Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann zum Antrag der Fraktion GRÜNE: „Gesetz über die Versammlungsfreiheit im Freistaat Sachsen“, Drs 6/11602
92. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 22. Mai, TOP 11
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,
morgen wird unser hochgeschätztes Grundgesetz sein 70 Jähriges Jubiläum feiern. Ein Grund mehr hier und heute über die konkrete Ausformung eines des wichtigsten und verheißungsvollsten Grundrechte zu diskutieren – das Recht sich friedlich zu versammeln.
Auch wenn das Grundgesetz die Versammlungsfreiheit in ihrer Vollkommenheit als das zentrale Kommunikationsgrundrecht gewährleistete, war der Kampf um die Versammlungsfreiheit einer, der die Bundesrepublik Jahrzehnte prägte. Denn so richtig wurde der Staat nicht warm mit der weitgehenden Befugnis zur Freiheit und entwickelte stets in Bezug auf Versammlungen den Hang lieber Ordnung zu schaffen, als Freiheit zu gewähren.
Das ist der Grund, warum bis heute – auch unser sächsisches Versammlungsgesetz – eher wie ein Gefahrenabwehrrecht als ein Grundrechtsverwirklichungsgesetz daher kommt. Wir schulden es vor allem der Weisheit des Bundesverfassungsgerichtes, dass das Versammlungsrecht zu dem werden konnte, was es ist, ein >>wesentliches Element demokratischer Offenheit<<, zum Schutz eines Stückes >>ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie<<.
Wir wollen mit unserem Vorschlag für ein liberales – von Gedanken der Grundrechtsgewährung geleiteten – Versammlungsgesetz mehr Entbändigung und mehr Freiheit wagen.
Das bedeutet zunächst, dass wir das Versammlungsrecht von unnötigen, ja gar rechtswidrigen Verboten befreien. Es darf für uns als Gesetzgeber nicht hinnehmbar sein, dass über 30 Jahre nach der Brockdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes immer noch die Nichtanmeldung einer Versammlung als Auflösungsvoraussetzung im Gesetz enthalten ist, obwohl dies für verfassungswidrig erklärt wurde. Ebenso wollen wir die grundrechtsfeindliche Einschränkung des Versammlungsrechtes an bestimmten Tagen und Orten, was für mich ein Ausdruck eines obrigkeitlichen Denkens ist, das in einem Grundrechtsgewährungsgesetz nichts zu suchen hat, wieder tilgen.
Unser Versammlungsrecht zu liberalisieren und weg vom Eingriffgedanken hin zum Schutzgedanken für eines der zentralen Grundrechte zu entwickeln bedeutet auch, dass wir stärkere Schutz- und Kooperationspflichten für die Behörden vorsehen und gleichzeitig die Pflicht, einschüchternde oder abschreckende Handlungen zu unterlassen, normieren.
Die letzten Jahre haben uns auch gezeigt, dass der Schutz der freien Presse- und Berichterstattung endlich im Versammlungsrecht zu verankern ist. Die Hauptursache für einen Anstieg der hauptsächlich rechts motivierten Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten im letzten Jahr ist auf die gewaltsamen Proteste Ende August in Chemnitz zurückzuführen. Damals waren Versammlungsbehörde und Polizei offenbar zu wiederholten Male nicht in der Lage, Pressevertreterinnen und -vertreter im Versammlungsgeschehen zu schützen.
Die Versammlungsfreiheit zu schützen bedeutet auch, dass die Voraussetzungen für Bild- und Tonaufnahmen verschärft werden müssen. Die Dreistigkeit, wie durch die dauerhafte Videoüberwachung in der Innenstadt von Chemnitz derzeit in das Versammlungsrecht eingegriffen wird, ist kaum zu überbieten und muss durch noch klarere Vorgaben von uns als Gesetzgeber zum Schutze der Freiheit unmöglich gemacht werden.
