Bürgerrechte als Preis für Sicherheit − Der Polizeigesetz-Referentenentwurf des Innenministers bestätigt all unsere Befürchtungen zur Schwere der geplanten Grundrechtseingriffe

Rede des Abgeordneten Valentin Lippmann zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion:
‚Ausverkauf der Bürgerrechte als Preis für die Sicherheit? Transparenz über geplante Grundrechtseingriffe herstellen – Märchen von der Notwendigkeit der Verschärfung von Sicherheitsgesetzen beenden‘ (Drs 6/8620)
71. Sitzung des Sächsischen Landtags, Donnerstag, 26. April, TOP 11

– Es gilt das gesprochene Wort –

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

wenn es im Innenministerium mal wieder schnell gehen muss, kommt bekanntlich meistens Käse raus. So auch letzte Woche als der Innenminister Prof. Wöller das neue Polizeigesetz für Sachsen vorstellte. Fernab des gruseligen Inhaltes, der uns dort kredenzt worden ist, vergaloppierte sich der Innenminister schon – offenbar in Unkenntnis, dass er nur den Referentenentwurf vorstellt – bei der Frage, ob der Entwurf öffentlich zugänglich ist.
Seitdem versuchte das Innenministerium mehr oder minder erfolgreich die Bevölkerung über einen geplanten erheblichen Angriff auf die Bürgerrechte im Unklaren zu lassen – bis dann gestern der Entwurf geleakt wurde, der all unsere Befürchtungen zur Schwere der geplanten Grundrechtseingriffe bestätigt.

Werte Kolleginnen und Kollegen,

bei Grundrechtseingriffen ist Transparenz gegenüber denen, die es betrifft gegenüber den Bürgerinnen und Bürger, oberste Priorität. Und dann legt man entweder alle Karten auf den Tisch oder man schweigt gänzlich zur Materie. Sensibelste Grundrechtseingriffe eignen sich einfach nicht für eine Publicity-Show des Ministers – das gebietet schlicht das Wesen unserer Verfassung.
Wenn es mit dieser Intransparenz im Verfahren weiter geht, dann ist mir klar, wie das endet: Geheimniskrämerei, schmallippige Begründungen und eine große Portion Gesetzgebungspfusch. Damit wir uns in den kommenden Monaten hier im Landtag nicht auch noch in einer Märchenstunde ergeben, was angeblich alles notwendig sei, um den Freistaat zu schützen, wollen wir GRÜNE jetzt Klarheit über geplante und noch evtl. dazu kommenden Eingriffe in unser alle Freiheit.

Erstens:
Sie erzählen die Mär von den Lücken im Polizeigesetz, weshalb Sachsen zum Rückzugs- und Ruheraum für Verbrecher aller Art und Terroristen werden könnte und deshalb Maßnahmen wie die Präventiv-TKÜ brauche. Daran bestehen erhebliche Zweifel! Glauben Sie ernsthaft, dass potenzielle Terroristen vorher ein Lektüreseminar der Polizeigesetze besuchen, um zu schauen, wo es am günstigsten ist, sich nieder zu lassen?
Dazu kommt: Die Mittel der Strafverfolgung und der Bereich der strafbaren Handlungen sind in den letzten Jahren bereits bis in das Vorfeld von Straftaten und bis an die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen ausgeweitet worden. Gleiches gilt für die Befugnisse des Bundeskriminalamts und der Bundespolizei bei der Bekämpfung des Terrorismus und Grenzkriminalität.

Deshalb wollen wir, dass das Innenministerium darlegt, wie sich diese in anderen Bundesländern bzw. beim Bund bewährt hat, in welchen konkreten Fällen sich das bisherige Fehlen dieses Instrumentariums im Sächsischen Polizeirecht wie ausgewirkt und Ermittlungen erschwert hat und welche Anforderungen die Sächsische Verfassung bzw. das Grundgesetz an die Einführung einer solcher Maßnahmen stellt.

Schwere Eingriffe in Grundrechte eignen sich nicht für das Nerz-Mantel-Prinzip – nach dem Motto, Mein Nachbar hat es, dann ich will es auch. Der Maßstab ist hier nicht Neid und „Wünsch Dir was“, sondern unsere Verfassungsordnung.
Und auch wenn die Onlinedurchsuchung und Quellen-TKÜ (noch) nicht im Gesetz enthalten sind, so hätten wir auch dazu gern eine Analyse hinsichtlich der Auswirkungen eines solchen Instrumentariums auf die Grundrechte. Denn die CDU hat das ja offenbar auf ihrem Wunschzettel des Schreckens.

Zweitens:
Sie erzählen das Märchen, dass die geplanten Maßnahmen mehr Sicherheit bringen würden. Auch das gilt es mal zu hinterfragen und vor allem zu belegen. Jeder in diesem Raum hier weiß, dass Videoüberwachung oder die Fußfessel keine Straftaten verhindert. Jede Straftat, die auf einer Überwachungskamera zu sehen ist oder jeder sogenannte Gefährder, der mit einer Fußfessel per Flugzeug das Land verlässt, ist der Beweis dafür. Und letzteres ist leider kein Witz, sondern bizarre Realität.

