Unsere Sicherheit braucht Freiheit

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Herr Präsident,
Sehr geehrte Damen und Herren,

als ich den Titel der Regierungserklärung gelesen habe, dachte ich, dass Sie Herr Innenminister uns heute nicht weniger liefern, als die grundsätzliche Erklärung, welche Vorstellungen die Staatsregierung von Freiheit und Sicherheit in Sachsen hat.

Der große allumfassende Sicherheitsbegriff der Konservativen auf der einen Seite und der Freiheit als Urbegriff des politischen Liberalismus auf der anderen Seite. Nun ja, vielleicht hätten Sie ihre Regierungserklärung besser den Titel „Der Versuch zu erklären, was am 19.01. Januar in Dresden passierte und warum ich mich mit Pegida treffe“ geben sollen. Denn mehr war diese Regierungserklärung hier und heute leider nicht.

Deswegen Herr Minister lassen Sie es mich von der anderen Seite her probieren. Sie sagen: „Unsere Freiheit braucht Sicherheit“ – für uns GRÜNE gilt vielmehr: „Unsere Sicherheit braucht Freiheit.“

Ohne Freiheit kann es keine Sicherheit geben. Das haben wir in der letzten Woche in Dresden erlebt. Durch das totale Versammlungsverbot am 19. Januar in Dresden und die damit verbundene Einschränkung der Freiheit, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, ist in erster Linie Verunsicherung entstanden.

Die Zweifel an der Erforderlichkeit der Maßnahme sind innerhalb der letzten Woche nicht kleiner, sondern größer geworden. Die Bürgerinnen und Bürger können sich nicht mehr sicher sein, ob sie ihre Grundrechte im Freistaat Sachsen tatsächlich jederzeit ausüben können. Es ist das Gefühl der Hilflosigkeit in der Bevölkerung entstanden – es ist das Gefühl der Bankrotterklärung der staatlichen Behörden von Bedrohungslagen entstanden. Ich hätte heute daher etwas mehr erwartet als die bloße Wiederholung dessen, was wir den Medien zu Umständen und Hintergründen bereits entnehmen konnten.

Eine Versammlung darf nur als ultima ratio zum Schutz elementarer Rechtsgüter unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verboten werden. Es muss eine unmittelbare, aus erkennbaren Umständen herleitbare Gefahr – etwa für Leib und Leben – bestehen.
Eine bloße Gefährdung rechtfertigt ein Verbot ebenso wenig wie eine unzureichende Gefahrprognose. Die Feststellungs- und Beweislast für die Umstände, auf die das Versammlungsverbot gestützt wurde, liegt bei der Polizei. Das ist die geltende Rechtslage.

Das ganztägige Verbot einer Versammlung in einem Stadtgebiet wegen der Gefahr terroristischer Anschläge ist ein in der Geschichte der Bundesrepublik einmaliger Vorgang. Und derartige einmalige Vorgänge erfordern entsprechend auch einmalige Kommunikation. Mir ist klar, dass der Grad hier schmal ist, aber sie, beziehungsweise die Polizei haben die Bevölkerung vor Tatsachen gestellt, deren Hintergründe nicht vollumfänglich darlegbar waren.
Ich mag abstrakt verstehen, dass der Schritt möglich und vielleicht sogar notwendig gewesen sein könnte. Immerhin ging es um Menschenleben. Aber: Bis heute fehlt jedwede fundierte Untermauerung der Bedrohungslage gegenüber der Bevölkerung.

Herr Minister, wenn die zu Grunde liegenden Erkenntnisse offenbar der Geheimhaltung von Bundesseite unterliegen, dann erwarte ich, dass Sie sich in Berlin dafür einsetzen, dass die Informationen preisgegeben und dargestellt werden können. Zumal wenn offensichtlich aus Berliner Sicherheitskreise kolportiert wird, dass Sachsen die Informationen – ich formuliere es vorsichtig – überinterpretiert hat. In Berlin wurde sogar von ‚hochgejazzt‘ gesprochen.

