– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
ich beginne meine Rede mit einem Dank an Sie, Herr Innenminister. Einem Dank dafür, dass Sie in ihrer Erklärung das Willkommensfest und die friedlichen Demonstrationen am Wochenende in Dresden gelobt haben. Sie loben damit jene Organisatoren, die in Sachsen teilweise über Jahre hinweg kriminalisiert und verunglimpft wurden. Das ist ein deutliches Zeichen und vielleicht späte Einsicht. Aber vielleicht auch ein Zeichen, wie außerordentlich die Herausforderungen sind, vor denen wir stehen.
Herr Staatsminister, wenn ich Sie höre, ist mir klar, dass Sie derzeit mit dem Rücken an der Wand stehen. In ihr Ressort fällt die große Aufgabe, tausende von Flüchtlingen in Sachsen menschenwürdig unterzubringen und zu versorgen. In ihr Ressort fällt aber auch, sich um die Sicherheit der Flüchtlinge zu kümmern und diese zu gewährleisten. In diesem Punkt erleben wir derzeit ein umfassendes Versagen.
Die ureigene Aufgabe des Staates ist der Schutz von Menschen und Eigentum. Ein Staat, der diese Aufgabe nicht mehr vollumfänglich erfüllen kann, versagt.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns in Sachsen momentan in einem Endspiel um das Gewaltmonopol des Staates. Das klingt hart, aber als nichts anderes lässt es sich beschreiben, wenn es nicht mehr gelingt, Ausschreitungen marodierender Neonazis sofort zu unterbinden, die Täter festzunehmen und zur Verantwortung zu ziehen, weil nicht ausreichend Polizeikräfte zur Verfügung stehen. Als nichts anderes lässt es sich auch beschreiben, wenn in Sachsen aufgrund unzureichender Polizeikräfte zum zweiten Mal innerhalb von nur sechs Monaten ein umfassendes Versammlungsverbot erlassen werden muss.
Es gilt leider zu konstatieren: Durch den jahrelang fortgesetzten Stellenabbau bei der Polizei wurde nicht nur die Sicherheit in Sachsen gefährdet, sondern auch der Rechtsstaat zu Tode gespart. Das ist die bittere Erkenntnis der letzten Wochen. An dieser Stelle hätte ich heute deutlichere Botschaften von Ihnen erwartet, Herr Staatsminister.
Unsere Kritik richtet sich dabei nicht an einzelne Polizeibedienstete. Diese haben sich vorletztes Wochenende in deutlicher Unterzahl rechten Gewalttätern entgegengestellt und teils erheblich Verletzungen davon getragen. Ihnen gilt mein ausdrücklicher Dank für ihren Einsatz. Die Kritik richtet sich dezidiert an Sie, Herr Minister, und an die CDU, die eine solche Situation über Jahre hinweg herbeigeführt hat. Durch den Stellenabbau und ihr falsches Verständnis für vermeintlich besorgte Bürger. Ich finde es auch etwas unredlich, wenn Sie Herr Innenminister so tun, als wären Sie der weiße Ritter gewesen, der das Willkommensfest ermöglicht hat. Ihren persönlichen Einsatz möchte ich gar nicht schmälern. Die Grundlage des Verbotes war aber die Gefahrenprognose und die Erklärung eines Notstandes durch die Polizei, die meines Wissens immer noch dem Staatsministerium des Inneren untersteht. Ohne polizeilichen Notstand und Allgemeinverfügung hätte es keiner Rettung bedurft.
Das Versammlungsrecht ist kein Schön-Wetter-Grundrecht. Mit der Durchführung des Willkommensfestes allein ist es nicht getan. Hier hat eine massive Grundrechtseinschränkung stattgefunden. Der Skandal der erneuten Deklaration eines polizeilichen Notstandes in Sachsen bedarf einer umfassenden Aufarbeitung. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes war eine Blamage par excellence mit Ansage für den Freistaat. Wir brauchen daher dringend eine gemeinsame politische Diskussion über die Einsatzfähigkeit der Polizei. Da lasse ich mich nicht mit dem Verweis auf die Polizeikommission abspeisen. Dazu gehört auch eine Diskussion über Prioritäten bei Einsatzlagen – Stichwort Fußball. So traurig dies in einem demokratischen Rechtsstaat klingt: Wir brauchen unverzüglich ein Konzept zum vollständigen Schutz der Versammlungsfreiheit in Sachsen.
Neben der Polizei gilt es, sich mit einer anderen Behörde in Sachsen auseinanderzusetzen. Wo war eigentlich das Landesamt für Verfassungsschutz in den letzten Monaten? Die CDU trägt gerne wie eine Monstranz die Notwendigkeit des Verfassungsschutzes als Element einer wehrhaften Demokratie vor sich her. Können Sie mir dann mal erklären, wieso diese Behörde, die ja ein Frühwarnsystem sein soll, erst dann aufwacht, wenn die Böllerwürfe von Heidenau nicht mehr zu überhören waren. Die Dysfunktionalität dieser Behörde wurde durch sie selbst wieder eindrucksvoll bewiesen.
Kommen wir zur konkreten Sicherung der Unterkünfte. Unseren Antrag zur Sicherheit von Flüchtlingsunterkünften haben Sie im letzten Plenum mit großer Verve abgebügelt und abgelehnt. Er wäre unnötig. Nur wenige Wochen später nach Freital, den Ausschreitungen vor dem Zeltlager in Dresden und nach Heidenau, hoffe ich, dass so mancher Politiker in der Koalition seine Ablehnung überdenkt. Wir bleiben dabei, es braucht ein umfassendes Sicherheitskonzept für Flüchtlingsunterkünfte in Sachsen, vor allem unmittelbar im Zusammenhang mit der Eröffnung – das hat Heidenau deutlich gezeigt. Es ist jetzt an der Zeit darüber noch einmal nachzudenken.
Sie, werte Koalitionäre, schlagen nun die Wiedereinführung der Wachpolizei vor. Immerhin ein Vorschlag, aber kein Guter! Denken Sie ernsthaft, dass es eine gute Idee ist, Polizisten mit einer dreimonatigen Ausbildung – ohne nennenswerte Demonstrationserfahrung – in dieser brenzligen Situation vor Flüchtlingsunterkünfte zu stellen? Ich halte das für mehr als gewagt. Und Sie wissen selbst, dass der erste Wachpolizist in einem Jahr einsatzbereit ist. Wir haben aber jetzt die Probleme. Von daher ist der Vorschlag das Vortäuschen von Aktivitäten.
Für uns ist klar: wir brauchen jetzt Lösungen. Wir brauchen jetzt eine deutschlandweite Verständigung unter den Innenministern über die Sicherung von Flüchtlingsunterkünften und die Bewältigung von Versammlungsgeschehen in diesem Zusammenhang. Dafür haben Sie unsere volle Unterstützung.
Lassen Sie mich zum Schluss deutlich sagen: Unser aller Ziel muss sein, dass wir Ereignisse wie die in Heidenau vorletztes Wochenende aber ein weiteres umfassendes Versammlungsverbot in Freistaat Sachsen nicht wieder erleben.
Vielen Dank!
18. Sitzung des Sächsischen Landtags, 1. September 2015, TOP 1