Rede des Abgeordneten Valentin Lippmann zum Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema: „Gesetz über die Versammlungsfreiheit im Freistaat Sachsen“
67. Sitzung des Sächsischen Landtags, 1. Februar, TOP 4
– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
„Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln; einer besonderen Erlaubniß dazu bedarf es nicht.“ – Werte Kolleginnen und Kollegen, wie sie vielleicht der Wortwahl entnehmen können, handelt es sich weder um das Grundgesetz noch um die Sächsische Landesverfassung – es handelt sich um den § 161 der Paulskirchenverfassung von 1849. Einer der großen Ideen eines demokratischen Staates in Deutschland.
Dies zeigt: was wir heute als Selbstverständlichkeit annehmen, war in der Geschichte eine große Errungenschaft. Für die Versammlungsfreiheit wurde viel Blut vergossen, Entbehrungen hingenommen und die Freiheit vieler verloren. Nicht umsonst fürchten Diktaturen sie bis heute.
Den Ländern wurde mit der Förderalismusreform die Gralshüterschaft über eines der zentralen und sensibelsten Grundrechte der Bundesrepublik übertragen.
Denn, die Möglichkeit, sich frei zu versammeln, ist ein „wesentliches Element demokratischer Offenheit“ und „ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie“ – so schreibt es uns das Bundesverfassungsgericht ins Stammbuch.
Wir sind als Freistaat gehalten – im Sinn der großmöglichen Verwirklichung des Grundrechtes – sorgsam mit diesem Schatz umzugehen.
Es widerspricht dieser großen Aufgabe, dass wir uns im Freistaat weitgehend der aktuellen Rechtsprechung entziehen, verfassungswidrige Bestimmungen fortführen und keinerlei Rücksicht auf aktuelle Entwicklungen nehmen.
Deswegen legen wir nun einen Vorschlag für ein modernes und liberales Versammlungsrecht im Freistaat Sachsen vor. Bewusst nennen wir es „VersammlungsFREIHEITSGesetz“ – denn wir wollen mit unserem Gesetz mehr Freiheit ermöglichen, eine bessere Kooperation der Behörden einfordern und weniger Verbote umsetzen.
So wollen wir evident verfassungswidrige Regelungen aus dem aktuellen Gesetz tilgen. Die Möglichkeit, eine Versammlung aufgrund der bloßen Nichtanzeige auflösen zu können, ist seit der Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes passé – und nicht nur Juristen wissen, dass diese Entscheidung nicht von gestern ist, sondern aus den 80ern stammt. Wenn unser Versammlungsgesetz noch seit über 30 Jahren verfassungswidrige Bestimmungen enthält, ist es an der Zeit, endlich mal – selbst in Sachsen – im Hier und Jetzt anzukommen.
Wir streichen das Verbot von Versammlungen an bestimmten Tagen an Orten mit historischem Bezug – es ist nach unserer Auffassung mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unvereinbar.
Wir wollen die Behörden zu mehr Kooperation verpflichten. Denn im Versammlungsrecht darf die Erkenntnis, dass Kooperation der Eskalation vorbeugt, keine Binsenweisheit bleiben, sondern muss oberstes Gebot sein. Deswegen muss es die Pflicht dazu geben, dass die Versammlungsbehörden stets Kooperationsgespräche anbieten – ob sie dieses Angebot annehmen, ist Sache der Veranstalter. Ebenso haben die Behörden alles zu unterlassen, was abschreckend auf Versammlungsteilnehmer wirkt. Dann wäre auch endlich mal Schluss mit dem martialischen Aufmarschieren von SEKs bei Kleinstdemos in Sachsen.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
die vielen Versammlungen der letzten Jahre haben teils eine große Enthemmung gezeigt – Angriffe richteten sich dabei auch gegen Journalistinnen und Journalisten. Deshalb halten wir es nicht nur für sinnvoll, sondern für geboten, dem Schutz der freien Medienberichterstattung im Versammlungsrecht einen größeren Stellenwert einzuräumen. Dann könnten die Behörden sich nicht mehr dahinter verstecken, dass Medienvertreter Teilnehmer der Demos wie alle anderen seien.
Wir wollen auch im Versammlungsrecht die Bürgerrechte stärken. Der Inflation der Videoüberwachung bei Versammlungen muss ein Riegel vorgeschoben werden. Es braucht eine Pflicht, dass Videoaufnahmen der Polizei jederzeit klar erkennbar sein müssen. Nervende Diskussionen mit Polizeibediensteten, ob sie denn nun aufzeichnen oder sich die Kamera nur im Stand by befindet, sind dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unwürdig und gehören beendet.