In Dresden ist eines der wichtigsten Bürgerrechte einem Verbot unterzogen worden, auf Basis von Informationen, die nicht für jedermann auch nur im Ansatz überprüfbar sind. Da kann man nicht die Karte spielen: haben Sie Vertrauen in die Polizei und Sicherheitsbehörden – mehr können wir leider nicht sagen.

Sie erwarten, dass die Bürgerinnen und Bürger in Dresden hinsichtlich der Einschränkung eines zentralen Abwehrrechtes gegen den Staat, wie es die Versammlungsfreiheit nun einmal ist, sich nun ausgerechnet auf die Einschätzung des Staates vollumfänglich verlassen sollen, ob diese Einschränkung nötig war. Das kann nicht Sinn der Grundrechtsausübung sein. Das ist grotesk und läuft jedem Freiheitsverständnis zu wider.

Der Vorfall wird mit jedem Tag, mit jeder Pegida-Veranstaltung und mit jeder Großdemo, welche hier in Dresden unbehelligt stattfinden kann, erklärungsbedürftiger. Warum die konkrete Gefahr nur am 19.01. und nur in einer spezifischen Gefahrensituation galt, ist der Öffentlichkeit kaum erklärbar.

Das Kind ist nun in den Brunnen gefallen. Und Herr Minister ich habe Ihrer Rede entnommen, dass sie von einer relativen Einmaligkeit der Ereignisse ausgehen. Was ich vermisst habe, ist eine Darstellung, wie künftig die Wiederholung eines vollständigen Versammlungsverbotes vermieden werden soll. Mit der Entscheidung zu Dresden ist ein Damm gebrochen. Jeder ähnliche Fall wird auf uns als Präzedenzfall verweisen. Wie ich heute Morgen schon bei der Begründung des dringlichen Antrages der LINKEN sagte: ‚Niemand kann sicher sein, dass es nächste Woche nicht wieder ähnlich wird.‘ Hier habe ich Klarheit und Konzepte vermisst.

Sie begründen ihr Treffen mit den Pegida-Organisatoren, damit, dass Sie über Sicherheit sprechen wollen. Das Gespräch war und ist ein fatales Signal.
Zum Ersten ist das die originäre Aufgabe der Versammlungsbehörde. Und dass Sie Versammlungsminister sind, wäre mir auch neu. – Die Sachsen brauchen keinen Minister, um sich zu versammeln, vor allem keinen, der Demos als Selbstzweck ansieht.

Zweitens: Sie reden hier von Sicherheit und Freiheit und verlieren nur äußerst wenige Worte dazu, wie sie jene Menschen schützen wollen, die sich von jenen Demonstrationen der Organisatoren, mit welchen Sie sich trafen, bedroht fühlen, die in Sachsen und in Dresden zunehmend Angst haben. Was ist das für ein Signal? Mit den einen treffen Sie sich, mit den anderen nicht?

Lassen Sie uns über deren Sicherheit reden, Herr Innenminister. Die Amadeu Antonio Stiftung und Pro Asyl haben im vergangenen Jahr (wie auch im Jahr zuvor) tätliche Angriffe auf Flüchtlinge, Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte und flüchtlingsfeindliche Kundgebungen und Demonstrationen dokumentiert. Erschreckend sind schon allein die Zahlen: 153 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, 256 flüchtlingsfeindliche Kundgebungen und Demonstrationen und 77 tätliche Angriffe auf Flüchtlinge. Die meisten rassistisch motivierten Körperverletzungen sind jedoch in Sachsen bekannt geworden. 28 von deutschlandweit 77 begangenen tätlichen Angriffen auf Flüchtlinge wurden in Sachsen verübt. Das sind rund 36 Prozent aller in Deutschland begangener Angriffe!
Und auch bei den Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte ist Sachsen nach NRW ganz vorn dabei. Während alle vom ‚Zuhören‘ und ‚Miteinander reden‘ sprechen, verhallen die Hilferufe von Flüchtlingen nach mehr Sicherheit ungehört. Bei den Menschen, die sich bedroht fühlen, haben Sie Herr Minister mit ihrem Besuch bei Pegida ein fatales Signal hinterlassen.

