Jungen Menschen das Wahlrecht vorzuenthalten, führt zu Politikverdrossenheit

Foto: Grünes Büro Dresden

Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE: „Gesetz zur Absenkung des Wahlalters im Freistaat Sachsen auf das vollendete 16. Lebensjahr (Sächsisches Wahlalter-16-Gesetz)“ (Drs 7/12706)

82. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch 31.01.2024, TOP 7

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Wahlrechtsfragen sind entscheidend für das Heil unserer Demokratie. So heißt es immer wieder in der abgewandelten Zitierung eines Ausspruches von Jose Ortega y Gasset. Denn die Frage, wem das Recht zur Kreation der Vertretung des Souveräns zukommt, prägt das zeitmäßige Selbstverständnis einer jeden Demokratie.

Für das allgemeine, freie und gleiche Wahlrecht wurde Jahrhunderte lang gekämpft und Freiheit und Leben vieler geopfert. Für die Ausweitung des Wahlrechtes auf alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von Einkommen oder Geschlecht musste ebenso lange gestritten werden.

Die Frage, wer wählen darf, ist somit immer Ausdruck einer verfassungsmäßigen Leitentscheidung, wer Teil der Republik ist, wer die Möglichkeit hat, die „res publica“ zu gestalten.

Während das Frauenwahlrecht heute eine Selbstverständlichkeit ist, das Einkommen keine Rolle mehr spielt und das Bundesverfassungsgericht auch die Wahlrechtsausschlüsse für Betreute kippte, geht es bei der Frage nach einem zeitgemäßen Wahlrecht in diesem Bereich nunmehr zunehmend wieder um die Frage, ab wann man wählen darf.

Wir BÜNDNISGRÜNE haben innerhalb der Koalition für eine Absenkung des Wahlalters bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre gekämpft, um jungen Menschen mehr demokratische Teilhabe „vor Ort“ zu ermöglichen. Dies ist in der Koalition jedoch nicht mehrheitsfähig, die Auffassungen sind geteilt.

Wir BÜNDNISGRÜNEN begrüßen dennoch den Vorstoß des Gesetzentwurfes, werden uns aber den Grundsätze der Koalitionsbildung fügen und werden entsprechend nicht zustimmen können.

Den Grundgedanken des vorliegenden Gesetzentwurfs, die stärkere Einbeziehung junger Menschen in die Politik durch Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre, begrüßen wir BÜNDNISGRÜNE dabei ausdrücklich.

Die Frage, ab wann man das Wahlrecht ausüben kann, ist dabei eine rein politische. Denn die Altersgrenzen in Deutschland folgen bei vielen Rechten und Pflichten keineswegs starr der Volljährigkeit.

Mit der Vollendung des 14. Lebensjahres werden Kinder strafmündig, dürfen einen amtlichen Sportbootführerschein für Segelboote oder eine Pilotenlizenz für Segelflugzeuge erwerben. Nun will ich gar nicht die Frage erörtern, was gemeinhin gefährlicher sein könnte: Ein 14-Jähriger in einem Segelflugzeug oder eine 16-Jährige, die am Massenverfahren der Wahlen teilnimmt. Das Beispiel zeigt nur, dass unsere Rechtsordnung die Frage, welche Überschaubarkeit von Handeln wir Menschen in welchem Alter zugestehen, keineswegs einer dogmatischen Logik folgt.

Meine Damen und Herren,
dass ausgerechnet das Wahlrecht als elementarer Kern unserer parlamentarischen Demokratien jungen Menschen vorenthalten wird, führt zur Politikverdrossenheit der jungen Generation, die sich für Belange wie Klimaschutz und Nachhaltigkeit, soziale Sicherheit und Frieden einsetzt. Es führt zu Unverständnis bezüglich der Zersplitterung der Altersgrenzen im Wahlrecht von Bund und Ländern.

