müssen wir unsere freiheitliche Demokratie dringend resilienter machen. So weitsichtig die Mütter und Väter des Grundgesetzes und auch unserer Landesverfassung waren, sie haben sich wohl kaum vorstellen können, dass Feinde unserer Demokratie eines Tages wieder mehr als nur eine politische Minderheit darstellen könnten. Entsprechend wird immer klarer, dass wir einen Stresstest für unsere Verfassungen brauchen, um ihre Schwächen zu erkennen. Die Diskussionen um die stärkere Verankerung der Regelungen über das Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz sind diesbezüglich nur der Anfang.
Wir müssen entschiedener denn je gegen Verfassungsfeinde, die die Grundpfeiler unserer Republik zum Einsturz bringen wollen, vorgehen. Dazu müssen wir die Instrumente des Rechtsstaates auch nutzen. Es gilt, mit der notwendigen Entschiedenheit Verfassungsfeinde aus dem Staatsdienst zu entfernen, Nazis zu entwaffnen und endlich zu klären, woher die Feinde unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung das Geld für ihren unwürdigen Kampf bekommen.
Wir müssen die stärker schützen, die sich jeden Tag für unsere Demokratie einsetzen. Gerade mit Blick auf die erschreckende Zahl an Angriffen auf Kommunalpolitiker*innen und Wahlkämpfende braucht es einen Rechtsstaat, der ein klares Stoppschild setzt. Wer sich mit Gewalt an den Grundlagen unserer Demokratie vergreift, gehört vor Gericht und nicht an den Verhandlungstisch.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
unser freiheitlicher demokratischer Rechtsstaat beruht auf zwei zentralen Grundlagen, die wir stärken müssen. Die eine Grundlage sind überzeugte Demokratinnen und Demokraten im Staatsdienst. Eine resiliente Demokratie braucht eine resiliente Verwaltung. Deswegen brauchen wir nicht nur die überzeugtesten Demokratinnen und Demokraten im Dienste des Staates, sondern auch eine Verwaltungskultur, die dies lebt. Dazu braucht es auch manchmal Mut, Verantwortung zu übernehmen und zu verinnerlichen, dass der Kampf für unsere freiheitliche Demokratie auch in den Amtstuben geführt wird.
Vielmehr noch braucht es aber eine Besinnung darauf, dass die Instrumente der wehrhaften Demokratie des Grundgesetzes bei weitem nicht so wirksam sind wie engagierte Demokratinnen und Demokraten, die sich für unsere freiheitliche Republik einsetzen und sich ihren Gegnern widersetzen. Die stärkste Waffe im Kampf für unsere Demokratie und unseren Rechtstaat sind wir alle, die ihn schützen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
im wertelosen Verfassungsstaat mag es opportun sein, sich darauf zu verlassen, dass allein der Staat die Demokratie schützt. In der freiheitlichen Republik dagegen ist es unverbrüchliche Aufgabe aller, die Grundlagen der Freiheit und der Demokratie zu schützen.
Dies ist die logische Folge und die Erwartung, die aus Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes erwächst – die Würde des Menschen ist unantastbar.
Vielen Dank.
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