Zur Sicherheit von Menschen, die bei uns Schutz suchen, hätte ich heute deutlich mehr erwartet.

Herr Ulbig, Sachsen hat ein massives Sicherheitsproblem: es kann die Sicherheit von Flüchtlingen, von Menschen mit Migrationshintergrund, von Journalisten und sonstig Andersdenkenden nicht mehr gewährleisten. Darüber müssen wir reden. Nicht über eine gefühlte Bedrohung durch den Islam.

Wir GRÜNEN fordern Sie auf: Reden Sie endlich mit den Betroffenen von Islamfeindlichkeit, mit den Opfern von rassistischen Angriffen, mit den Flüchtlingen, die sich montags nicht trauen, ihre Kinder in die Schule zu bringen, mit den Betroffenen von jeglicher Menschenfeindlichkeit. Reden Sie mit den Flüchtlingsverbänden, den Opferberatungsstellen. Reden Sie mit den anderen vier Millionen in Sachsen lebenden Menschen und deren Sorgen und gehen nicht den von Ihnen selbst als ‚Rattenfänger‘ bezeichneten Populisten nun auch noch auf den Leim.

Dass es immer, wenn ein CDU-Innenminister über Freiheit und Sicherheit redet, natürlich sehr stark in Richtung Sicherheit und sehr wenig in Richtung Freiheit geht, liegt in der Natur der Sache. Aber was mir in Sachsen weiterhin nicht klar wird, ist, warum jene Partei, die meint, die Sicherheitserzählung für sich gepachtet zu haben und dies auch heute wieder versucht hat, seit Jahren die Sicherheit der Bevölkerung in Sachsen durch ihre Politik gefährdet.

Wo bleibt die Sicherheit, wenn über Jahre hinweg im Freistaat Polizeikräfte abgebaut worden und führende Polizeivertreter mittlerweile offen zu verstehen geben, dass man für die stetig wiederkehrenden Demonstrationslagen in Sachsen nicht mehr ausreichend eigene Kräfte zu Verfügung hat. Ich schließe mich ausdrücklich Ihrem Dank für die Polizistinnen und Polizisten, die hier seit Wochen unter extremen Bedingungen eines der wichtigsten Grundrechte schützen, voll und ganz an.

Zu Wahrheit gehört aber auch, dass die massive Belastung der Einsatzkräfte teilweise hausgemacht ist und damit auch ein Verschulden Ihrer Politik. Erklären Sie den Polizistinnen und Polizisten, die seit Wochen im Dauereinsatz sind. Und erklären sie der Öffentlichkeit, warum bis 2021 offenbar weitere 1.020 Stellen bei der Polizei abgebaut werden sollen. Denn dafür hat in Sachsen keiner mehr Verständnis.

Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ja Freiheit und Sicherheit gehören zusammen. Vor allem aber haben wir in Sachsen bei beidem offenbar ein Problem. Wir haben ein Sicherheits- und ein Freiheitsproblem im Freistaat Sachsen. Das ist heute klar geworden.

Jede Einschränkung der Freiheit schafft Verunsicherung über das Verhältnis von Bürgerinnen und Bürger zu Staat. Denn wer die Freiheit einschränkt, der nimmt den Bürgerinnen und Bürgern die Sicherheit, sich auf den Schutz ihrer Grundrechtsausübung durch den Staat verlassen zu können. Deshalb gilt für uns GRÜNE: ‚Unsere Sicherheit braucht Freiheit!‘

6. Sitzung des Sächsischen Landtages, 28. Januar 2015, TOP 7

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