Modernisierung im Lichte von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Gesetzentwurf der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD: „Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen und weiterer Gesetze“ (Drs 7/15055)
80. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 14.12.2023, TOP 4

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen,

Verfassungen sind Gründungsordnungen und Ausdruck von Ordnungsbegründungen zugleich. Gründungsordnungen, weil sie die zentrale Ordnung für den Aufbau des Staates und die Rechte und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger darstellen.

Aber sie sind auch Ausdruck der elementaren Ordnungsbegründung eines Staates, weil Verfassungen die wesentlichen Gedanken in Text setzen, was ein Staat sein will, welche Werteordnung er vertritt, welche Erzählung er trägt.

Es liegt in der Natur der Verfassung, dass sie daher eher selten geändert werden – denn weder das Grundgepräge des Staates noch die tragende Werteordnung sind schnelllebig. Sie sollen über wechselnde politische Mehrheiten hinaus Bestand haben. Sie bieten Stabilität, Orientierung und Verlässlichkeit auch in den manchmal wilden Gewässern des Alltags.

Aber eben im Lichte der Ordnungsbegründung kann sich aufgrund tatsächlicher gesellschaftlicher Entwicklungen der Verfassungstext von der Verfassungsidee entfernen – der Logos entfernt sich zunehmend vom Mythos der Verfassung. In diesen Fällen ist es sinnvoll, die Verfassung an die Zeit anzupassen, ja zu modernisieren.
Den seltenen parlamentshistorischen Moment einer Einbringung einer Verfassungsänderung nutze ich daher, Ihnen darlegen zu dürfen, in welcher Kontinuität zur Ordnungsbegründung des neugeründeten Freistaates die von uns vorgeschlagenen Änderungen stehen.

In Artikel 10 unserer Verfassung wird der Schutz der Umwelt zur Bewahrung der Lebensgrundlagen nicht nur im Lichte der jetzt Lebenden, sondern in Verantwortung auch für kommende Generationen zum Staatsziel erklärt. Ihnen eine Welt zu hinterlassen, in der auch sie Entscheidungsspielräume haben, in der auch sie gestalten können und in der auch sie somit ihre Freiheitsrechte ausüben können, ist unsere Aufgabe und unsere Verpflichtung.

Dabei erinnert uns dieses Staatsziel auch immer an die eigene, an den Moment des gemeinsamen Handelns im Sinne der Freiheit: an die Friedliche Revolution. Die massiven Umweltverschmutzungen haben die Umweltbewegung ins Leben gerufen; die Erstürmung der Umweltbibliothek durch die Staatsicherheit im November 1987 sorgte für Solidaritätsbekundungen und Mahnwachen, die verschiedene Oppositionelle miteinander verbanden. Ihre Strukturen waren wesentliche Grundlagen für die gelungene Revolution.

Die Bürgerrechtbewegung und die friedliche Revolution steht in unmittelbaren Zusammenhang zur Umweltbewegung. Entsprechend und mit Blick auf die massive Umweltzerstörung in der DDR haben sich die Mütter und Väter der Landesverfassung für den Umweltschutz als Staatsziel in der Verfassung entschieden.

In diesem Lichte der Verbindung von Umweltschutz und Freiheit ist es konsequent, dass wir den Gründungsgedanken des Schutzes der Umwelt nun um den Klimaschutz erweitern wollen. Denn auch dabei geht es um Freiheit – nicht vorwiegend um unsere, sondern um die Freiheit derjenigen, die noch nicht mitentscheiden können oder vielleicht noch nicht einmal geboren sind. Wir folgen hier nicht nur einem Gründungsgedanken der Verfassung, die unter den heutigen Erkenntnissen zum Klimaschutz diesen vielleicht schon damals in die Verfassung aufgenommen hätten, sondern auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Klima-Beschluss festgestellt, dass es Aufgabe des Grundgesetzes auch ist, der Gefahr der unverhältnismäßigen Beeinträchtigung künftiger grundrechtlicher Freiheit zu begegnen. Es ist der objektive Schutzauftrag, der sich in Artikel 20a Grundgesetz und auch in Artikel 10 der Sächsischen Verfassung findet, der eine staatliche Verpflichtung zur Verteilung von Umweltschutzlasten verlangt – im Sinne einer intertemporale Freiheitssicherung.

