Ombudsstelle Polizei − Es muss endlich auch in der sächsischen Polizei eine unabhängige Kontrollinstanz geben

Rede des Abgeordneten Valentin Lippmann zum Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE ‚Gesetz zur Errichtung der Unabhängigen Ombudsstelle der Sächsischen Polizei‘ (Drs 6/5439)
62. Sitzung des Sächsischen Landtags, 15. November, TOP 8

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,

der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte vergangenen Donnerstag die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von je 2.000 Euro an zwei Münchner Fußballfans und zur Übernahme von Verfahrenskosten in Höhe von 6.500 Euro.

Was war geschehen? Zwei Fußballfans waren bei einem Fußballspiel von behelmten Polizisten ohne ersichtlichen Grund mit Schlagstöcken und Pfefferspray attackiert worden. Einer trug eine blutende Wunde davon. Sie erstatteten Anzeige und die Staatsanwaltschaft eröffnete ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt. Dieses Verfahren wurde zweimal eingestellt. Beim ersten Mal hieß es noch, es sei zur Gewaltanwendung gekommen, aber die Beamten hätten nicht identifiziert werden können. Bei der zweiten Einstellung sah man das Handeln der Polizei wegen aggressiver Fans als gerechtfertigt an.

Die verletzten Fans klagten sich erfolglos durch alle deutschen Instanzen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jedoch wurde deutlich: Mögliche Rechtsverstöße der Polizeibeamten seien nicht im ausreichenden Maße untersucht worden und diese mangelhaften Ermittlungen stellten eine Verletzung von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention dar (Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung). Insbesondere wegen der fehlenden Kennzeichnung der Beamten, die eine Identifizierung nicht ermöglichte, hätten andere Maßnahmen zur Identitätsfeststellung und Sachverhaltsaufklärung ergriffen werden müssen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, dieses Urteil sollte uns eine Mahnung als Gesetzgeber sein.
Es macht erstens deutlich, dass Ermittlungsbehörden auch durch mangelhafte Ermittlungen Menschenrechte verletzen können. Es macht zweitens sehr deutlich, dass solche mangelhaften Ermittlungen in erster Linie darauf beruhen können, dass Polizistinnen und Polizisten in ihrem Tun nicht identifizierbar sind. Und drittens setzt das Urteil Maßstäbe was Ermittlungen gegen die eigenen Kolleginnen und Kollegen angeht: diese sind unabhängig zu führen, es sind – wenn möglich – alle Zeugen zu hören und das gesamte vorhandene Videomaterial auszuwerten.

Was bedeutet das für die sächsische Polizei und Ermittlungen in den eigenen Reihen?
Auch in Sachsen besteht dringender Handlungsbedarf: die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen sächsische Polizeibedienstete wegen Körperverletzung im Amt ist im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 55 Prozent gestiegen. Wurden 2015 noch 274 Beschuldigte gezählt, waren es 2016 tatsächlich 425 Beschuldigte. Gleichzeitig war die Anzahl der Anklagen wegen Körperverletzung im Amt noch nie so gering wie im letzten Jahr. Ganze drei Fälle wurden angeklagt. Statistisch gesehen enden 20 Prozent aller Ermittlungen mit einer Anklage – bei Ermittlungen wegen Körperverletzung im Amt liegt die Quote gerade mal bei 0,7 Prozent.

Und bevor Sie mir jetzt wieder damit kommen, dass sich die Beamtinnen und Beamten wohl alle rechtstreu verhalten haben: der bayrische Fall zeigt einmal mehr, dass die Einstellung eines Verfahrens nichts über die begangene Straftat an sich aussagt, es kann auch schlicht bedeuten, dass die Täterinnen und Täter nicht ermittelt werden konnten.

Damit wären wir beim Gesetzentwurf der LINKEN, der zum einen eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibedienstete vorsieht. Zum anderen – und das ist der Hauptteil – sieht der Gesetzentwurf die Einrichtung einer Unabhängigen Ombudsstelle der Sächsischen Polizei vor. Auch hier haben wir GRÜNEN bereits in der letzten Legislatur einen ähnlichen Vorschlag unterbreitet.

Die Zielrichtung der Gesetzentwürfe sind ähnlich: Es soll eine – von der Polizei, dem Innenministerium oder sonstigen Behörden unabhängige – Stelle eingerichtet werden, an die sich Bürgerinnen und Bürger wenden können, wenn sie sich durch Polizeimaßnahmen in ihren Rechten verletzt fühlen. Eine von der ermittelnden Behörde unabhängige Stelle kann Einsicht in alle Vorgänge, Aufzeichnungen und Dateien nehmen. Sie kann die Ermittlungen quasi begleiten und dafür sorgen, dass Zeugen befragt und Videomaterial vollständig gesichtet wird.
Für uns GRÜNE ist klar: Es muss endlich auch in der sächsischen Polizei eine unabhängige Kontrollinstanz geben, die für saubere und vollständige Ermittlungen unerlässlich ist.

Eine solche Stelle kann auch ein wichtiges Instrument für die Beamtinnen und Beamten sein. Sie können unter Umgehung des für die Aufklärung meist hinderlichen Dienstweges bei Verfehlungen von Kolleginnen und Kollegen sich ebenso an die Ombudsstelle wenden. Das wäre ein wichtiger Schritt hin zur Verbesserung der Fehlerkultur in der Polizei.

Mit Blick auf das Urteil des EGMR und die Geltung der Europäischen Menschenrechtskonvention halte ich die Zustimmung zum Gesetzentwurf daher für zwingend geboten.
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf den Vorwurf eingehen, dass eine solche Ombudsstelle ein Misstrauen in die Polizei sei. Ich sage Ihnen: Ja das ist es aber das ist auch richtig so. Vergegenwärtigen Sie sich bitte immer, dass die Polizei das staatliche Gewaltmonopol verkörpert und dazu im Ernstfall sogar Gewalt und Waffen einsetzen darf. Wer solch einschneidende Befugnisse besitzt, muss umfassend und mit einem kritischen Blick kontrolliert werden.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
wer der Ausübung des Gewaltmonopol durch den Staates nicht misstraut, hat die wirkmächtige Idee des Rechtsstaates nicht verstanden.