Nicht zuletzt reduzieren wir die Straftatbestände radikal und stufen sie als Ordnungswidrigkeiten ein. Damit eröffnen wir der Polizei mehr Möglichkeiten zur Deeskalation. Die Verpflichtung, versammlungsrechtliche Straftaten zu verfolgen – etwa bei einer friedlichen Blockade – würde entfallen. Das stärkt das Ermessen, im Zweifel die Freiheit zu gewähren, anstatt die Grundrechte vieler einzuschränken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Kollege Anton,
in den Diskussionen im Ausschuss haben Sie im Wesentlichen nur die Stellungnahme des Landkreistages als Gegenargument vorgelesen und behauptetet, unser Gesetzentwurf sei ein Affront gegen die Versammlungsbehörden, weil er vorsehe, dass die Träger der öffentlichen Verwaltung verpflichtet seien, alles bei oder im Vorfeld von Versammlungen zu unterlassen, dass einschüchternd oder abschreckend wirkt.
Ich könnte mich jetzt hier hinstellen und sagen, dass es keine gute Idee ist, ausgerechnet die Versammlungsbehörden zu fragen, ob man das Versammlungsgesetz liberalisieren sollte, aber dieses Argument braucht es gar nicht.
Wir haben den Gesetzentwurf mit Vertretern der Polizei und Versammlungsbehörden z. B. in Bautzen, Dresden und Leipzig diskutiert. Probleme mit unserer neu formulierten Schutz- und Kooperationsaufgabe hatte da keiner. Im Gegenteil, wir waren überrascht zu hören, wie viel von dem was wir gesetzlich regeln wollen, heute bereits so praktiziert wird.
Und nicht zuletzt möchte ich Sie schon mal bitten, ihren faktenfreien Ausritt zum Thema Anwesenheit der Polizei bei Versammlungen heute hier lieber zu unterlassen. Wir schaffen hier überhaupt erstmals eine klare Rechtsgrundlage, die davon geprägt ist, worin wir uns mit jedem Polizeiführer einig sind: Die beste Versammlung ist aus Sicht der Polizei jene, wo sie nur den Verkehr regeln muss. Dass die Polizei sich darüber hinaus zu erkennen geben sollte und nicht gleich martialisch mit dem SEK anrückt, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Was ich zudem an Kritik, insbesondere des Staatssekretärs an unserem Gesetzentwurf vernommen habe, ist, dass Sicherheitslücken dadurch entstünden, dass wir auf den Rechtfertigungsgrund der ‚Gefährdung der öffentlichen Ordnung‘ für Verbote und Beschränkungen gänzlich verzichten.
Ich möchte dazu nochmals in Erinnerung rufen, dass die öffentliche Ordnung als die >>Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln<< definiert wird, >>deren Befolgung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung für ein geordnetes und gedeihliches Zusammenleben innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird<<, sog. außerrechtliche Sozialnormen. Eine solche weitreichende Einschränkungsbefugnis hat in einem freiheitlichen Versammlungsrecht schlicht nichts zu suchen.
Die Sachverständigenanhörung hat gezeigt, dass unser liberaler Gesetzentwurf ein Schritt für ein modernes Versammlungsrecht sein kann. Dass es Reformbedarf schon alleine deshalb gibt, weil Regelungen zur jüngeren Rechtsprechung, wie zum Versammlungsrecht auf Privatflächen, genauso fehlen, wie evident verfassungswidrige Regelungen gestrichen werden müssen, sollte Konsens in diesem hohen Hause sein. Mit unserem Änderungsantrag haben wir zudem noch einige Klarstellungen im Sinne eines liberalen und modernen Versammlungsrechts vorgenommen.
Es liegt nun an Ihnen, zum 70. Jahrestages des Grundgesetzes eines der bedeutungsschwersten Grundrechte von unnötigen Fesseln zu befreien und mehr Freiheit, weniger Verbote und bessere Kooperation zu ermöglichen.
Kurzum: Lassen Sie uns mehr Versammlungsfreiheit wagen.
Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag ‚Gesetz über die Versammlungsfreiheit im Freistaat Sachsen‘ (Drs 6/11602):
https://www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/Gesetzentwuerfe/6_Drs_11602_0_1_1_.pdf