Drittens:
Sie erzählen was von Ausgewogenheit und Balance ihres Gesetzgebungsvorhabens. Nach einem Blick auf den Referentenentwurf, empfehle ich schon mal der Staatsregierung und Koalition an dieser Stelle den Gang zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt wegen akuten Gleichgewichtsproblemen.
Die intelligente Videoüberwachung und die stationäre automatisierte Kennzeichenerfassung sind Ausdrucksformen einer neuen Dimension der Überwachung der Bürgerinnen und Bürger durch den Staat. Hier braucht es eine Analyse, die über jeden kleinsten Zweifel erhaben ist, dass Grundrechte für bloße Illusionen der Sicherheitsbehörden geopfert werden.

Schon die mobile automatisierte Kennzeichenüberwachung, die massenhaft Fahrzeuge erfasst, personenbezogene Daten im Millionenbereich erhebt und im letzten Jahr zur Feststellung von 14 gestohlenen Autos geführt hat und in erster Linie zur Feststellung von Verstößen gegen den Pflichtversicherungsschutz genutzt wird, steht vollkommen außer Verhältnis. Und genau diesen Datenabgriff wollen Sie jetzt noch auswerten.
Die geplante Verschärfung des Polizeigesetzes, das umfassende Befugnisse zur präventivem Rund-um-die-Uhr-Überwachung von Personen einräumt, macht jede Bürgerin und jeden Bürger in diesem Freistaat verdächtig – denn grundsätzlich könnte doch jeder in absehbarer Zeit eine Straftat begehen.

Werte Kolleginnen und Kollegen,

es braucht deshalb Klarheit, bevor der Gesetzentwurf den Landtag erreicht. Wenn wir eines in den letzten Jahrzehnten beobachten konnten, dann ist es das, dass einmal eingeführte Befugnisse der Sicherheitsbehörden und die damit verbundene Verschärfung von Sicherheitsgesetzen nicht wieder rückgängig gemacht werden.

Wir GRÜNEN haben in den vergangenen zwei Jahren mehrere Anläufe unternommen, dass Polizeirecht und die darauf gestützte Überwachung von sächsischen Bürgerinnen und Bürgern auf ein verfassungsrechtliches Fundament zu stellen. Wir haben bereits 2016 eine umfassende Evaluierung der sächsischen Sicherheitsgesetze gefordert. Im vergangenen Jahr haben wir nach der Ankündigung des neuen Polizeigesetzes die Einrichtung einer Task-Force gefordert, die die polizeilichen Datenbanken auf ihre Rechtmäßigkeit und Erforderlichkeit überprüft und bewertet. Alle Anträge wurden abgelehnt. Die Evaluation der Regelung zur Bestandsdatenauskunft nach Paragraf 42 Polizeigesetz sind Sie uns übrigens bis heute schuldig, sie sollte bis Ende 2016 durchgeführt werden und liegt immer noch nicht vor.

Werte Kolleginnen und Kollegen,

schaffen Sie mit der Zustimmung zu unserem Antrag Transparenz über die Hintergründe und Folgen der geplanten Grundrechtseingriffe – gegenüber dem Parlament aber auch gegenüber der Bevölkerung, die hier an Anrecht hat, informiert zu werden.
Sie brüsten sich in Teilen der Koalition jetzt damit, dass das doch alles längst nicht so schlimm wie in Bayern sei. Herzlichen Glückwunsch! Das ist doch aber nicht der Maßstab. Ich habe die schlichte Erwartung, dass sich eine SPD nicht auf CSU-Niveau begibt, andernfalls können Sie sich gleich einbuddeln.

Ich verwahre mich dagegen, dass wir uns als Sachsen am schlechtesten orientieren und uns freuen, dass wir vielleicht die Einäugigen unter den Blinden sein könnten.
Vielleicht stehen wir als GRÜNE mit unserem Kampf für Freiheit und Bürgerrechte etwas altmodisch da: aber bei schweren Grundrechtseingriffen ist unser Anspruch größtmögliche Zurückhaltung zu üben und im Zweifel der Freiheit gegenüber den wirren Träumen des Innenministeriums den Vortritt zu geben.

Zum Schluss: Wenn alles so großartig wird, wie die Koalition jetzt gleich in der Brustton der Überzeugung vortragen wird, dann können Sie ja unserem Antrag getrost zustimmen. Denn: Wissen schadet dann ja zumindest nicht. Wenn Sie Angst haben, diesem Antrag zuzustimmen, weil Ihnen die Antworten vielleicht nicht passen, sollten Sie die Finger von einer Novelle des Polizeigesetzes lassen.
Denn, wenn Koalition und Staatregierung bei Grundrechtseingriffen lieber ‚die drei Affen‘ spielen als alle Karten auf den Tisch zu legen, ist größtmögliche Wachsamkeit geboten und dieser Antrag notwendig.