Zehn ‚Zeitzeugenvorträge‘ von Neonazis mit je bis zu 300 Teilnehmenden in Sachsen im Jahr 2017

Wie die Antwort von Innenminister Prof. Roland Wöller (CDU) auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag, offenlegt, fanden im Jahr 2017 insgesamt zehn sogenannte Zeitzeugenvorträge von Neonazis in Sachsen statt.
Die Veranstaltungsorte lagen insbesondere im Landkreis Mittelsachsen (fünf Vorträge in Mittweida) sowie die in den Großstädten (je ein Vortrag in Dresden, Leipzig, Chemnitz) sowie in Weißwasser (Landkreis Görlitz) und Jesewitz (Landkreis Nordsachsen). An den Vorträgen nahmen zwischen 120 und 300 Zuhörer teil. Die Zeitzeugen berichteten über ihr Leben während der NS-Zeit und verherrlichten diese.

Mit Ursula Haverbeck trat zweimal auch eine verurteilte Holocaust-Leugnerin und zugleich Kultfigur der Neonazi-Szene auf. An der Organisation bzw. Durchführung der Veranstaltungen beteiligten sich auch Personen, welche mittlerweile verbotenen Gruppierungen angehörten.
Während sich in Mittweida das genutzte Objekt in der Hand von Neonazis befindet, wurde in den anderen Orten jeweils ein Objekt angemietet.
Überdies war bei einigen ‚Zeitzeugenvorträgen‘ die ‚GefangenenHilfe‘ mit einem eigenen Verkaufsstand vertreten und sammelte zudem Spenden. Es handelt sich um eine Organisation, die in Schweden als Verein eingetragen ist und inhaftierte Neonazis sowie ihre Familien während der Haftzeit (finanziell) unterstützt und betreut.

Hierzu erklärt Valentin Lippmann:

„Bei den sogenannten Zeitzeugenvorträgen handelt es sich derzeit um das bedeutendste Veranstaltungsformat der neonazistischen Szene in Sachsen, nur ein paar wenige Konzerte erreichen dieselbe Anzahl an Teilnehmern.“
„Ziel der Vorträge ist dabei weniger das Einwirken auf die Gesellschaft, vielmehr geht es um eine strukturelle sowie ideologische Festigung der Szene. Zu Wort kommen SS-Mitglieder und Holocaust-Leugner, die politische Stoßrichtung ist klar. Zudem werden Gelder zur Unterstützung inhaftierter Neonazis gesammelt.“

„Auch für das Jahr 2018 sind weitere Veranstaltungen dieser Art zu erwarten. Die Szene versucht möglichst viele Vorträge durchzuführen, so lange die letzten Alt-Nazis noch am Leben sind. Zuletzt wurde eine Veranstaltung dieser Art am 03. Februar 2018 bekannt, wieder im Landkreis Mittelsachsen. In Hohenfichte trafen sich 250 Neonazis, erneut sprach die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck, diesmal per Video-Chat zugeschaltet. Anwesend war u.a. der Rechtsanwalt Martin Kohlmann, Chef der Chemnitzer Stadtratsfraktion ‚Pro Chemnitz‘. Er veröffentlichte ein Bild der Veranstaltung auf seinem Facebook-Profil.“

„Dass Neonazis derlei Veranstaltungen in diesem Umfang durchführen können, liegt nicht zuletzt auch am mangelnden Problembewusstsein im Innenministerium. Bis heute habe ich vom neuen Innenminister Prof. Roland Wöller noch kein einziges Wort gehört, wie er gegen extrem rechte Tendenzen in Sachsen vorgehen will. Ich erwarte endlich ein Handlungskonzept, dass insbesondere Landkreise und Kommunen, aber auch Vermieter und Gastronomen darin unterstützt, Bestrebungen von Neonazis frühzeitig zu erkennen und entschieden zu handeln.“

Antwort von Innenminister Prof. Roland Wöller (CDU) auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Valentin Lippmann ‚Von Neonazis organisierte Zeitzeugenvorträge in Sachsen im Jahr 2017‘ (Drs 6/12407)