Rede des Abgeordneten Valentin Lippmann (GRÜNE) zum Antrag der Fraktion GRÜNE ‚Kein ‘Weiter so‘ beim Projekt ‘Polizei.Sachsen.2020‘ – Rückzug der Polizei aus der Fläche stoppen, Polizeireviere wieder einrichten und Feinkonzept aktuellen Stellenentwicklungen anpassen‘
63. Sitzung des Sächsischen Landtags, 16. November, TOP 10
– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
in diesen Tagen befindet sich die Sächsische Union auf Harakiri-Kurs. Einerseits erzählt sie, dass man nach dem Wahldebakel verstanden habe, andererseits bemüht sie sich stets deutlich zu machen, dass es deshalb nun aber nicht an der Zeit sei, großartig etwas zu ändern.
Der große Logiker Frank Kupfer, seines Zeichens Fraktionsvorsitzender der CDU-Fraktion, moderierte vergangenen Freitag nach der dreitägigen Klausur der Fraktion für die CDU sämtliche Ansprüche, konkret die Probleme in Sachsen zu lösen, mit den Worten ab: „Wenn wir eine 180-Grad-Wende machen würden, dann hieße das, wir haben 27 Jahre die falsche Politik gemacht. Das haben wir aber nicht.“ Ein Satz, der wie kein zweiter das Politikverständnis der hiesigen CDU auf den Punkt bringt.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
wenn Sie falsch abgebogen sind und auf einen Abgrund zusteuern, ist es egal, ob sie 90 Prozent des Weges richtig gefahren sind. Sie sind gut beraten zu bremsen und umzukehren. Doch wenn man offenbar im Koordinatensystem wie die CDU eine Polverschiebung hat, ignoriert man augenscheinlich beharrlich Wegbeschreibungen.
Deswegen wollen wir als Opposition der Koalition ein Hilfsangebot unterbreiten. Wir wollen eine 180-Grad-Wende für mehr Präsenz der Polizei in der Fläche.
Denn die CDU in diesem Land macht offenbar weiter so wie bisher, egal was die GRÜNEN, egal was Experten oder egal was die Bevölkerung dazu für eine Meinung haben. Zum Thema Polizei, dass in den Wochen nach der Bundestagswahl in ihren eigenen Reihen immer genannt wurde, wenn von „Neuanfang oder Neuausrichtung“ gesprochen wurde, hieß es vergangenen Freitag nur noch lapidar, dass es bei dem beschlossenen Plus von 1.000 Stellen bleiben werde.
Doch das ist eben nicht genug. Wir brauchen in Sachsen endlich den Mut, die Probleme in unserem Land zu lösen und das große Rad zumindest anzustoßen, statt nur zu hoffen, man käme auf Dauer mit der Reparaturbrigade weiter.
Ein ‚Weiter so!‘ bei der Revierstruktur in Sachsen kann es nicht geben. Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass Sie mit dem Projekt „Polizei.Sachsen.2020“, den darin festgeschriebenen Revierschließungen und dem Personalabbau bei der Polizei falsche Entscheidungen getroffen und damit eine „falsche Politik“ für Sachsen gemacht haben.
Die Reform sah nicht nur die Schließung von über 30 Revieren – und damit einen massiven Rückzug der Polizei aus der Fläche – vor, sondern auch einen drastischen Stellenabbau. Über 2.600 Stellen sollten im Zuge der Polizeireform zwischen 2011 und 2020 bei der Polizei abgebaut werden. Sie haben sich, den Polizeibediensteten und der sächsischen Bevölkerung damals weismachen wollen, dass sich an der Zahl der Streifenbeamten nichts ändern werde. Das war bestenfalls Augenwischerei, aber wohl eher eine bewusste Irreführung der Bevölkerung, die diese heute spürt.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
verdeutlichen Sie sich die Zahlen der Polizeibediensteten und der Polizeireviere einfach einmal (ich empfehle die Lektüre der Antworten auf Kleinen Anfragen der GRÜNEN zum Thema Stellenausstattung bei der Polizei): Waren 2011 im Polizeirevier Coswig-Radebeul noch 119 Beamtinnen und Beamte in einem durchgängig besetzten Standort tätig und im Revier Meißen 103 Bedienstete, sind heute im einzig verbliebenen Revier in Meißen gerade einmal noch 182 Stellen vorhanden und auch diese sollen nach den Plänen des Innenministers bis 2020 weiter auf 160 schrumpfen. Der noch vorhandene Polizeiposten in Radebeul, immerhin eine Stadt mit über 34.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, ist jetzt von Montags bis Freitag zwischen 8 und 18 Uhr besetzt. Der Lidl um die Ecke hat länger auf. Das bringt selbst die örtliche CDU auf die Palme, die nun per Stadtratsantrag die Wiedererrichtung des Polizeireviers forderte. Ein ähnliches Bild zeigt sich in Heidenau, wo die CDU unser Anliegen unterstützt. Das zeigt doch, dass es hier um Probleme geht, die die Menschen vor Ort bewegen.