Und ebenso muss es zur Pflicht werden, dass die Aufzeichnungen mit digitalen Signaturen versehen werden, um ein nachträgliches Zusammenschneiden zu verhindern.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
mit unserem Versammlungsfreiheitsgesetz wollen wir als Freistaat neue Wege beschreiten. Dazu gehört es, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum Versammlungsrecht auf Privatflächen, die der öffentlichen Nutzung zugeführt sind, umzusetzen. Dieses setzen wir nicht nur auf jenen Flächen um, die unmittelbar oder mittelbar in staatlicher Hand sind, sondern auf allen entsprechenden Privatflächen. Hier würde es Sachsen gut zu Gesicht stehen, Vorreiter statt immer nur jahrzehntelanger Nachzügler zu sein.
Und weil uns GRÜNE ein liberaler Pragmatismus leitet, wollen wir das Versammlungsstrafrecht entrümpeln und künftig Augenmaß statt Repression üben. Es ist doch mehr als erklärungsbedürftig, wenn wir dort unanwendbares Recht, wie die Sanktionierung der Nichtanzeige oder Redundanzen zum StGB finden – das ist unnötig, das kann weg.
Mit der Streichung unnötiger Straftatbestände und der Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit verfolgen wir zum einen, dass für die Verfolgung von Verstößen das Opportunitätsprinzip gilt, es also im Ermessen der Ordnungsbehörde liegt, ob gegen einen Verstoß vorgegangen wird oder nicht. Damit schaffen wir – um es mit den Worten der niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius zu sagen – einen wesentlichen größeren Spielraum für Deeskalation im Demonstrationsgeschehen.
Dies ist notwendig. Denn beispielsweise die Verfolgung der Blockaden vom 19. Februar 2011 gegen den Naziaufmarsch in Dresden, an denen sich auch Mitglieder dieses Hauses, wie der heutige stv. Ministerpräsident Dulig und die Kollegen Lichdi und Gebhardt beteiligten, hat gezeigt, wie komplex die Abwägungen hinsichtlich der Strafbarkeit von Platzbesetzungen im Spannungsverhältnis zum Grundrechtsschutz sind und dies keineswegs so einfach ist, wie die momentane gesetzliche Bestimmung vorgibt.
Damit einhergehend versprechen wir uns eine große Entlastung der Strafverfolgungsbehörden. Von über 2.000 Ermittlungsverfahren, die sie seit 2013 wegen Verstoß gegen § 22 VersG einleiten wurden, sind 94 Prozent eingestellt worden. Um es klar zu sagen: Unsere Staatschutzabteilungen in den Staatsanwaltschaften haben wichtigeres zu tun, als am Fließband Einstellungsverfügungen für vermeintliche Versammlungsstraftaten zu tippen.
Der Vorschlag, den wir Ihnen heute unterbreiten, ist kein Hexenwerk und keine Ideologie. Er basiert auf dem Versammlungsfreiheitsgesetz des Landes Schleswig-Holstein, welches wiederum auf einem Mustergesetzentwurf renommierter Rechtsprofessoren beruht. Er ist an die sächsischen Besonderheiten und Erfahrungen mit dem Versammlungsgeschehen angepasst.
Er ist gemessen am historischen Kampf für die Versammlungsfreiheit keineswegs revolutionär, aber für unseren Freistaat ein Meilenstein für die Bürgerrechte.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
Wir sind uns bewusst, dass dieses Gesetz auch Versammlungen schützt, die wir – etwa weil sie von der extremen Rechten, von Rassisten oder Antisemiten veranstaltet werden – aus tiefstem Herzen ablehnen. Wir vertrauen dabei auf die Kraft des friedlichen Widerspruchs. Wir vertrauen auf eine starke Demokratie, die die Versammlungsfreiheit aushält.
Unsere Stärke ist es, den Feinden der Freiheit mit noch mehr Freiheit zu begegnen. Wir sagen allen Verfassungsfeinden und all denjenigen, die die Sicherheit über die Freiheit stellen wollen: „Seht her, die Versammlungsfreiheit ist unsere Antwort auf Euer Ziel und Eure Angst.“
Wir wollen VersammlungsFREIHEIT wagen – Mit unserem Vorschlag für ein Sächsisches Versammlungsfreiheitsgesetz – modern, pragmatisch und liberal.
Vielen Dank.