Die Polizei braucht Personal, das auch im Internet sichtbar ist

Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD: „Hasskriminalität im Internet wirksam entgegentreten – Prävention und Verfolgung“ (Drs 7/15028)
80. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 14.12.2023, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen,

„Die Polizei ist nicht im Internet“ stellte Jan Böhmermann schon vor über einem Jahr fest. Und sorgte damit für einen medialen Aufruhr. Gleichzeitig war die Recherche auch keine Überraschung für all jene, die regelmäßig auf sozialen Medien unterwegs sind und dort mit anderen interagieren. Gerade erst veröffentlichte das Statistische Bundesamt neue Zahlen – demnach haben mehr als ein Viertel der Nutzer*innen allein im ersten Quartal dieses Jahres Hassrede im Netz wahrgenommen. Unter den jüngeren war es sogar ein Drittel. Die Wahrnehmung deckt sich mit der polizeilichen Kriminalstatistik für Sachsen und es dürften weit nicht alle zur Anzeige gebracht worden sein.

Diese Entwicklung ist Grund für den Antrag. Hasskriminalität ist eine elementare Gefahr für unsere Demokratie, denn Sprache hat Macht. Die Macht zu verändern, deswegen debattieren wir hier. Die Macht zu binden – deswegen schreiben wir Gesetze, die Macht zu verbinden – deswegen sprechen wir miteinander. Aber Sprache hat auch die Macht zu verletzen, zu demütigen, einzuschüchtern und zu zerstören. Und die Macht, Menschen aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen.

Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, den Kampf gegen Hass, Hetze und Bedrohungen im Netz zu führen. Eine plurale politische Gemeinschaft lebt davon, dass in ihr viele Stimmen zu Wort kommen und sich somit verschiedene Perspektiven auf ein Thema eröffnen. Das ist die Überzeugung, aus der der Schutz der Meinungsfreiheit als politisches Freiheitsrecht in unserer Verfassung erwächst. Und wenn dieses elementare Freiheitsrecht nicht durch den Staat selbst, sondern durch Dritte faktisch eingeschränkt wird, ist es staatliche Aufgabe, dem entschieden entgegenzutreten, um so die öffentliche Willensbildung zu schützen.

Der Fall von Renate Künast, vor allem aber das eindrucksvolle darauffolgende Ping-Pong-Spiel zwischen den Gerichten, hat vor einigen Jahren gezeigt, wie schwer es noch immer ist, in der Abwägung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten das richtige Maß zu finden. Aber er hat auch gezeigt, dass die Meinungsfreiheit, auch zu Personen des öffentlichen Lebens, nicht grenzenlos ist. Die Meinungsfreiheit findet ihre Grenzen in Gesetzen wie beispielsweise zum Schutz der Ehre. Beleidigungen, Verleumdungen und Volksverhetzung genießen keinen Schutz.

Diese Binsenweisheit scheint in den täglichen virtuellen Rasereien von Wutbürger*innen und Antidemokraten unterzugehen. Deswegen wollen wir mit dem Antrag noch einmal die besondere Verantwortung der Netz- und Plattformbetreiber herausstellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
im nächsten Jahr sind Kommunalwahlen – und unsere Demokratie lebt von den Menschen, die vor Ort mitgestalten wollen, die Ideen einbringen und öffentlich für sie streiten. Regelmäßig haben sie nicht die Ressourcen, auf die Landtags- oder Bundestagsabgeordnete zurückgreifen können. Gleichzeitig sind sie nicht minder Opfer von Anfeindungen und Angriffen.

Eine Kommunalstudie, die in Brandenburg in Auftrag gegeben wurde, unterstreicht diesen Befund: Jeder dritte kommunale Amts- und Mandatsträger hat mindestens einmal Beleidigung, Bedrohung, Sachbeschädigung oder körperliche Gewalt erlebt. Umso aktiver die Betroffenen in sozialen Medien waren, desto wahrscheinlicher war es auch, dass sie Opfer von Bedrohungen und Beleidigungen wurden.

Die Lösung ist jedoch nicht, dass diejenigen, die für unsere Demokratie streiten, sich aus dem öffentlichen Raum zurückziehen, wie es leider immer noch von leitenden Polizisten im Bereich des Staatsschutzes angeraten wird. Wir brauchen einen Bewusstseinswandel in den Sicherheitsbehörden einerseits und ein Lösen der Handbremse bei der Verfolgung von Hasskriminalität andererseits.

Der Freistaat hat bereits Instrumente geschaffen, um Betroffene, insbesondere auf kommunaler Ebene oder aus der Zivilgesellschaft, zu unterstützen. Dazu gehört zum Beispiel die Zentrale Meldestelle für Hasskriminalität im Internet. Dazu gehört aber auch die Zentrale Ansprechstelle für Opfer von Rechtsextremismus und Antisemitismus, die ZORA. Sie geht auf die Initiative des Sächsischen Ministeriums der Justiz und für Europa, Demokratie und Gleichstellung zurück. Die hier tätigen Staatsanwält*innen sind Ansprechpersonen für all jene, die aufgrund ihres Engagements Opfer von Hass und Hetze werden.

Damit sind wir deutschlandweit Pioniere gewesen. Und damit wird dafür gesorgt, dass die Taten konsequent aufgeklärt werden und eine effektive Strafverfolgung stattfindet. Zudem soll den Betroffenen durch Information und Beratung Handlungsmacht zurückgegeben werden, damit sie sich den Angriffen nicht ohnmächtig ausgeliefert sehen. Unsere gemeinschaftliche Anstrengung muss dahingehen, diese Anlaufstellen bekannter zu machen und die Strukturen weiter zu stärken.

Denn es ist unsere Verantwortung, den Betroffenen von Hasskriminalität zu zeigen, dass sie geschätzt und unterstützt werden. Das beinhaltet auch die virtuellen Streifengänge. Wir BÜNDNISGRÜNE sind der Überzeugung, dass wirksame Polizeiarbeit nicht immer mehr Befugnisse braucht. Sie braucht vor allem Personal, das sichtbar ist. Das deutlich macht, dass es keine rechtsfreien Räume gibt – und das gilt auch für das Internet. So dass Jan Böhmermann in Zukunft vielleicht feststellen kann: Die Polizei ist doch im Internet – Hurra!

Vielen Dank