In der Sachverständigenanhörung wurde deutlich, dass die Situation an Absurdität ausgerechnet im Freistaat Sachsen im Jahr 2024 kaum mehr zu überbieten ist: Einige 16- und 17-jährige Sächsinnen und Sachsen werden ihr Wahlrecht im Juni bei der Europawahl wahrnehmen, nicht aber zur Kommunalwahl und auch nicht drei Monate später im September zur Landtagswahl. Sie erscheinen dem Bundesgesetzgeber für kompetent genug, Politikerinnen und Politiker in Brüssel und Straßburg zu mandatieren, aber nicht im Stadtrat ihrer Heimatgemeinde und nicht im Freistaat, in dem sie zur Schule gegangen sind und leben.

Meine Damen und Herren,
wir BÜNDNISGRÜNE bleiben bei unserer Auffassung, dass 16-Jährige sehr wohl die nötige Reife für die Teilnahme an Wahlen haben. Denn das aktive Wahlrecht ist keine Frage des Alters, sondern gesellschaftlicher Teilhabe und politischer Partizipation.

Erstens ermöglicht eine Ausweitung des Wahlrechts auf 16 Jahre jungen Menschen, ihrem politischen Engagement auch an der Wahlurne Ausdruck zu verleihen. In einer krisengebeutelten Zeit, in der sie bereits Verantwortung in vielen Bereichen übernehmen, ist es nur gerecht, ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Meinung durch Wahlen auszudrücken. Es stärkt das demokratische Bewusstsein und die Selbstermächtigung von jungen Menschen, sich für demokratische Grundwerte einzusetzen, wie wir es gerade in Sachsen dringend brauchen.

Zweitens sind Jugendliche ab 16 Jahren informiert und politisch interessiert. Sie haben Zugang zu einer Vielzahl von Informationen und bringen sich aktiv in politische Diskussionen ein, fordern im Schulsystem Mitsprache und in der Ausbildung Mitbestimmung. Durch ein Wahlrecht können sie ihre Anliegen und Interessen direkt in den politischen Entscheidungsprozess einbringen. Dies fördert die Vielfalt der politischen Meinungen und ermöglicht eine breitere Repräsentation der sächsischen Bevölkerung.

Und drittens tragen auch die in der Sachverständigenanhörung vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht. Wie soll die Ausweitung des Wahlrechtes auf 16-Jährige in die Allgemeinheit der Wahl eingreifen? Das ist nicht nachvollziehbar. Dieser Logik folgend müsste dann auch hinterfragt werden: Warum gibt es keine Altersgrenze nach oben? Weil das Wahlrecht keine Frage der individuellen Befähigung, sondern der demokratischen Teilhabe in einer Republik ist.

Zum Abschluss möchte ich noch zwei Gedankenanstöße auch in diese Debatte geben.

1. Historisch gesehen ist das Wahlrecht als Ausgestaltung der irdischen Verhältnisse lange Zeit deutlich unbedeutender gewesen als der rechte Glaube an das Überirdische. Der Abfall vom rechten Glauben ist in einigen Teilen der Gesellschaft selbst heute wahrscheinlich noch relevanter als das vermeintlich falsche Kreuz auf dem Stimmschein. Warum gestehen wir dann jungen Menschen mit 14 die Religionsmündigkeit zu, nicht aber 16-Jährigen das Wahlrecht? Aus konservativer Sicht lässt sich das nicht begründen.

2. Als jemand, der seine Masterarbeit zu Wahlrechtsentwicklungen nach 1990 in den Ländern geschrieben und sich mit der Entwicklung und Herausbildung wahlrechtlicher Leitbestände befasst hat, kann ich nur sagen: Der Tag wird kommen, an dem das Wahlrecht auch in Sachen für 16-Jährigen gilt. Sehen Sie das nicht als Drohung, sondern als Versprechen.

Für heute müssen wir aber leider ablehnen.

Vielen Dank