Auch eine andere Grundüberlegung der Verfassung von 1992 wollen wir 30 Jahre später im Lichte der gesellschaftlichen Entwicklungen fortschreiben. Die Einwohner*innen des Freistaates sind nicht bloße Untertanen, sie sind vielmehr der Grund der Geltung von Gesetzen und Verfassung. Mit Blick auf die freiheitliche Selbstermächtigung von 1989 hat die Sächsische Verfassung der Volksgesetzgebung einen besonders hohen Stellenwert eingeräumt.

Was heißt diese Grundüberlegung von 1992 über drei Dekaden später? Aus unserer Sicht, dass die Möglichkeit der Volksgesetzgebung auch wirksam sein muss. Denn einige Prämissen der Verfassungsgenese haben sich nicht bewahrheitet. Sachsen ist geschrumpft und die gesellschaftlichen Verhältnisse sind andere als beim Inkrafttreten der Verfassung. Deshalb schlagen wir vor, die Quoren für die Volksbegehren und Volksentscheide abzusenken, um diese wieder in die Sphäre des tatsächlich Möglichen zu überführen.

Ebenso wollen wir den Gedanken des Volksgesetzgebers als Korrektiv um eine logische Komponente ergänzen, um die Akzeptanz parlamentarischer Entscheidungen zu stärken. Wir wollen zukünftig auch Bürger*innen als Rechtsunterworfene die Möglichkeit geben, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin vom Verfassungsgerichtshof überprüfen zu lassen.

Das verstehen wir als Ausdruck eines wahrhaft republikanischen Verfassungsstaates – eines wahren Freistaates. Dieser sichert seinen Bürger*innen nicht nur elementare Rechte zu, sondern ermutigt und ermächtigt sie zu eigener Teilhabe am politischen Gemeinwesen. Natürlich handelt es sich hier nicht um ein Allheilmittel gegen Politikverdrossenheit. Es handelt sich aber um eine weitere Facette der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements und des Ursprungsgedankens der Sächsischen Verfassung.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
unsere Sächsische Verfassung ist seit über 30 Jahren in Kraft. Bisher wurde sie – vor nunmehr zehn Jahren – ein einziges Mal in einem einzigen Punkte geändert. Wenn wir uns heute erneut auf den Weg begeben, die Fundamente des Freistaates vorsichtig zu modernisieren, dann tun wir das nicht nur im Lichte unserer Gegenwart, sondern im Geiste der Verfassungsmütter und Väter und im Lichte jener Zukünftigen, denen wir uns verpflichtet haben.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
wir werden in diesem Hohen Hause für eine entsprechende Mehrheit unter den demokratischen Fraktionen werben – in einem geordneten und angemessenen parlamentarischen Verfahren.

Uns ist bewusst, dass der Zeitplan eng ist, aber es gilt diese Chance auf die Anpassung der Verfassung nicht zu verpassen – wer weiß, wann sie wiederkommt.

Lassen Sie mich zu Schluss schon einen Punkt in Richtung einiger Skeptiker adressieren, die Verfassung überhaupt zu ändern:

Die Anpassung der Verfassung in modernisierter Transformation ihrer Ordnungsbegründung entwertet die Urfassung der Verfassung nicht, sondern sie stärkt sie. Und eine Änderung schmälert mit keiner Silbe die Verdienste der Mütter und Väter unserer Gründungsordnung, sondern bekräftigt deren Verdienste.

Ich hoffe auf spannende und erfüllende Beratungen dieses Vorschlages.

Vielen Dank!