Regierungserklärung − Es braucht sichtbare – auch personelle – Konsequenzen an der Spitze der sächsischen Polizei

Foto: Grünes Büro Dresden

Rede des Abgeordneten Valentin Lippmann zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten „Für eine demokratische Gesellschaft und einen starken Staat“
77. Sitzung des Sächsischen Landtags, Mittwoch, 5. September, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,

wir stehen in Sachsen an einem Scheidepunkt. Das klingt hart. Aber wir sollten uns vor Augen führen, vor welcher Situation wir stehen. Es geht um nicht weniger als um die Urwährung von Staatlichkeit, nämlich Vertrauen. Staaten sind kein Selbstzweck, ihre Existenz fußt einzig darauf, dass die Menschen ihr Gewaltmonopol gegenüber anderen Menschen auf den Staat übertragen und dieser dann im Gegenzug ihre Sicherheit und die Durchsetzung ihrer Rechte sicherstellt. Erodiert dieses Vertrauen, geht es an die Grundsubstanz unserer Gesellschaft.

Wir müssen uns dieser Tage in Sachsen die Frage stellen, wie wir in einer zugespitzten Situation, in der wir erneut sehen, dass die Polizei nicht in der Lage ist bei Demonstrationen das Gewaltmonopol durchzusetzen oder wir erleben, dass Staatsbedienstete durch die Veröffentlichung von Interna die Stimmung im Freistaat weiter anheizen, das angekratzte Vertrauen wieder herstellen.
Die Lage ist zu ernst, um herumzulavieren, auszusitzen und sich in der unions-typischen Wagenburg des ‚Alles-Richtig-Gemacht‘ zu verschanzen.

Die Bilder und die Fakten aus Chemnitz sprechen eine klare Sprache. Wir brauchen jetzt ein Problembewusstsein und keinen Innenminister, der unter Realitätsverweigerung leidet. Wenn Sie Herr Prof. Wöller immer noch glauben, am vorletzten Montag in Chemnitz alles im Griff gehabt zu haben, dann sind Sie in der aktuellen Situation schlicht der falsche Mann an dieser Stelle.

Der Montag in Chemnitz war ein planerisches Versagen der Führungsebene. Wenn an einem solchen Abend Ausschreitungen nicht unterbunden, Menschen nicht geschützt und Straftaten nicht verfolgt werden können, weil zu wenig Polizisten zu vielen Nazis gegenüberstanden, ist etwas gewaltig schiefgelaufen.
Ich nehme niemanden ab, dass man über die Mobilisierung der Rechtsextremen überrascht sein kann, wenn man schon am Vortag erlebt hat, welche Zahl die Rechten innerhalb kürzester Zeit auf die Straße bringen können und der Verfassungsschutz genau vor einer solchen Lage gewarnt hatte.
Ich erwarte in einer solchen Situation, dass sich alle vom Innenminister bis zur Polizeiführung bewusst sind, dass alles Erdenkliche zu tun ist, um ausreichend Polizeikräfte auf die Straße zu bringen – nach dem Grundsatz lieber fünf Polizisten zu viel als 500 zu wenig. Das gelingt ja mithin bei jeder linken Kleinstdemo unter Aufgebot selbst des SEK, nur offenbar immer dann nicht, wenn es wirklich einmal notwendig wäre.
Es braucht jetzt Entschlossenheit in der Umsetzung von Gegenmaßnahmen.

Dazu gehört es in der schwierigen Situation, jede Hilfe anzunehmen und nicht in der Hybris des falschen Sachsenstolzes auch noch Polizeikräfte aus Niedersachsen abzulehnen und eine Stadt durch Unfähigkeit und Borniertheit den Nazis zu überlassen.
Wir brauchen einen Kulturwandel in der Polizeiführung. Wir brauchen endlich eine Fehlerkultur, die diesen Namen auch verdient hat, vom obersten Dienstherrn bis zum kleinsten Glied in der Kette.

Den größten Fehler, den eine Polizei, die um Vertrauen wirbt, machen kann, ist zu glauben, keine Fehler zu machen. Um einen solchen Kulturwandel durchzusetzen braucht es auch sichtbare – auch personelle – Konsequenzen an der Spitze der sächsischen Polizei. Mehr Polizistinnen und Polizisten allein werden uns nicht viel bringen, wenn wir jetzt nicht in auch eine bestmögliche Ausbildung und neue Polizeikultur in Sachsen setzen.
Schlussendlich braucht es auch eine klare und sichtbare Haltung der Verantwortlichen, allen voran des Ministerpräsidenten. Wer die Stimmung weiter dadurch anheizt, sich den Feinden unserer gesellschaftlichen Grundwerte anzubiedern, wird weiter das Problem verstärken, über dessen Auswüchse wir hier und heute diskutieren – genauso, wie jene, die den Rechtsstaat weiter aushöhlen wollen.

Sehr geehrter Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,

Chemnitz ist eine Zäsur für die Gewährung von Rechtsstaatlichkeit in Sachsen, für die Frage, ob die Politik mit Haltung und Zuversicht agiert oder nur mit Betroffenheit und Scham reagiert.
Lassen Sie uns alles dafür tun, dass der freiheitliche Rechtsstaat in Sachsen die Oberhand behält.

Viele Dank!