Auch Freital mit fast 40.000 Einwohnerinnen und Einwohnern hat kein eigenes Polizeirevier und nach Angaben auf der Homepage „keine festen Öffnungszeiten“ mehr. 2011 taten dort noch 103 Beamtinnen und Beamten ihren Dienst, heute sind es gerade mal 57. Egal welches Polizeirevier oder welchen Polizeiposten Sie sich anschauen, der Stellenabbau der letzten Jahre und der Rückzug aus der Fläche ist überall zu sehen.
Vor dem Hintergrund der Ereignisse in Heidenau und Clausnitz haben Sie werte Koalition zumindest auf dem direkten Weg in den Abgrund die Bremse gezogen. Sie haben beschlossen, den Stellenabbau zu stoppen und die Anzahl der Beamtinnen und Beamten sukzessive wieder auf 14.000 zu erhöhen. Das war ein erster Schritt. Doch nicht genug. Jetzt geht es darum weitere Fehler zu korrigieren.
Da ist es auch Quatsch, wenn das Innenministerium darauf verweist, dass man keine Reviere, sondern vor allem Polizisten auf der Straße brauche. Die Erfahrung der Polizeireform zeigt doch: Das eine bedingt nun einmal das andere. Es muss Schluss sein mit Halbherzigkeiten in der Politik in diesem Freistaat.
Wir stellen Ihnen heute einen Antrag zur Abstimmung, der zum Ziel hat, die Polizeireform von 2011 in weiteren Punkten zu überarbeiten. Wir fordern, in jeder Stadt mit mehr als 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ein rund um die Uhr besetztes Polizeirevier einzurichten bzw. wieder einzurichten.
Damit wollen wir GRÜNEN die Polizeipräsenz insgesamt erhöhen und den Bewohnerinnen und Bewohnern auch der kleineren Städte polizeiliche Ansprechpartner 24 Stunden am Tag zur Verfügung stellen. Zudem muss die neue Revierstruktur gewährleisten, dass die Polizei eine Interventionszeit von 20 Minuten einhalten kann. Die Menschen dürfen erwarten, dass die Polizei in Sachsen bei Gefahr für Leib und Leben in dieser Zeit vor Ort ist. Vor diesem Hintergrund muss man sich auch die Revierstruktur in der Lausitz nochmals konkret anschauen und dort notwendige Anpassungen vornehmen.
Wir machen Ihnen ein Angebot mit einem konkreten Vorschlag, wie wir die Polizei in Sachsen besser vor Ort aufstellen können. Uns da jetzt erwartbar eine Detaildebatte in diesem Hause beginnen wird, ob dieses Konzept zu 100 Prozent ausgegoren ist, wo vielleicht das ein oder andere Revier nutzlos oder sinnvoller sein könnte, sage ich Ihnen ganz klar:
Es ist ein Vorschlag, den man gerne auf Seiten des Innenministeriums anpassen und weiter fundieren kann, sofern man dem Grundgedanken der Rückkehr der Polizei in die Fläche folgt – es geht hier und heute erst einmal nur um die Überarbeitung des Konzeptes. Für uns ist es wichtig: Gibt es zukünftig wieder eine vor Ort präsente Polizei in den Mittelstädten. Daran werden uns die Menschen messen.
Wie wichtig es den Bürgerinnen und Bürgern ist, dass die Polizei rund um die Uhr vor Ort und bei brenzligen Situationen schnaell vor Ort ist, haben wir in den vergangenen Tagen – auch für uns überraschend – in unserer Pressearbeit erlebt. Kaum eine Lokalausgabe, in der unsere Forderung nicht aufgenommen wurde.
Das Thema ist hochbrisant und den Menschen viel wichtiger als ein schärferes Polizeigesetz. Sie wollen Polizeibedienstete im Straßenbild sehen. Es gibt ihnen ein gutes Gefühl zu wissen, dass der Polizeistandort in ihrem Ort auch Nachts besetzt ist (und nicht nur zweimal im Monat wie in Frankenberg) oder der Einsatzwagen in spätestens 20 Minuten vor Ort sein kann. Das müssen wir in Sachsen bei der Polizei wieder hinkommen.
Folgen Sie den Worten ihres CDU-Bundestagskollegen Marian Wendt, der meinte es muss Schluss mit der Auftragspolizei sein, wir brauchen wieder eine Streifen- und Präventionspolizei. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, 180-Gradwenden sind gar nicht so schwer wie Ihr Fraktionsvorsitzender behauptet. Den ersten Schritt können Sie heute mit der Zustimmung zu unserem Antrag machen.
Ich schließe mit einer Bitte an die SPD. Ihr stellvertretender Ministerpräsident hat nicht nur auf dem SPD-Landesparteitag angekündigt, dass es auch Änderungen bei der Revierstruktur in Sachsen braucht. Uns eint hier das gemeinsame Ziel. Lassen Sie uns den Weg gemeinsam beschreiten. Im Sinne des Wohles für die Menschen in Sachsen, hoffe ich auf Ihre Zustimmung.